Das "Schwachkopf"-Meme gegen Robert Habeck wird wegen "Politikerbeleidigung" strafrechtlich verfolgt. Der Tatbestand wurde 2021 im Kampf gegen Online-Hass eingeführt. Warum werden nur Politiker besonders geschützt, fragt Lukas de Koster.
"Mit Verlaub, Herr Minister" – vielleicht hätte der 64-jährige Franke, bei dem kürzlich eine Hausdurchsuchung stattfand, weil er Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als "Schwachkopf" bezeichnet hatte, seiner Äußerung diese vier Worte für den historischen Bezug voranstellen sollen. Grünenpolitiker Joschka Fischer hatte 1984 den Vizepräsidenten des Bundestages, Richard Stücklen, mit dem Ausspruch "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!" bedacht.
Jedenfalls ist es beachtlich, dass ein Vertreter derselben Partei, die noch in den 1980-1990er Jahren das „Enfant Terrible“ des politischen Deutschlands darstellte, heute über eine Agentur Beleidigungen durch Bürgerinnen und Bürger filtern lässt und bei den Strafverfolgungsbehörden reihenweise zur Anzeige bringt.
Nicht umsonst entzündet sich an diesem Vorfall eine Debatte, kommt doch einigen Kommentatoren Habecks Strafantrag übertrieben vor. Der Fall offenbart jedoch auch grundsätzliche Fragen: Was bedeutet eigentlich der hier von der Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter angewendete Straftatbestand des § 188 Strafgesetzbuch (StGB), der eine Beleidigung von Politikern härter bestraft als die "einfacher" Bürger? Ist das rechtspolitisch sinnvoll? Diese Frage stellt sich umso mehr, da die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann auf der Justizministerkonferenz (JuMiKo) in der kommenden Woche einen Antrag, der LTO vorliegt, einbringen will, mit dem die Voraussetzungen der "Politikerbeleidigung" abgesenkt werden sollen.
Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität
Der Beleidigungstatbestand, § 185 StGB, stammt in seinen Grundzügen aus der Zeit vor der Reichsgründung und besteht in seiner heutigen Form nahezu unverändert seit Einführung des Reichsstrafgesetzbuches im Jahre 1871. Die Beleidigung war, unabhängig vom Ort ihrer Begehung, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bewehrt. Für eine tätliche Beleidigung, etwa eine Ohrfeige, konnten auch zwei Jahre verhängt werden.
Das änderte sich 2021 mit dem "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität". Damit führte der Gesetzgeber mit den Stimmen der unionsgeführten GroKo einen Qualifikationstatbestand für solche Beleidigungen ein, die öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen werden. Das Höchststrafmaß für diese öffentliche Beleidigung wurde von einem auf zwei Jahre angehoben. Das beleidigende Meme auf X und Instagram wiegt nach der gesetzlichen Wertung nun also gleich schwer wie die Ohrfeige.
Auch den heutigen Straftatbestand der "Politikerbeleidigung", § 188 StGB, gibt es so erst seit 2021. Bis dahin umfasste der Tatbestand lediglich die Verleumdung und die üble Nachrede (§§ 186 und 187 StGB) gegen "im politischen Leben des Volkes stehende Personen". Es wurden also nur Tatsachenbehauptungen gegen Politiker strenger behandelt und nicht auch Werturteile. Die Höchststrafe dafür lag und liegt bei fünf Jahren. Im Namen des Kampfes gegen Hasskriminalität wurde § 188 StGB dann um die Beleidigung erweitert und auf die kommunalpolitische Ebene ausgedehnt. Die Höchststrafe für die Beleidigung einer Person des politischen Lebens beträgt nach dem neuen § 188 StGB nun drei Jahre, also ein Jahr mehr als die öffentliche Beleidigung einfacher Bürger. Warum diese Ungleichbehandlung?
Straftatbestände dienen immer dem Schutz bestimmter Rechte oder Rechtsgüter. Bei der Beleidigung ist das die persönliche Ehre. Die Rechtsprechung vertritt dazu einen dualistischen Ehrbegriff. Geschützt ist einerseits die innere Ehre, d.h. der persönliche Achtungsanspruch, andererseits die äußere Ehre, d.h. der "gute Ruf" der Person.
Vergiftung des politischen Klimas verhindern
Bei der "Politikerbeleidigung" nach § 188 StGB hingegen ist nicht so klar, was sie schützen soll. Klar ist, dass es auch hier um die innere und äußere Ehre geht. Aber ist das alles oder will sie darüber hinaus die Funktion des Politikers im Staat schützen?
