Nach einer Vorlage des BAG entschied der EuGH am Donnerstag, dass ein abgelehnter Bewerber gegen den Arbeitgeber keinen Auskunftsanspruch im Bewerbungsverfahren hat. Auch dann nicht, wenn er vermutet, aufgrund diskriminierender Merkmale nicht genommen worden zu sein. Jan Tibor Lelley und Friederike Winters über die Auswirkungen des Urteils für die Personalpraxis.
Nach einem Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus Mai 2010 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag über den Fall einer russischstämmigen Systemtechnik-Ingenieurin, die sich erfolglos auf eine Stellenanzeige eines deutschen Unternehmens als "Softwareentwickler/-in" beworben hatte (Urt. v. 19.04.2012, Az. C-415/10).
Dabei war sie erst gar nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Das Unternehmen teilte ihr auch nicht mit, ob ein anderer Bewerber eingestellt wurde und welche Kriterien für die Bewerbung maßgeblich waren. Die Ingenieurin war der Meinung, dass sie die Anforderungen der Stellenausschreibung erfülle und allein wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft nicht berücksichtigt worden sei – ohne für Letzteres jedoch Indizien benennen zu können.
Informationsanspruch für AGG-Kläger?
Vor den deutschen Arbeitsgerichten hatte sie zum einen vom dem beklagten Unternehmen eine Entschädigung in Geld nach den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verlangt. Zum anderen begehrte sie die Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers, um nachweisen zu können, dass sie besser qualifiziert und daher diskriminiert worden sei.
Nachdem die ersten beiden Instanzen diesem Verlangen nicht nachgekommen waren, legte das BAG die Sache dem EuGH vor. Das höchste deutsche Arbeitsgericht war wie die Vorinstanzen der Auffassung, dass allein die Behauptung der Ingenieurin nicht zu einer Beweisbelastung des Unternehmens i.S.d. § 22 AGG führe; der Darlegungslast sei durch diese noch nicht genüge getan worden.
Das Gericht erkannte jedoch, dass der Klägerin der Vortrag weiterer Umstände nicht möglich gewesen sei, weil das Unternehmen keine Angaben zu den Gründen der Ablehnung gemacht hatte. Ein somit für die Bewerberin erforderlicher Auskunftsanspruch, wer eingestellt wurde und welche Kriterien für die Auswahl maßgeblich gewesen seien, ergebe sich allerdings nicht aus dem deutschen Recht. Ob dies mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, müsse das europäische Gericht entscheiden.
Es bleibt dabei: Beweislast in zwei Schritten, kein Auskunftsanspruch
Der EuGH musste sich also mit der Frage beschäftigen, ob sich aus Artikel 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54, Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 200/43 sowie Artikel 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ein Auskunftsanspruch für den abgelehnten Bewerber ergibt. Zum Beispiel dann, wenn schlüssig darlegt wird, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt.
Das Gericht verweist in seiner Entscheidung darauf, dass es bereits im Jahr 2011 zu dem praktisch wortgleichen Artikel 4 Abs. 1 der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie 97/80 im Fall Kelly eine Entscheidung zur Beweislastregelung erlassen habe. Dort hatten die europäischen Richter dargelegt, dass die sich auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes berufende Person zunächst Tatsachen glaubhaft machen muss, die für eine Diskriminierung sprechen. Erst danach muss die andere Seite den Nachweis erbringen, dass es eine solche Diskriminierung nicht gab. Daher folge aus der Richtlinie kein Anspruch darauf, Einsicht in Informationen zu nehmen, um die Glaubhaftmachung überhaupt erst zu ermöglichen.
In konsequenter Fortsetzung dieser Rechtsprechung lehnte der EuGH daher mit der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung einen Auskunftsanspruch des abgelehnten Bewerbers ab. Der Gerichtshof weist allerdings zugleich darauf hin, dass die nationalen Gerichte bei der Beurteilung, ob genügend Indizien für das Vorliegen einer Diskriminierung sprechen, alle Umstände des Falles zu berücksichtigen haben. Auch die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch den Arbeitgeber kann also herangezogen werden.
Schutz für andere Bewerber
Der EuGH hat den von der Klägerin geltend gemachten Auskunftsanspruch zu recht abgelehnt. Bereits der Wortlaut der betroffenen Richtlinien stützt einen solchen nicht. Zudem hatte die Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag einen Auskunftsanspruch vorgesehen, der dann jedoch keinen Einzug in die Endversion fand.
Es ist also zweifelsohne kein redaktionelles Versehen, dass ein abgelehnter Bewerber keinen Auskunftsanspruch hat, sondern vom europäischen Gesetzgeber genauso durchaus beabsichtigt.
Die Regelungen der Richtlinie zielen darauf, das Gleichgewicht zwischen dem Diskriminierungsopfer einerseits und dem Arbeitgeber andererseits zu wahren. Nur so wird verständlich, dass sie die Beweislast in zwei Schritten regeln.
Das vermeintliche Opfer muss zunächst eine Vermutung glaubhaft machen, damit die Beweislast dann auf die andere Partei, das ablehnende Unternehmen, übergeht. Für den abgelehnten Bewerber wurde also bereits eine Beweiserleichterung geschaffen, ohne aber zugleich eine einseitige und generelle Beweislastverteilung zulasten des potenziellen Arbeitgebers vorzunehmen. Nicht zuletzt sorgt die Entscheidung vom Donnerstag aber auch dafür, dass die Daten der anderen Bewerber, die im Rahmen eines Auskunftsanspruchs offenbart werden müssten, geschützt werden.
Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner, Friederike Winters, LL.M. ist Rechtsanwältin bei Buse Heberer Fromm Rechtsanwälte Steuerberater PartG.
Jan Tibor Lelley, EuGH zu abgelehnten Bewerbern: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6039 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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