Gutachten zum Europäischen Patentgericht: Europarichter wollen selbst über Erfindungen entscheiden

Dem EuGH zufolge ist der Entwurf des Übereinkommens über ein Gericht für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Das Rechtsgutachten nährt Befürchtungen, wonach die Pläne für ein EU-Patent auf der Kippe stehen könnten. Welche Rolle die Bewertung aus Luxemburg für die Entwicklung tatsächlich spielt, erklärt Przemyslaw N. Roguski.

In einer wissensbasierten Gesellschaft gehört das Patent zu den wichtigsten Mitteln zum Schutz geistigen Eigentums. Es verleiht seinem Inhaber für zwanzig Jahre ein Monopol auf die wirtschaftliche Nutzung der patentierten Erfindung.

Auf diese Weise sollen dem Erfinder die Früchte seiner Arbeit zukommen und ein wirtschaftlicher Anreiz für Innovationen gesetzt werden. Ein Patent entfaltet seine Wirkung allerdings nur für das Territorium, für das es registriert ist.

Bisher kein einheitliches EU-Patent

Anders als etwa im Markenrecht, wo mit der so genannten Gemeinschaftsmarke ein für die gesamte EU geltender Titel existiert, konnte bisher ein einheitliches EU-Patent nicht durchgesetzt werden. Patente werden weiterhin nicht EU-weit, sondern nur für einzelne Länder geltend vergeben.

Dafür gibt es zahlreiche Gründe, der wichtigste ist allerdings wohl die Uneinigkeit in der Sprachenfrage. Ein Patent erfordert nämlich die präzise technische Beschreibung der patentierten Erfindung. Bei den nunmehr 23 Amtssprachen der EU wäre ein Erfordernis, das Patent in jede der Amtssprachen zu übersetzen wegen der hohen Übersetzungskosten wirtschaftlich nicht tragbar. Darüber, auf welche Amtssprachen man das EU-Patent beschränken sollte, herrschte jedoch lange Streit.

Die (damals noch) Europäische Gemeinschaft hat bereits vor langer Zeit einen Versuch unternommen, ein Gemeinschaftspatent einzuführen. Das dafür erarbeitete Gemeinschaftspatentübereinkommen trat aus den oben genannten Gründen jedoch nie in Kraft. Die Fragmentierung des Patentrechts in Europa führt in jedem Fall zu wirtschaftlichen Nachteilen, insbesondere im Wettbewerb mit den USA und Japan. Während dort nämlich die Patente für das gesamte Staatsterritorium gelten und zu einem relativ niedrigen Preis angemeldet werden können, ist eine Anmeldung eines Patents in jedem der 27 Mitgliedstaaten der EU wirtschaftlich nicht tragbar.

Daher wird ein Patent meist nur in den wirtschaftlich bedeutendsten Ländern angemeldet, was in den übrigen Ländern aber Schutzlücken hinterlässt. Besonders für kleine und mittlere Unternehmen waren die Kosten eines umfangreichen Patentschutzes bisher zu hoch.

25 Staaten beschließen "verstärkte Zusammenarbeit"

Dieser Probleme ist sich die EU bewusst, weshalb sie nie die Idee eines Gemeinschaftspatents aufgegeben hat. Daher bestimmt auch Art. 118 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), dass im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts europäische Rechtstitel über den Schutz des geistigen Eigentums geschaffen werden können. Der von der Kommission im Jahre 2000 unternommene neue Anlauf zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents scheint daher diesmal gute Aussichten auf Verwirklichung zu haben.

Allerdings trat auch bei diesem erneuten Anlauf das Sprachenproblem wieder in den Vordergrund. Insbesondere Italien und Spanien wollten erreichen, dass das einheitliche EU-Patent auch in diesen Sprachen registriert werden kann. Einen Ausweg bot das mit dem Vertrag von Lissabon neu eingeführte Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit. Nach Art. 20 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) können mindestens neun Mitgliedstaaten der Union in verstärkte Zusammenarbeit treten, um die Verwirklichung der Ziele der Union zu fördern, wenn dies nicht auf der Ebene aller Mitgliedstaaten möglich ist.

Wegen unlösbarer Differenzen bezüglich der Sprachregelung hat er Rat daher am 10. März beschlossen, das EU-Patent im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit in 25 Mitgliedstaaten, also ohne Italien und Spanien, einzuführen.