Dass dies keine rein akademische Frage ist, verdeutlicht das Schwachkopf-Meme: § 188 StGB stellt die Politikerbeleidigung unter die Voraussetzung, dass sie geeignet ist, das "öffentliche Wirken" des Politikers "erheblich zu erschweren". Wie diese Einschränkung auszulegen ist, hängt davon ab, wie man das Schutzgut definiert. Wenn man es allein in der Ehre sehen würde, bliebe der Inhalt dieser Tatbestandsvoraussetzung völlig unklar. Es muss also um mehr gehen.
Ausweislich der Gesetzesbegründung will § 188 StGB eine "Vergiftung des politischen Klimas" verhindern. In seiner ursprünglichen, auf Verleumdung und üble Nachrede beschränkten Form entstand der Tatbestand aus den Lehren der Weimarer Republik. Er sollte der Verächtlichmachung und Herabwürdigung von Politikern und der Verrohung der politischen Sitten entgegenwirken. Ähnlich argumentierte auch die GroKo beim Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität 2021. Ehrabschneidende Äußerungen im Internet führten demnach zu einem Nährboden für Hass und Hetze und sorgten dafür, dass sich Personen aus Angst aus dem politischen Leben zurückzögen. Die Erweiterung des § 188 StGB um die Beleidigung sei aufgrund der zunehmenden Aggressivität und der eingeschränkten Löschungsmöglichkeiten im Internet notwendig. Es ging der GroKo also darum, schweren Straftaten den Nährboden zu entziehen. Die Gesetzesänderung erfolgte auch vor dem Hintergrund des aus politischen Gründen begangenen Mordes am Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Es stehen also zwei Rechtsgüter hinter der "Politikerbeleidigung": das Rechtsgut der Ehre als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde gemäß Art. 1, Art. 2 Grundgesetz (GG) und ein etwas schwieriger zu fassendes Rechtsgut, das sich vielleicht am besten als "Funktionsfähigkeit des politisch-demokratischen Gemeinwesens" definieren lässt.
Aktuell keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
Aus diesem Grund stellt § 188 StGB aktuell auch keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar. Unter Hinweis darauf wurde 2018 der Tatbestand der "Majestätsbeleidigung" aus § 103 StGB a.F. abgeschafft. Dieser sah eine Strafschärfung für die Beleidigung ausländischer Regierungspolitiker und Staatsoberhäupter vor. Bekanntheit erlangte die Vorschrift wegen Jan Böhmermann, genauer: wegen dessen Schmähgedichts gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 2016. Es löste breites Unverständnis aus, dass die Beleidigung eines ausländischen Politikers schärfer bestraft werden sollte als die einfache Beleidigung. Der Bundestag beschloss im Sommer 2017 einstimmig die Abschaffung des § 103.
§ 188 StGB dagegen verletzt den Gleichheitsgrundsatz deshalb nicht, weil es eben nicht nur um den Schutz der Ehre der Politiker, sondern auch um die Funktionsfähigkeit des politisch-demokratischen Gemeinwesens geht. Die Strafschärfung beruht auf der abstrakten Gefahr, die von ehrabschneidenden Äußerungen für das politische Klima ausgehen soll. Es ist also keinesfalls so, dass die Ehre von Politikern mehr wiegt als die Ehre anderer Personen.
Niedersachsen will Einschränkung streichen
Das könnte sich womöglich ändern, wenn der niedersächsische Vorschlag, das Kriterium der Eignung, das öffentliche politische Wirken zu erschweren, aus § 188 StGB zu streichen, durchdringt. Denn dann würde der Fokus klar auf der Ehrverletzung des Politikers liegen. Zu einer möglichen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes heißt es in der Begründung des JuMiKo-Antrags: "Ein verfassungsrechtlicher Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG dürfte mit einer Streichung oder Anpassung des genannten Kriteriums nicht einhergehen." Die Ungleichbehandlung von Politikern und einfachen Bürgern im Beleidigungsstrafrecht sei durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt, argumentiert das Papier. Das Bundesverfassungsgericht habe einen solchen Grund "insbesondere darin" gesehen, "das öffentliche Wirken von im politischen Leben stehenden Personen vor unsachlichen Beeinträchtigungen zu schützen und einer erhöhten Gefährdung der Ehre dieser Personen Rechnung zu tragen".
Das ist zwar richtig. Wenn aber das Merkmal der Eignung, das öffentliche Wirken eines Politikers zu beeinträchtigen, gestrichen wird, dann findet diese Erwägung keinen Niederschlag mehr im Tatbestand.
Ob sich der Antrag am Donnerstag auf der JuMiKo durchsetzen kann, ist offen. Selbst dann würde es sich nur um eine Aufforderung an Bundesjustizminister Volker Wissing handeln, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Dass dies in dieser Legislatur noch passiert, dürfte ausgeschlossen sein.
