Der Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle, will die Verfassungsbeschwerde beschränken: Notorische Kläger sollen künftig eine Gebühr von bis zu 5.000 Euro zahlen, wenn sie das Gericht missbräuchlich anrufen und so dessen Arbeit behindern. Der Vorschlag gefährdet grundlos das elementare Bürgerrecht, Grundrechtsverletzungen zu rügen, kommentiert Rüdiger Zuck.
Das Grundgesetz gewährleistet Grundrechte. Zu ihnen gehören etwa die Gewährung rechtlichen Gehörs, das Verbot willkürlicher Entscheidungen oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Missachtet die öffentliche Gewalt solche Grundrechte, kann der Betroffene wegen dieser Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde das BVerfG anrufen.
Das führt seit langem zu rund 6.000 Verfahren im Jahr. Dabei ist im Vergleich zu 2009 die Zahl der Verfassungsbeschwerden im Jahr 2010 gesunken. Bei etwa 6.250 Verfassungsbeschwerden in diesem Jahr, zu denen jedoch 130 Parallelverfahren zählen, dramatisiert Voßkuhle die Situation unnötig, wenn er von 6.500 Beschwerden spricht.
Die Senate entscheiden nur selten
Über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde entscheiden im Regelfall drei Richter; jeder dieser Richter hat vier wissenschaftliche Mitarbeiter. Der komplette Senat ist nicht beteiligt. Hinzu kommt, dass im Verfassungsbeschwerdeverfahren kein Schriftsatzwechsel stattfindet. Die Bearbeitung funktioniert deshalb reibungslos und ist nicht von äußeren Faktoren abhängig.
Im Jahr 2010 hatten nur 1,71 Prozent aller Verfassungsbeschwerden Erfolg. Nur rund 250 Beschlüsse hat das Gericht inhaltlich begründet. Der Rest wird ohne Sachbegründung nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Überlastung des BVerfG kann deshalb keine Rede sein.
Auch der von Voßkuhle nach Medienberichten ins Feld geführte Beschwerdeführer, der bereits 500 Verfassungsbeschwerden nach Karlsruhe geschickt haben soll, taucht in der Statistik des Gerichts nicht auf. Solche offensichtlichen Fälle werden nämlich von Beamten außerhalb des Beschwerdeverfahrens behandelt. Sie beanspruchen die Richter und ihre Mitarbeiter erst garnicht.
Jedermann-Recht steht auch jedermann zu
Vielmehr muss man konstatieren, dass die vorhandene Belastung des Gerichts vielfach hausgemacht ist. Nicht selten nämlich enthalten die Beschlüsse entscheidungsunerhebliche oder überflüssige Nebensächlichkeiten. Hierdurch dokumentiert nur der wissenschaftliche Mitarbeiter seinen Fleiß und sein Engagement.
Zur Ehrenrettung der Karlsruher Richter sei erwähnt, dass natürlich auch Querulanten die Justiz belasten. Allerdings ist das Recht, Verfassungsbeschwerde zu erheben, nun einmal ein so genanntes Jedermann-Recht. Dabei ist jeder so, wie er eben ist: mal klug oder dumm, mal einsichtig oder uneinsichtig, mal lammfromm oder rechthaberisch.
Wer die Bürger und Bürgerinnen nach ihrer gerichtlichen Eignung sortieren will, muss die Jedermann-Verfassungsbeschwerde abschaffen. Damit aber verlöre das BVerfG seinen guten Ruf als Bürgergericht.
Voßkuhles Pläne sind untauglich
Die Querulantengebühr ist nichts Neues. Schon jetzt gibt es die Möglichkeit, eine Gebühr von bis zu 2.600 Euro zu verhängen, wenn das Gericht die Verfassungsbeschwerde für missbräuchlich hält. Im Jahr 2010 haben die Karlsruher Richter in lediglich 35 Fällen eine Missbrauchsgebühr eingefordert. Sicherlich hätte sich auch die zehnfache Zahl rechtfertigen lassen. Verfassungsbeschwerdeführer sind aber in der Regel Einmaltäter. Eine entlastende Wirkung für das Gericht ist deshalb mit der Missbrauchsgebühr nicht eingetreten.
Die Erhebung der Querulantengebühr ist vor der Bearbeitung der Sache geplant. Doch wie soll das Gericht entscheiden, ob es sich um den Schriftsatz eines Querulanten handelt? Eine grobe Orientierung würde die Zahl der bereits eingelegten Verfassungsbeschwerden des Einzelnen liefern. Hierzu ist die Zahl von fünf erfolglosen Verfahren im Gespräch.
Das wäre aber nicht sachgerecht: Verliert zum Beispiel eine Fondsgesellschaft nacheinander mehrere Rechtsstreitigkeiten gegen geschädigte Anleger, muss sie in allen Fällen, soweit Verfassungsrecht tangiert ist, Beschwerde beim BVerfG erheben. Daran ist nichts Querulatorisches, denn dann geht es nicht mehr um die Zahl, sondern um den Inhalt der Verfassungsbeschwerde.
Gebühr verschreckt Querulanten nicht
Voßkuhle schießt also mit Kanonen auf Spatzen. Das sollte er lassen. Denn der Strafgefangene, der seine Zeit mit unsinnigen Verfassungsbeschwerden verbringt, behindert die Arbeit des Gerichts nicht wirklich. Vielmehr würde die Umsetzung von Voßkuhles Vorschlägen die Arbeit in Karlsruhe beeinträchtigen:
Die Querulantengebühr soll den Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers angepasst werden. Das setzt aber entsprechende Ermittlungen voraus. Über die Gebühr entscheidet zwar der Rechtspfleger; gegen dessen Entscheidungen kann aber das Gericht angerufen werden. Ein Querulant wird dies sicherlich tun. Voßkuhles Vorschlag fördert damit lediglich die Bürokratisierung des Verfahrens.
Wer das BVerfG als letzte Rettung anruft, stört sich an den Kosten nicht. Und wenn er die Querulantengebühr nicht aufbringen kann, wird er einen Prozesskostenhilfeantrag stellen. Dann muss sich das Gericht doch mit der Sache auch inhaltlich befassen. Im Ergebnis ist Voßkuhles Vorschlag eine professorale Fehleinschätzung. Wir "Jedermanns" sollten uns unsere Verfassungsbeschwerde nicht vermiesen lassen.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck ist Partner der Anwaltskanzlei Zuck in Stuttgart und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Verfassungsbeschwerde. Er ist zudem Alleinautor des Kommentars zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz.
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Karlsruher Querulantengebühr: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4105 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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