BMJV-Entwurf angekündigt: Ein spe­zi­elles Grund­recht für Kinder

von Hasso Suliak

25.10.2019

Ein neues Kindergrundrecht könnte bald den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes erweitern. Das BMJV kündigte einen Gesetzentwurf bis Jahresende an. In Art. 6 GG soll künftig der Schutz von Kindern ausdrücklich hervorgehoben werden.

Kinderrechte könnten ins Grundgesetz kommen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht präsentierte am Freitag in Berlin vor Journalisten den Abschlussbericht einer Bund-Länder Arbeitsgruppe. Diese, im Wesentlichen zusammengesetzt aus Justiz- und Familienministerien, hatte sich im Juni 2018 an die Arbeit gemacht, um einen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD umzusetzen: "Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen", heißt es darin.

Schneller als geplant, wie Lambrecht erfreut mitteilte, liegt nunmehr ein mehr als hundertseitiger Bericht vor, an dessen Ende jedenfalls der einhellig unterstützte Vorschlag steht, in Art.6 GG - vorzugsweise als neuer Art. 6 Abs. 1a - ein neues Kindergrundrecht zu schaffen. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen", so die Ministerin. Sie verdienten eine besondere Schutzwürdigkeit. Es reiche nicht aus, dass ihre Rechtsposition bereits jetzt "automatisch" von den Grundrechten erfasst werde.

Lambrecht wies daraufhin, dass bereits 15 Landesverfassungen Kinderrechte – teils als Staatsziele, teils als Grundrechte – aufgenommen hätten. Auf europäischer Ebene finden sich spezielle Kinderrechte in Art. 24 der EU-Grundrechtecharta wieder. Wesentliche Standards zum weltweiten Schutz der Kinder sind zudem in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegt. Lambrecht betonte, dass mit der GG-Änderung keinerlei Einschränkungen von Elternrechten verbunden seien. Es gehe vielmehr darum, Kinderrechte hervorzuheben, ohne dabei dem Staat mehr Einwirkungsmöglichkeiten in das Eltern-Kind-Verhältnis zu geben.

Kindeswohl und Beteiligungsrechte

Welche konkrete Formulierung nunmehr in Art. 6 GG einfließen wird, ist noch unklar. Die Arbeitsgruppe verständigte sich auf drei mögliche Varianten, in denen sprachliche Unterschiede möglicherweise Auswirkungen auf das Schutzniveau der Kinder haben könnten. Allen drei Varianten sei laut BMJV gemein, dass sie drei Komponenten beinhalten: Der subjektive Schutz der Kinder, das Kindeswohl sowie die Beteiligungsrechte von Kindern.

Die niedrigschwelligste Variante der GG-Änderung lautet: "Jedes Kind hat das Recht auf Achtung und Schutz seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Maßgabe von Art. 103 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3."

Ein höheres Schutzniveau verspricht wohl die zweite Variante: Sie erweitert die erste Variante um die Worte "Förderung" und "wesentlich". Jedes Kind hätte demnach "ein Recht auf Achtung, Schutz und Förderung"; und das Wohl des Kindes wäre bei allem staatlichen Handeln, das Kinder betrifft, nicht nur "angemessen", sondern "wesentlich" zu berücksichtigen.

Maximales Schutzniveau formuliert dann Variante drei. Darin heißt es: "Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das Kinder betrifft, vorrangig zu berücksichtigen." Hier ist die Formulierung "angemessen" oder "wesentlich" durch "vorrangig" ersetzt. Weiter heißt es in dieser Alternative: "Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife." Die Beschränkung auf nur "rechtliches" Gehör entfällt.

BMJV geht von Zweidrittelmehrheit für Grundgesetzänderung aus 

Welche Formulierung am Ende im Referentenentwurf des BMJV stehen wird, den das Ministerium bis Ende dieses Jahres noch vorlegen will, ist noch offen. Zuversichtlich gab sich die Justizministerin im Hinblick auf die notwendige Zweidrittelmehrheit, derer es sowohl in Bundestag und Bundesrat bedarf. In den Formulierungen des Grundrechts seien die unterschiedlichen Positionen gut zusammengeführt worden.

Äußerst kontrovers muss in der Bund-Länder-AG die Frage diskutiert worden sein, ob neben dem Kindergrundrecht auch noch ein zusätzliches Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden soll. Vorgeschlagen war hier unter anderem die Formulierung "Die staatliche Gemeinschaft trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen". Dieses Thema soll nunmehr laut BMJV im weiteren Gesetzgebungsverfahren vertieft diskutiert werden.

Sollte das BMJV seinen anvisierten Zeitplan einhalten, ist damit zu rechnen, dass nach diversen Anhörungen von Verbänden und Sachverständigen schließlich Ende 2020 die GG-Änderung in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden könnte.

Teile der Opposition im Bundestag signalisierten jedenfalls schon einmal ihre Bereitschaft zur Mitwirkung: "Sollte die Bundesjustizministerin auf die FDP-Bundestagsfraktion zukommen, werden wir uns konstruktiven Gesprächen über eine Grundgesetzänderung nicht verwehren", so FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae MdB gegenüber LTO. Auch die Grünen signalisierten entsprechende Bereitschaft. Die stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Bundestagsfraktion stellte allerdings klar: "Eine schwache Formulierung werden wir nicht mittragen." Schutz-, Förderungs- und Beteiligungsrechte gehörten ebenso ins GG wie eine vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls bei allen staatlichen Entscheidungen.

Zitiervorschlag

BMJV-Entwurf angekündigt: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38393 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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