Er hat die Form einer Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielfigur, die Farbe von Sichtbeton, wiegt um die 200 Kilogramm und heißt Pollino. Der Name lässt seinen Zweck erahnen: Er ist ein Poller. Zum Skandal machten ihn seine Platzierung im Eingang eines Cafés und ein kleines Schild um seinen Hals, das einen durchgestrichenen Kinderwagen zeigt. Roland Schimmel empfiehlt Eltern und Kindern: locker bleiben.
Mit Kinderwagen ist im Café "The Barn Roastery" in der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg kein Durchkommen. Das ist Absicht. Die einen ärgert das, die anderen finden es gut. Kommentatoren in Presse und Internetforen stürzen sich darauf. Der Poller provoziert und polarisiert.
Rechtlich betrachtet ist die Verärgerung über das kinderfeindliche Verhalten des Cafébetreibers ein Sturm im Wasserglas. Zwar mag der sperrige Betonkegel im Eingang des Cafés feuerpolizeiliche und baurechtliche Bedenken aufwerfen. Privatrechtlich dürfte der Inhaber aber auf der sicheren Seite sein.
Denn auf die Frage, die potenzielle Besucher ärgern wird: "Darf der denn einfach bestimmte Leute draußen halten?", ist die Antwort einfach: Er darf. Als Eigentümer oder Besitzer der Gewerbefläche kann er kraft seines Hausrechts entscheiden, wen er in sein Café hineinlässt. Die Vertragsfreiheit belässt ihm die Entscheidung, mit wem er einen Bewirtungsvertrag schließen will und mit wem nicht.
Im Privatrechtsverkehr ist zunächst niemand an die Grundrechte und damit an die Ungleichbehandlungsverbote gebunden, die dem Staat im Umgang mit seinen Bürgern ein anderes Verhalten gebieten, wie etwa Art. 3 Grundgesetz.
AGG: Muss nun doch jeder bedient werden?
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat der Gesetzgeber seit einigen Jahren allerdings auch den Bürgern untereinander ein höheres Maß an "Nichtdiskriminierung" auferlegt. Das Gesetz ist zwar gemäß § 19 Abs. 1 Nr.1 AGG auf Massengeschäfte anwendbar, zu denen auch die Bestellung von Kaffee und Kuchen zählt. Aber der Poller führt nicht zu einer Benachteiligung nach Rasse, Herkunft, Geschlecht oder einem der anderen im Gesetz genannten Kriterien.
Das AGG schützt vor allem nicht die Elterneigenschaft. Aber selbst wenn das so wäre: Der Cafébetreiber will seine Räume ja nicht von Eltern freihalten, sondern eher von Kindern und eigentlich sogar nur von Kinderwagen. Ein Verstoß gegen das AGG könnte daher nur vorliegen, wenn tatsächlich Gäste hinausgeworfen oder gar nicht erst bedient worden wären. Davon ist jedoch bisher nicht berichtet worden. Pollino und das "Keine Kinderwagen"-Schild dürften als Anknüpfungspunkt für den Vorwurf einer Ungleichbehandlung jedenfalls nicht genügen.
Sicherheitshalber hat der Caféinhaber bereits erklärt, der Poller sei reine Vorsichtsmaßnahme. Er wolle verhindern, dass wegen der freistehenden heißen Kaffeeröstmaschine Kinderwagen Feuer fingen oder Kinder verletzt würden. Um Gefahren zu vermeiden, darf aber auch diskriminiert werden, wie sich § 20 Abs. 1 S. 2 Nr.2 AGG entnehmen lässt.
Baby Latte ohnehin nicht im Angebot des Kaffeerösters
Letztlich wäre verärgerten Eltern mit dem AGG auch wenig geholfen. Das Gesetz gewährt dem Diskriminierten regelmäßig zwar einen Anspruch auf Schadensersatz, aber kein Recht auf Vertragsabschluss. Einen Anspruch darauf, sich willkommen zu fühlen, gibt es sowieso nicht. Und in einem Café, das nur schwarzen Kaffee ohne Milch und Zucker serviert, wird mit einem Baby Latte und einem Milchfläschchen ohnehin nicht zu rechnen sein.
Einem Kontrahierungszwang unterliegt der Kaffeeröster ebenfalls nicht. Seine Bohne ist weder existenzwichtig noch wird er im Prenzlauer Berg eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Mütter und Väter können leicht auf ein anderes Café ausweichen. Damit ist der Poller zivilrechtlich nicht zu beanstanden. Wer sich über ihn ärgert, wird kopfschüttelnd weiterziehen müssen.
Eine ganz andere Frage ist, ob der Markt das Signal "Pollino" positiv aufnimmt. Auch wenn das Konzept stimmig erscheint und der Gedanke an ein Café, in dem Laptops und Mobiltelefone an einen Stehtisch verbannt werden, geradezu sympathisch klingt, könnten sich Pollino und die öffentliche Aufmerksamkeit, die er erregte, als Bumerang erweisen.
Steigende Sensibilität bei Gleichbehandlungsfragen
Ein Café hat nur Erfolg, wenn genug zahlende Gäste kommen. Zwar reagierte der Betreiber nicht eben konfrontativ auf Nachfragen zu dem Poller; aber die Diskussion um Kindergeschrei wird denn auch alles andere als geduldig und tolerant geführt. Ganz neu sind die Konfliktlinien gewiss nicht. Ein Café im Frankfurter Nordend, dessen Betreiber das Thema weitaus weniger physisch wahrnehmbar auf die Agenda setzte, hatte im letzten Jahr regional eine ähnliche Debatte losgetreten. Ein einfacher Aushang, der die Eltern daran erinnerte, dass ein Café kein Hort sei, genügte damals. Kein Dreivierteljahr später blieben die Espressomaschinen still – selbstverständlich blieb der Ursachenzusammenhang ungewiss.
Vielleicht sind es gar nicht die Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern mit tobendem Nachwuchs und genervten Kinderlosen am Nachbartisch, die der Angelegenheit ein solches Aufregerpotential verschaffen. Es könnte auch eine allgemein steigende Sensibilität in Fragen von Gleich- und Ungleichbehandlung sein. Das AGG wird seinen Teil dazu beigetragen haben. Fast jeder Anwalt weiß aus der Beratungspraxis, wie leicht sich Menschen – im rechtlichen Sinne – diskriminiert fühlen, während ihnen eigentlich nur – im tatsächlichen Sinne – ausreichende Wertschätzung fehlt.
Ähnlich wird es sich mit den Cafés im Prenzlauer Berg verhalten. Nicht jedes muss allen gefallen. Pollino sollte man locker nehmen: Mit Kindern weitergehen, ohne Kinder reingehen. Vielleicht schmeckt ja der Kaffee auch schwarz.
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main.
Roland Schimmel, Anti-Kinderwagen-Poller im Prenzlberg: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7240 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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