Mündliche Verhandlung vor dem EuGH: Bus­fahrer als Grenz­beamte im Schen­gen­raum?

Gastbeitrag von Dr. Constantin Hruschka

07.06.2018

Das Aufenthaltsgesetz zwingt Beförderungsunternehmen, bei Fahrten aus einem EU-Staat nach Deutschland die Papiere der Fahrgäste zu kontrollieren. Ob das rechtens ist und Busfahrer quasi zu Grenzbeamten werden, erläutert Constantin Hruschka.

Busfahrer beziehungsweise Beförderungsunternehmen generell sollen nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers ausländische Staatsangehörige nur in das Bundesgebiet befördern dürfen, wenn diese den erforderlichen Pass oder Aufenthaltstitel haben und diesen auch vorweisen können. Gegen diese faktische Pflicht zur Prüfung der Ausweise von Fahrgästen haben sich zwei im Schengen-Raum tätige Busunternehmen gewehrt. Die Bundespolizei hatte gegen die Unternehmen jeweils ein Zwangsgeld verhängt, weil sie festgestellt hatte, dass die Unternehmen wiederholt Personen aus den Niederlanden und Belgien nach Deutschland transportiert hatten, die keinen gültigen Ausweis oder Aufenthaltstitel hatten.

Das Verwaltungsgericht Potsdam hatte den Unternehmen Recht gegeben und das Zwangsgeld aufgehoben. Mit einer Sprungrevision gelangte der Fall zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Dieses legte die Frage, ob die Norm des deutschen Aufenthaltsgesetzes (§ 63 AufenthG), die vorsieht, dass ausländische Staatsangehörige nur nach Deutschland befördert werden dürfen, wenn sie im Besitz eines für die Einreise erforderlichen Passes oder Aufenthaltstitels sind, in allen Konstellationen mit dem Europarecht vereinbar ist (BVerwG, Az. 1 C 23.16).

Am Donnerstag werden die beiden Fälle also vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt. Konkret geht es um die Frage, ob gegen Busunternehmen ein Zwangsgeld verhängt werden darf, wenn sie Personen ohne gültigen Ausweis oder Aufenthaltstitel aus einem anderen Schengen-Staat nach Deutschland befördern. Das Zwangsgeld kann in der Praxis nur vermieden werden, wenn die Busunternehmen vor der Einreise nach Deutschland eine Kontrolle der Dokumente vornehmen. Neben der Frage, ob die Busunternehmen für eine solche Prüfung qualifiziert sind, stellt sich auch die Frage, ob diese Kontrollen auch rechtmäßig sind oder zumindest sein können.

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Doch wieso ist das überhaupt fraglich? In seinem Vorlagebeschluss verweist das deutsche BVerwG vor allem auf die Wirkung der Norm, die die Unternehmen  "im Ergebnis verpflichtet, die Grenzübertrittsdokumente ihrer Passagiere vor dem Überschreiten einer Binnengrenze zu kontrollieren." Es stellt gleichzeitig klar, dass es sich nicht um einen Fall handelt, in dem die Binnengrenzkontrollen in Übereinstimmung mit dem Grenzkodex vorübergehend wiedereingeführt wurden, sondern die Norm (§ 63 AufenthG) grundsätzlich in jeder Situation anzuwenden wäre.

Im Kern geht es um mehrere Fragen:

1)    Sind die Ausweiskontrollen durch die Busunternehmen als Grenzkontrollen zu qualifizieren oder als Maßnahmen, die die gleiche Wirkung haben?

Wäre eine der beiden Konstellationen gegeben, wären die Kontrollen vor dem Überschreiten von Binnengrenzen des Schengen-Raumes rechtswidrig, da diese grundsätzlich ohne Kontrollen überschritten werden dürfen. Art. 22 des Schengener Grenzkodex (SGK) regelt diesbezüglich: "Die Binnengrenzen dürfen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden."

2)    Sind die Maßnahmen der Busunternehmen als Ausübung polizeilicher Befugnisse im Sinne von Art. 23 Abs. 1 SGK zu qualifizieren?

Wäre dies der Fall, könnten die Kontrollen dann gerechtfertigt sein, wenn sie keine Grenzkontrolle zum Ziel haben oder wenn sie auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit namentlich auf die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität abzielen.

3)    Sind Zwangsgelder bei der Beförderung von Personen, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, eine mögliche Sanktion gegen Beförderungsunternehmen, die keine Kontrollen durchführen? Beziehungsweise weiter gefasst: ist die Verpflichtung, die sich aus der Norm ergibt, ausreichend klar?