Internationales Gericht soll über Patente entscheiden

Für die Verwirklichung des neuen EU-Patents war bisher eine zweispurige Lösung geplant. Das EU-Patent soll mittels einer Patentverordnung für die 25 teilnehmenden Staaten eingeführt werden. Gleichzeitig soll die EU dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) beitreten und zugleich ein Übereinkommen über das Gericht für europäische Patente und EU-Patenteunterzeichnet werden.

Das geplante Gericht wäre eine internationale Organisation, die durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschaffen und unabhängig vom Rechtsrahmen der EU wäre. Das Gericht sollte die ausschließliche Zuständigkeit für Streitigkeiten bekommen, die mit dem EU-Patent zusammenhängen, insbesondere für Klagen wegen Patentverletzung, Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten oder Klagen auf Schadensersatz.

Die Idee dahinter war, dass ein einheitliches Gericht, welches sowohl über EU-Patente, als auch europäische Patente verbindlich entscheiden kann, zur Rechtssicherheit beitragen wird. Die bisherige Praxis bei europäischen Patenten, also solchen, die vom Europäischen Patentamt als Bündel nationaler Patente vergeben werden, war nämlich, dass ein entsprechendes Patent von den Gerichten eines Landes für nichtig, von den Gerichten eines anderen Landes hingegen für wirksam erklärt werden konnte.

Um dies zu vermeiden, sollte den nationalen Gerichten und den EU-Gerichten die Kompetenz zur Entscheidung von Streitigkeiten bezüglich des neuen EU-Patents entzogen und dem neu zu schaffenden Gericht übertragen werden. Genau hierin sah der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Gutachten aber ein Problem.

Unionsrecht darf nur von Unionsgerichten ausgelegt werden

Der EuGH unterstrich, dass die Verträge es der Union erlauben, einem völkerrechtlichen Vertrag beizutreten, in dessen Rahmen auch ein unabhängiges Gericht zur Entscheidung von Streitigkeiten geschaffen wird - so geschehen zum Beispiel beim Gericht für den Europäischen Wirtschaftsraum. Allerdings, so die Europarichter, könne dies nur für Streitigkeiten gelten, die die Auslegung des völkerrechtlichen Vertrages selbst betreffen. Das geplante Übereinkommen über das Gericht für europäische Patente und EU-Patente würde dem neuen Gericht hingegen auch die Kompetenz zur Auslegung der EU-Patentverordnung und des relevanten Unionsrechts übertragen.

Der EuGH machte deutlich, dass dies gegen das Unionsrecht verstößt. Denn über die Wahrung der Unionsrechtsordnung und des Gerichtssystems der Union wachen der Gerichtshof der Europäischen Union und die Gerichte der Mitgliedstaaten gemeinsam. Da die Wahrung des Rechtssystems der Union den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegt, kann ein außerhalb des Rechtsrahmens der Union geschaffenes Gericht diese Aufgabe nicht übernehmen.

Dies wäre aber der Fall, wenn das neue Gericht die ausschließliche Zuständigkeit für Patentstreitigkeiten, insbesondere auch Klagen auf Schadensersatz, erhielte und die mitgliedstaatlichen Gerichte somit darüber nicht mehr entscheiden dürften. Sollte zudem das neue Gericht das Unionsrecht falsch auslegen und anwenden, wären die Betroffenen der Möglichkeit beraubt, von den Mitgliedstaaten Schadensersatz zu fordern, wie es bisher nach der Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache "Köbler") bei unionsrechtswidrigen Urteilen der mitgliedstaatlichen Gerichte der Fall ist.

Unionsrecht, so der Tenor des EuGH-Gutachtens, dürfe nur von "ordentlichen Unionsgerichten" ausgelegt und angewandt werden.

EU-Patent ist nicht in Gefahr

Die Bewertung der Europarichter bedeutet dennoch keine Gefährdung der Pläne für die Einführung eines EU-Patents. Lediglich die gerichtliche Durchsetzung bei Patentstreitigkeiten muss neu überdacht werden. Denkbar wäre, für die Erteilung der EU-Patente eine neue Behörde zu schaffen, ähnlich dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt, das für die Eintragung von Gemeinschaftsmarken zuständig ist.

Für Streitigkeiten könnten ein im Rechtsrahmen der Union geschaffenes Patentgericht oder die Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig sein, die zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts Rechtsfragen dem EuGH vorlegen könnten.

Dann wäre den Vorgaben des EuGH, der seine alleinige Kompetenz zur Auslegung des Unionsrechts schützen möchte, genüge getan.

Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

 

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Zitiervorschlag

Przemyslaw Roguski, Gutachten zum Europäischen Patentgericht: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2760 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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