2/2: Aufsichtsbehörden als Super-Kontrollinstanz?
Auf die Folgen einer zu extensiven Definition des Begriffs der „audiovisuellen Mediendienste“ hatte Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen selbst hingewiesen, wenn auch nur, um den EuGH zu einer einschränkenden Auslegung zu bewegen.
Hierzu gehört laut Szpunar insbesondere der Umfang der administrativen Kontrolle, die, "eine riesige Herausforderung für die Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten" darstellen würde, weil es so leicht sei, Internetseiten zu erstellen "und beliebige Inhalte, darunter audiovisuelle" einzufügen.
Die Regulierungsbehörden müssten tatsächlich künftig "das Internet" überwachen. Sie müssten es, wie derzeit auch die Inhalte im Fernsehen, ständig monitoren und kontrollieren, Verstöße feststellen, ihre Beseitigung anmahnen und ggf. am Ende Sanktionen aussprechen.
Der Versuch einer allzu weitgehenden Regulierung könnte daher, so der Generalanwalt, dazu führen, dass die Richtlinie ihre Effektivität selbst in dem Bereich verliere, dessen Regelung sie bestimmungsgemäß dient. Darüber hinaus sind audiovisuelle Mediendienste bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu registrieren, woran einige Mitgliedstaaten wie z. B. Großbritannien, weitere Pflichten, etwa zur Entrichtung von Gebühren, knüpften.
Führt der EuGH ein strukturelles Vollzugsdefizit ein?
Den Gerichtshof scheinen diese Folgen nicht zu schrecken. Im Gegenteil betont er, dass die Richtlinie darauf abziele, in einem besonders wettbewerbsstarken Medienumfeld alle Anbieter, die sich an das gleiche Publikum richten, den gleichen Regeln zu unterwerfen. Daher müsse verhindert werden, dass audiovisuelle Mediendienste auf Abruf, wie die fragliche Videosammlung, dem herkömmlichen Fernsehen gegenüber unlauteren Wettbewerb betreiben können. Unterschiede in der technischen Verbreitungsart stören den EuGH dabei nicht.
So sehr das Bestreben der Richter zu begrüßen ist, lineares Fernsehen und Abrufdienste mit audiovisuellen Inhalten denselben Wettbewerbsbedingungen und damit vor allem denselben Werberestriktionen zu unterwerfen, so ernst sind doch auch die Bedenken des Generalanwalts zu nehmen, die Richtlinie könnte damit insgesamt ihrer Effektivität beraubt werden.
Sollten nämlich die Aufsichtsbehörden künftig für Verstöße gegen Werbebestimmungen wie etwa verbotene Schleichwerbung auf diversen youtube-Kanälen zuständig werden, diese jedoch tolerieren, weil sie gar nicht die Ressourcen dazu haben, "das Internet" zu kontrollieren, könnten sich rechtstreue Anbieter audiovisueller Mediendienste oder auch Rundfunkanbieter recht schnell fragen, warum sie sich – freiwillig - an die Bestimmungen der Richtlinie halten.
Diese Argumentation, die nach dem Gleichheitsgrundsatz keineswegs abwegig ist, ist aus dem Steuerrecht bekannt und anerkannt (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.6.1991, Az. 2 BvR 1493/89). Im Glücksspielsektor hat die Geltendmachung eines "strukturellen Vollzugsdefizits" erst kürzlich dazu geführt, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 01.04.2015, Az. 5 L 1453/14) ein Fernseh-Werbeverbot für unanwendbar erklärt hat.
Mit der Entscheidung vom heutigen Tag hat der EuGH den Ball demnach nicht nur weit in die Hälfte der mitgliedstaatlichen Medienaufsichten gespielt, sondern gleichzeitig das Spielfeld ganz erheblich vergrößert.
Der Autor Prof. Dr. Markus Ruttig ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner bei CBH Rechtsanwälte und Lehrbeauftragter für Urheber- und Medienrecht an der Hochschule Fresenius in Köln.
Markus Ruttig, EuGH zu audiovisuellen Mediendiensten: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17297 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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