BVerfG zum "Schmähgedicht": Ent­schei­dung im Böh­m­er­mann-Fall steht bevor

von Dr. Felix W. Zimmermann

09.02.2022

Im Rechtsstreit zwischen dem türkischen Präsidenten und dem deutschen Satiriker deutet das Ausscheiden eines Richters auf einen zeitnahen Beschluss des BVerfG hin: Zulässige Satire oder Schmähkritik? Worauf es ankommen wird.

Prof. Dr. Andreas Paulus ist seit dem 16. März 2010* Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Er ist Berichterstatter im Böhmermann-Fall. Das heißt, er ist für die Vorbereitung des Falls und für die Ausarbeitung der Begründung zuständig. Paulus’ Amtszeit endet planmäßig am 15. März 2022.  Die Verkündung im Böhmermann-Fall dürfte also nicht mehr lange auf sich warten lassen.   

Fast sechs Jahre ist es nun her, seitdem Jan Böhmermann mit seinem an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gerichteten "Schmähgedicht" in seiner damaligen Sendung auf "ZDFneo" eine Staatsaffäre auslöste, wochenlang die Schlagzeilen beherrschte. Auch dass die Bundesregierung die Strafverfolgung gegen Böhmermann wegen Beleidigung ausländischer Regierungspolitiker nach § 103 a.F. Strafgesetzbuch (StGB) gestattete, sorgte für kontroverse Debatten, die letztlich zur Streichung des Straftatbestandes im Jahre 2017 führten.

In der öffentlichen Rezeption nach der Sendung am 31. März 2016 fiel zunächst der kritisch-satirische Kontext des Gedichts unter den Tisch. Das lag vor allem daran, dass Bild.de das Schmähgedicht unvollständig in einer stark zusammengeschnittenen Version veröffentlichte. Wie später bekannt wurde, informierte sich die Bundeskanzlerin ebenfalls mittels dieses verkürzten Videos bei BILD.de über den Fall und verurteilte den Beitrag anschließend als "bewusst verletzend" - ohne Kenntnis seiner Meta-Ebene und Gesamtbedeutung. Die gegen diese Äußerung gerichtete Klage von Böhmermann vor dem Verwaltungsgericht Berlin war erfolglos.

Keine Schmähung, sondern satirische Vorlesung?  

Juristisch war immer klar, dass das Gedicht alleinstehend betrachtet als Sammelsurium übelster Beschimpfungen (etwa: "am liebsten mag er Ziegen ficken") eine Rechtsverletzung darstellt. So referiert auch Böhmermann im Beitrag selbst darüber, dass eine Schmähkritik unzulässig ist. Doch äußerungsrechtlich ist die Frage, ob eine solche vorliegt, vom Kontext abhängig. Der von Böhmermann auch thematisierte Hintergrund für das "Schmähgedicht" war, dass der türkische Staatspräsident wegen eines überaus harmlosen Satirebeitrags von extra 3 (NDR) den deutschen Botschafter einbestellte, zudem der Präsident in der Türkei Kritik unterdrückt, drakonisch gegen ihn kritisierende Journalist:innen vorgeht. Daran anknüpfend präsentiert Böhmermann das "Schmähgedicht", das er immer wieder für rechtliche Erörterungen über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Äußerungen unterbricht. Die kontrovers diskutierte und bis heute offene Rechtsfrage lautet: Ist aufgrund der Gesamtkontextes des Beitrages, der darauf abzielt, dem autoritären Herrscher Erdogan die tatsächlichen Grenzen der Meinungsfreiheit aufzuzeigen, von einer zulässigen Satire auszugehen?

Im ZDF wurde diese Frage zunächst verneint. Der Beitrag wurde aus der Mediathek entfernt, ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler äußerte, die Grenzen von Ironie und Satire seien vorliegend "klar überschritten." Kurz nachdem Böhmermann öffentlich äußerte, "ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe", änderte das ZDF seine Auffassung und unterstützte Böhmermann. In einer Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft führte es aus, dass die Satirefreiheit auch den Einsatz grober Stilmittel schütze. Die Unterstützung ging indes nicht so weit, den Beitrag auch wieder in die Mediathek aufzunehmen. Dem stünden "Qualitätsansprüche und Regularien des ZDF" entgegen, was aber "von der strafrechtlichen Bewertung der in Rede stehenden Sequenz klar zu trennen" sei.

Staatsanwaltschaft: Ernstlicher Angriff auf Ehre nicht naheliegend

Die Strafjustiz sah dies ebenso. Die Staatsanwaltschaft Mainz hatte schon bei der Frage, ob der objektive Tatbestand der Beleidigung erfüllt ist, Zweifel. Das “Schmähgedicht” sei eine "geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibung negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten – offensichtlich beabsichtigt – fehlt". Ein ernstlicher Angriff auf die Ehre des Staatsoberhaupts sei Böhmermann angesichts dieser eindeutigen Distanzierungen nicht naheliegend. Es fehle also zumindest der Beleidigungsvorsatz. Die Beschwerde Erdogans dagegen bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz war erfolglos.   

