EuGH bejaht Prüferhaftung für Medizinprodukte: Muss der TÜV für feh­ler­hafte Bru­st­im­plan­tate zahlen?

von Dr. Florian Niermeier

16.02.2017

2/2: EuGH: Wen die benannte Stelle schützt und wie sie das tun muss

Der EuGH folgt mit seinem Urteil vom Donnerstag weitgehend den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 15. September 2016 und bejaht im Kern die vom BGH vorgelegten Fragen.

Zur ersten Vorlagefrage stellt der Gerichtshof fest, dass die benannte Stelle im Rahmen des Medizinprodukterechts zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die genauen tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der benannten Stelle unterliegen jedoch dem nationalen Recht.

Auf Basis dieser für den BGH verbindlichen Antwort ist eine Haftung des TÜV Rheinland nicht ausgeschlossen. Die klagende Patientin kann in den Schutzbereich des zwischen TÜV und PIP geschlossenen Vertrags einbezogen worden sein; vor allem aber stellen die relevanten Normen des Medizinprodukterechts Schutzgesetze im Sinne des deutschen Deliktsrechts dar.

Die zweite und dritte Vorlagefrage bejaht der EuGH grundsätzlich, aber mit einer Einschränkung. Für die benannte Stelle besteht ausdrücklich keine generelle Pflicht, Medizinprodukte zu prüfen, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen. Allerdings gibt es eine solche Pflicht anlassbezogen: Wenn die benannte Stelle Hinweise darauf hat, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie möglicherweise nicht erfüllt, muss sie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus der Medizinprodukte-Richtlinie nachzukommen.

Zu diesen anlassbezogenen Pflichten gehört insbesondere, dass sich die benannte Stelle davon überzeugt, dass der Hersteller die Vorgaben seines Qualitätssicherungssystems einhält und dass sie ggf. feststellt, ob die EG-Konformitätserklärung für das Produkt aufrecht erhalten werden kann.

Benannte Stellen sollten Systeme implementieren und dokumentieren

Es ist nun am BGH, zu entscheiden, ob der TÜV Rheinland tatsächlich haftet. Die Karlsruher Richter werden prüfen, ob es Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Implantate gab und ob der TÜV Rheinland seine dann bestehenden anlassbezogenen Prüfungspflichten verletzt hat.

Die Folgen des Urteils aus Brüssel gehen weit über den konkreten Einzelfall hinaus. Der EuGH hat sich klar zur rechtlichen Einordnung von Überwachungstätigkeiten benannter Stellen, den Voraussetzungen für eine mögliche Haftung dieser Stellen und zum drittschützenden Charakter des Medizinprodukterechts positioniert. Das werden auch Gerichte anderer EU-Staaten beachten müssen.

Für die Beratung benannter Stellen bedeutet das, dass diese europaweit ihre internen Prozesse daraufhin überprüfen sollten, ob sie mit ihren bestehenden Abläufen den Anforderungen des EuGH gerecht werden. Dabei sollten sie Systeme implementieren, mit denen Hinweise auf eine Nichtkonformität der Produkte erkannt und die erforderlichen weiteren Prüfschritte eingeleitet werden. Wichtig ist auch die Dokumentation dieser Systeme und der im Einzelfall getroffenen Entscheidungen sowie der weiteren Prüfschritte. Benannte Stellen sollten schließlich ihren bestehenden Versicherungsschutz prüfen und ggf. aufstocken.

Ihre Pflichten werden auch unter der künftigen europäischen Medizinprodukteverordnung nicht weniger umfangreich werden. Der Verordnungsentwurf sieht insbesondere auch unangekündigte Inspektionen und stichprobenartige Kontrollen von Medizinprodukten vor. Darauf sollten sich nicht nur die benannten Stellen, sondern auch alle anderen auf dem Feld der Medizinprodukte tätigen Wirtschaftsakteure einstellen.

Der Autor Dr. Florian Niermeier ist Rechtsanwalt bei Noerr LLP in München. Als Mitglied der Praxisgruppen Prozessführung, Schiedsverfahren & ADR sowie Gesundheitswesen ver-tritt er Mandanten in streitigen Verfahren und berät sie zu Fragen des Medizinprodukte-rechts.

Zitiervorschlag

EuGH bejaht Prüferhaftung für Medizinprodukte: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22128 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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