Erst im letzten Jahr hatte der EuGH (Urt. v. 21.6.2017, Az. C-9/16) klargestellt, dass bei Personenkontrollen an Binnengrenzen jegliche Maßnahmen, die die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben, gegen Unionsrecht verstoßen, wenn sie nicht vom Gesetz ausreichend klar definiert sind.

Zudem stellt das BVerwG die Frage, inwieweit die Verpflichtung zur Durchführung von Passkontrollen Art. 67 Abs. 2 AEUV, nach dem sicherzustellen ist, dass an den Binnengrenzen nicht kontrolliert wird, entgegensteht.

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Interessanterweise beschäftigt sich der Vorlagebeschluss aber nicht mit der Frage, ob durch die Pflicht zur Identitätskontrolle die gemäß Art. 56 AEUV geschützte Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt wird.

Angesichts des hohen Wertes, den der EuGH der Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum generell und der Dienstleistungsfreiheit im Speziellen zumisst, ist es schwer vorstellbar, dass er es für generell zulässig hält, Beförderungsunternehmen die Verpflichtung aufzuerlegen, innerhalb des Schengen-Raumes Ausweisdokumente vor dem Überschreiten einer Binnengrenze zu kontrollieren und bei Zuwiderhandlungen Zwangsgelder zu verhängen. Gerade weil eine Kontrolle der Ausweisdokumente nicht vorgesehen ist, kann eine faktische Auslagerung auf private Dritte wohl mit guten Gründen als "Grenzübertrittskontrolle light" und somit als rechtswidrig angesehen werden. Die Wirkung der Maßnahme der Busunternehmen auf die kontrollierte Person ist die einer Grenzkontrolle - und diese soll im Schengen-Binnenraum eben gerade nicht stattfinden.

Für diese Ansicht spricht auch, dass gegen Einreiseverweigerungen Rechtsmittel zur Verfügung stehen müssen. Die Auslagerung der Ausweiskontrolle auf private Anbieter, die dann - wenn sie Zwangsgelder vermeiden wollen - die Beförderung verweigern müssen, unterliegt jedoch keinem Rechtsschutz.

Der EuGH zwischen Freizügigkeit und Migrationskontrolle

Auch aus freizügigkeitsrechtlicher Sicht spricht viel dafür, die faktische Verpflichtung zur Ausweiskontrolle insbesondere als nicht generell gerechtfertigte Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, da sie faktisch die Dienstleistungsfreiheit aus Gründen, die sich nicht aus dem Beförderungsvertrag ergeben, einschränkt. Die Unternehmer sind dadurch im grenzüberschreitenden Verkehr faktisch gehindert, diese Personen zu befördern, obwohl diese (entgeltlich) befördert werden wollen. Zudem beeinträchtigt § 63 AufenthG auch dadurch die Freizügigkeit, dass er im Hinblick darauf, welche Maßnahmen Beförderungsunternehmen genau unternehmen müssen, damit kein Zwangsgeld verhängt wird, sehr unklar ist.

Es erscheint gut möglich, dass der EuGH in diesem Fall nochmals daran erinnern wird, dass alle Maßnahmen in dieser Hinsicht dann gerechtfertigt sein können, wenn die Voraussetzungen für die vorrübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen gemäß Art. 25 SGK vorliegen. Damit würde er die Freizügigkeit im Schengen-Raum generell schützen und der Sondersituation der "ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung", die die Wiedereinführung von Grenzkontrollen rechtfertigt, Rechnung tragen.

Der Fall liegt aber auch anders als bei den carrier sanctions (Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen) die darauf zielen, eine unerlaubte Einreise in den Schengen-Raum zu verhindern. Auch diese werden durchaus europarechtlich kritisch gesehen, für ihre Einführung ergibt sich aber direkt aus der Richtlinie 2001/51/EG eine Verpflichtung, die für die Beförderungsunternehmen, die innerhalb des Schengen-Raums arbeiten, gerade nicht besteht.

Würde der EuGH anders entscheiden, wäre das Ziel der EU-Kommission, die Reisefreiheit im Schengen-Raum umfassend wiederherzustellen, ernsthaft gefährdet.

Der Autor Dr. Constantin Hruschka ist Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Zuvor arbeitete er als Leiter der Abteilung Protection der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH sowie als Jurist für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Er unterrichtet Europäisches Recht und Internationales, Europäisches und nationales Asyl- und Flüchtlingsrecht an den Universitäten Bielefeld, Erlangen-Nürnberg und Fribourg (Schweiz) und ist Mitglied der Eidgenössischen Migrationskommission EKM.

Zitiervorschlag

Mündliche Verhandlung vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29007 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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