Die Zivilgerichtsverfahren, bei denen es für die Frage eines Unterlassungsanspruchs nicht maßgeblich auf einen Vorsatz ankommt, verliefen für Erdogan hingegen überwiegend erfolgreich. Das Landgericht (LG) Hamburg verbot am 17. Mai 2016 per einstweiliger Verfügung  18 der 24 Zeilen und bestätigte diese Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren am 10. Februar 2017 (324 O 402/16). Zwar müsse sich Erdogan heftige Kritik gefallen lassen, da die Meinungsfreiheit aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen sei, er sei hierdurch aber nicht völlig schutzlos. Es liege auf der Hand, dass der von einer Beleidigung Betroffene diese nicht bereits deswegen hinzunehmen hat, weil sie ersichtlich nicht ernsthaft gemeint ist. Die untersagten Textpassagen überschritten das Maß dessen, was Erdogan hinnehmen müsse, auch wenn an eine satirische Einkleidung weniger strenge Maßstäbe anzuwenden seien. Etwa die Zeile „sackdoof, feige und verklemmt“ hielt das LG aber für zulässig, da hiermit in zulässig überspitzter Form die Politik Erdogans kritisiert werde.

OLG Hamburg: Keine Vorlesung, sondern Kritik an Erdogan   

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg bestätigte jeweils die Entscheidung des LG, u.a. im Urteil vom 15. Mai 2018 (7 U 34/17). Es ergänzte, dass teilweise die Menschenwürde Erdogans verletzt sei. Das Aussprechen von Beleidigungen sei zudem auch dann rechtswidrig, wenn ihr – wie im Fall Böhmermann – die Ankündigung vorausgehe, jetzt werde lediglich ein Beispiel für eine unzulässige Beleidigung gegeben.  

Zum Argument Böhmermanns, dass das Gedicht nur in seiner Gesamtheit gewürdigt und nicht sezierend einzelne Textstellen als unzulässig bewertet werden könnten, stellte das OLG fest, dass die Alternative für ihn das Gesamtverbot des Beitrags wäre und die Teiluntersagung daher das mildere Mittel. Beim "Schmähgedicht" handele es sich nicht um eine vorlesungs- oder seminarähnliche Demonstration möglicher Arten von Meinungsäußerungen, sondern eine konkret auf Erdogan bezogene Kritik. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen angeblich fehlender grundsätzlicher Bedeutung zurück (Beschl. v. 30.07.2019, Az. VI ZR 231/18).

Böhmermann legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG nahm sich der Sache an und forderte Fachgesellschaften zu Stellungnahmen auf, die entsprechend der kontroversen Diskussionen ebenfalls nicht zu einem einheitlichen Meinungsbild führten. So argumentierte Bernharnd Schlink, Rechtsprofessor und Bestsellerautor ("Der Vorleser") in einer Stellungnahme von ver.di, das Gedicht richte sich nicht gegen die Person Erdogan, sondern gegen ihn in seiner Rolle als Staatsoberhaupt, "in der er beansprucht, ihm geltende Kritik unterdrücken zu dürfen, und in der er sie unterdrückt". Der Verfassungsbeschwerde sei stattzugeben. Die Bundesrechtsanwaltskammer stufte die Verfassungsbeschwerde hingegen mehrheitlich als unbegründet ein, mit dem Argument, die Beschimpfungen beinhalteten keine Sachauseinandersetzung, weil sie nichts mit der berechtigten Kritik an Erdogan zu tun hätten.

BVerfG hat viele Aspekte zu prüfen 

Da das BVerfG im Grundsatz nicht die Rechtmäßigkeit des Beitrags, sondern die spezifische verfassungsrechtliche Fehlerhaftigkeit der vorinstanzlichen Urteile prüft, kommt es auch darauf an, ob die Vorinstanzen dogmatisch sauber gearbeitet haben. Es fällt auf, dass die Urteile – trotz im Grundsatz tiefgehender Analyse – bei der Frage der Abwägung stellenweise oberflächlich gehalten sind. So verhält sich etwas das OLG-Urteil nicht konkret dazu, ob und wann jeweils eine Schmähkritik vorliegt, legt aber bei der rechtlichen Beurteilung teilweise die Kriterien der Schmähkritik zugrunde, ohne näher in eine Abwägung einzutreten. Ein ähnliches Vorgehen hatte das BVerfG jüngst für verfassungswidrig erklärt. Auch die Art und Weise der Aufspaltung zwischen dem Aussagekern des Gedichts und der satirischen Einkleidung, die sodann isoliert auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft wurde, ist rechtlich diskussionswürdig. Gleiches gilt für die Annahme der Hamburger Gerichte, auf die Ernsthaftigkeit einer Beleidigung komme es nicht an. Weiter könnte die Auffassung des OLG, dass die Kunstfreiheit in diesem Fall nicht einschlägig sei, für das BVerfG Anlass sein, den Fall nach Hamburg zurückzuschicken.  

Für eine abweisende Entscheidung des BVerfG spricht hingegen, dass das Gericht in letzter Zeit betont hat, dass auch Politiker nicht völlig schutzlos vor Angriffen gestellt werden dürfen – aufgrund der vorbehaltlos garantierten Menschenwürde gilt das auch für einen Despoten wie Erdogan. Auch ist der allgemeine Kurs des Gerichts in letzter Zeit verstärkt gegen Hate Speech und Verwahrlosung der Sprachkultur gerichtet. Dass Böhmermanns Gedicht bei näherer Betrachtung wohl nicht in diese Kategorie gehört, wird das Gericht sicherlich thematisieren, möglicherweise aber dennoch ein Fanal gegen einen derartigen Sprachgebrauch setzen wollen. 

 

* Hier stand zunächst versehentlich 2012

Zitiervorschlag

BVerfG zum "Schmähgedicht": . In: Legal Tribune Online, 09.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47475 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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