"Schwachkopf" als Gefahr für das politisch-demokratische Gemeinwesen?
Diese Debatte zeigt aber, wie schwierig es überhaupt ist, das Schutzgut tatbestandlich umzusetzen. Das verdeutlicht wiederum der Fall des Habeck-Memes: Ist die Bezeichnung eines Politikers als "Schwachkopf" geeignet, das politisch-demokratische Gemeinwesen in seiner Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen? Wohl kaum.
Nach der Rechtsprechung und Literatur soll es auf die inhaltliche Eignung der Äußerung ankommen, den Politiker als unwürdig erscheinen zu lassen, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu genießen. Dabei müssen die möglichen Auswirkungen der Äußerung auf das politische Wirken des Politikers in ihrer Schwere beurteilt werden. Es geht also vor allem um den Vertrauensverlust der Bevölkerung in den betroffenen Politiker.
Dass aber die Bezeichnung als "Schwachkopf" geeignet sein soll, bei anderen Menschen einen Vertrauensverlust in die Arbeit von Robert Habeck auszulösen und so die Funktionsfähigkeit des politisch-demokratischen Gemeinwesens in Frage zu stellen, ist mehr als fraglich. Genereller fragt sich, wann dies bei plumpen Beleidigungen, die keine tatsachenbasierte Kritik enthalten, der Fall sein soll. Hier wird der Unterschied zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen relevant, den die Rechtslage bis 2021 noch abbildete: Tatsachenbehauptungen wohnt die erhöhte Gefahr inne, dass Dritte sich die behauptete Tatsache zur Grundlage eines eigenen Werturteils machen. Mit anderen Worten: Wer nur beleidigt, überzeugt weniger, als derjenige, der seine Beleidigung mit Tatsachen untermauert.
Behauptet jemand beispielsweise, ein Politiker habe sich von bestimmten Unternehmen im großen Stil bestechen lassen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Dritte hierdurch in ihrem Vertrauen in die Integrität des politischen Systems erschüttert werden.
Einer Beleidigung wohnt diese Gefahr, Dritte zu beeinflussen, nur beschränkt inne: Wenn ein Politiker immer wieder öffentlich als "Schwachkopf" bezeichnet wird, ist zumindest denkbar, dass Dritte sich diese Wertung gruppenpsychologisch zu eigen machen. Anknüpfend an das Bestechungsbeispiel: Die allgemeine Bezeichnung eines Politikers als "korrupt" stellt ebenfalls ein Werturteil dar. Hier ist jedenfalls denkbar, dass eine solche Äußerung, in abgeschwächter Form, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Politiker beeinträchtigen kann. Letztlich kommt es jedoch immer auf eine Einzelfallbewertung unter Beachtung der jeweiligen Tatumstände an.
Das Strafrecht als Spielwiese des politischen Aktionismus
Danach ist die Strafverschärfung für die Beleidigung von Politikern fragwürdig: Das Klima des demokratischen Diskurses ist von einer Vielzahl an Faktoren abhängig, wobei die Auswirkung eines einzelnen Werturteils hierbei immer nur einen Bruchteil der Gründe darstellen kann, die zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in Politiker führen.
Während bei einigen anderen abstrakten Gefährdungsdelikten die Gefahr für das geschützte Rechtsgut für jedermann begreifbar ist – z.B. die Gefahr des betrunkenen Autofahrens für Leib und Leben anderer Personen – ist bei der Politikerbeleidigung der Kausalzusammenhang zwischen Beleidigung, Vertrauensverlust in Politiker und Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des politisch-demokratischen Gemeinwesens ein langer und holpriger Weg.
Deshalb gehört die Gesetzesänderung von 2021 eigentlich zurückgedreht, anstatt die Politikerbeleidigung noch weiter zu verschärfen und ihr damit das ohnehin dünne teleologische Fundament vollständig zu entziehen. Dass Politiker häufiger als andere Beleidigungen ausgesetzt sind, rechtfertigt einen Qualifikationstatbestand gerade nicht. Denn dem wird ja durch häufigere Ermittlungsverfahren Rechnung getragen.
Und manches muss man eben auch als Politiker aushalten. Souveränität bewies in den 1970er Jahren der kanadische Premierminister Pierre Trudeau, der, von Richard Nixon beleidigt, konterte: "Ich habe schon Schlimmeres von besseren Leuten gehört." Vielleicht sollten wir uns die angloamerikanische Lässigkeit bei diesem Thema zum Vorbild nehmen.
Der Autor Lukas de Koster, LL.M. (Paris-Panthéon-Assas) ist Rechtsreferendar in Berlin.
"Mit Verlaub, Herr Minister Habeck": . In: Legal Tribune Online, 23.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55939 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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