BGH lehnt Filesharing-Haftung von Eltern für ihre Kinder ab: Fragwürdige Erziehungsmethoden aus Karlsruhe

2/2: Wer erziehen will, muss auch kontrollieren

Der BGH hat dagegen mit seinem Urteil den altbewährten Grundsatz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" verworfen. Dass er damit ein recht fragwürdiges Erziehungsbild postuliert, zeigt sich, wenn man die Entscheidung auf andere Lebenssachverhalte überträgt. Denn natürlich ist es pädagogisch sinnvoll, seinem Kind etwa vor Augen zu führen, dass es seine Hausaufgaben zu erledigen hat. Ihrem Erziehungsauftrag kommen Eltern indessen nur dann nach, wenn sie deren Erledigung auch tatsächlich stichprobenartig kontrollieren.

Ein wenig polemisch formuliert: Können Eltern sich fortan auch dann exkulpieren, wenn ihr Kind CDs stiehlt oder ein Haus anzündet, sofern sie nachweisen können, dass sie es zuvor darüber belehrt haben, dass das verboten ist?

Es liegt auf der Hand, dass die Karlsruher Richter dies nicht zum Ausdruck bringen wollten. Warum sie gerade bei Rechtsverletzungen im Internet bloß eine einfache Belehrung ohne Kontrollmechanismus ausreichen lassen möchten, erschließt sich nicht.

Eine Kontrolle soll nur ausnahmsweise dann nötig sein, wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind das Internet zu rechtswidrigen Zwecken nutzt. Der Nachweis solcher Anhaltspunkte aber dürfte für die Rechteinhaber schwierig werden. Sie haben keinen Einblick in die Famlienverhältnisse – und damit keine Handhabe, wenn sie nicht die Eltern bereits zuvor einmal wegen eines unberechtigten Uploads in einer Tauschbörse angeschrieben haben.

Ein wenig weitsichtiges Urteil

Vielleicht will der BGH, der sich in jüngerer Zeit sowohl bei der Haftung von Betreibern eines ungesicherten WLAN-Netzwerks (Urt. v. 12.05.2010, Az. I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) als auch bezüglich des gewerblichen Ausmaßes beim Auskunftsanspruch der Rechteinhaber gegen Internet-Provider (Beschl. v. 19.04.2012, Az. I ZB 80/11 – Alles kann besser werden) zugunsten der Musikindustrie entschieden hat, mit der neuen Entscheidung zeigen, dass er sich nicht vollständig von ihr vereinnahmen lässt.

Dabei wäre es wenig weitsichtig, gerade bei der sensiblen Frage der Haftung der Eltern den "Abmahngegnern" Rückenwind zu geben. Ein Großteil der Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen wird von Kindern beziehungsweise Jugendlichen begangen. Können die Rechteinhaber gegen diese Rechtsverletzungen nicht mehr vorgehen, läuft der überwiegende Teil der Abmahnungen ins Leere und der Abschreckungseffekt bei den tatsächlichen Tätern ist gleich Null.

Zudem können sich fortan auch Eltern auf die Karlsruher Entscheidung berufen, die selbst urheberrechtswidrig Musik tauschen. Die Behauptung, das ordnungsgemäß belehrte Kind sei am Rechner gewesen, dürfte nur äußerst schwer zu widerlegen sein.

Geht die Tonträgerindustrie nun gegen die Kinder vor?

Allerdings können die Rechteinhaber natürlich auch die Kinder selbst auf Unterlassung  und Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn sie älter als sieben Jahre sind und "bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" haben.

Diese Schwelle ist niedrig, es bedarf nur eines allgemeinen Verständnisses dafür, dass das Verhalten Gefahren herbeiführen kann. Beim Filesharing dürfte sie schnell überschritten sein: Missachtet der Jugendliche vorausgegangene Verbote und Warnungen oder umgeht gar installierte Schutzmaßnahmen, haftet er voll.

Sollten die Rechteinhaber sich tatsächlich entschließen, statt der Eltern künftig deren Kinder in Anspruch zu nehmen, dürfte der Aufschrei all jener, die Abmahnungen ohnehin schon unappetitlich finden, jedenfalls mit Sicherheit groß sein. Fest steht aber, dass die Entscheidung des BGH nicht dazu beitragen wird, das Unrechtsbewusstsein der Gesellschaft im Allgemeinen und von Kindern und Jugendlichen im Besonderen bei Aktivitäten in Tauschbörsen zu fördern.

Der Autor Arno Lampmann ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Partner der Rechtsanwälte Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum. Der Autor Andreas Biesterfeld ist Rechtsanwalt ebenda mit Schwerpunkt im Bereich Urheberrecht.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Arno Lampmann und Andreas Biesterfeld-Kuhn, BGH lehnt Filesharing-Haftung von Eltern für ihre Kinder ab: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7570 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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