"Toxische" Vorhaben im Strafrecht, nächtliche Abstimmungen, und Neues zum Legal-Tech-Gesetz. Rechtspolitikerinnen und -politiker des Bundestags eröffneten in einer Diskussionsrunde auf dem Deutschen Anwaltstag schon mal den Wahlkampf.
Am Dienstagabend hatte der Deutsche Anwaltverein (DAV) im Rahmen des Deutschen Anwaltstags (DAT) 2021 zu einem "Kreuzverhör" eingeladen. Die rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen diskutierten über aktuelle Themen der Rechtspolitik wie den Pakt für den Rechtsstaat, strafrechtliche Verschärfungen oder den Berufsgeheimnisträgerschutz. Auf die Aufforderung, die rechtspolitischen Leistungen der Großen Koalition in einer Schulnote zu beziffern, wusste der rechtspolitische Sprecher der FDP Jürgen Martens nur zu antworten: "Versetzung gefährdet".
Keine bessere Note wollte auch Katja Keul, rechtspolitische Sprecherin der Grünen, vergeben. Sie wies auf die fehlende Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie hin und zählte auf: Verbandssanktionen nicht Gesetz geworden, keine Gleichstellung der Ko-Mütter im Familienrecht, im Strafrecht kein systematischer Ansatz verfolgt, sondern nur anlassbezogen Strafverschärfungen. "Die Widersprüche nehmen zu und die Arbeit auch", sagte sie. Der Justiziar der Fraktion der Linken, Friedrich Straetmanns, bemängelte ebenfalls den Abbau von Verfahrensrechten im Strafprozess und vermisste schärfere Regelungen angesichts der sogenannten Maskenaffäre gegen Lobbyismus.
Vorabankündigung zum Erfolg des Pakts für den Rechtsstaat
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Jan-Marco Luczak, betonte, dass die Große Koalition viele Gesetze verabschiedet habe wie etwa im Sexualstrafrecht und dass etwa mit der Urheberrechtsreform eine grundlegende Reform gelungen sei. Auch das Gesetz gegen Hasskriminalität habe man auf den Weg gebracht.
Ihm pflichtete der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, bei, der auch noch auf die Einführung der Musterfeststellungsklage, von der gerade VW-Kunden profitierten, verwies. Kollektiver Rechtsschutz werde auch für die nächste Legislaturperiode eine Rolle spielen. Und auch der strafrechtliche Schutz von Kindern sei ein wichtiges Vorhaben gewesen. Stolz sei er auch auf den Pakt für den Rechtsstaat. Er kündigte schonmal an, dass die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag feststellen werde, dass die Besetzung der Richterschafts- und Staatsanwaltschaftsstellen in den Ländern ein Erfolg gewesen sei. In der Runde der Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker fiel auf: Die Bundestagsfraktion der AfD war nicht vertreten.
Legal-Tech-Gesetz soll noch verabschiedet werden
Auf den letzten Metern der Legislaturperiode hat die Große Koalition noch viele Vorhaben: Die BRAO-Reform für die Anwaltschaft soll noch über die Bühne gebracht werden genauso wie das sogenannte Legal-Tech-Gesetz. Letzteres soll in der Nacht von Donnerstag auf Freitag im Plenum verabschiedet werden. Es sei ein Kompromiss gefunden worden, so Luczak. In bestimmten Bereichen wie etwa im Familienrecht soll es keine Prozessfinanzierung und kein Modell nach Erfolgshonorar geben, sagte Luczak am Dienstagabend.
Laut Fechner stehen noch rund 20 Gesetzesprojekte vor der Fertigstellung. "Eines besser als das andere", sagte der SPD-Mann. So begeistert waren nicht alle in der Runde, von dem was da noch ansteht.
Wird die Rechtskraft des Freispruchs bei Mordprozessen neu durchbrochen?
Der Einführung eines neuen Straftatbestandes "verhetzende Beleidigung" gegen Antisemitismus bescheinigte FDP-Mann Martens keine große Bedeutung in der Praxis der Strafverfolgung, ein anderes Vorhaben bezeichnete er als "toxisch" - und zwar die Diskussion um die Erweiterung der Gründe für die Wiederaufnahme eines Strafprozesses. Wer wegen einer Straftat mit Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe wie beim Mord oder Völkermord freigesprochen worden ist, gegen den soll das Verfahren wieder aufgenommen werden können, wenn nachträglich neue Beweismittel bekannt werden.
Bislang ist die Wiederaufnahme zum Nachteil des Verurteilten in § 362 Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Nur in Härtefällen, wenn sich etwas herausstellt, dass eine zugunsten des Angeklagten vorgebrachte Urkunde gefälscht war oder der Freigesprochene selbst später noch ein Geständnis über seine Tat ablegt, konnte dem Freigesprochenen doch noch eine Strafe drohen. Die Gründe dafür sind aber eng gefasst, denn sie stehen in einem Spannungsverhältnis zu Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz und dem sogenannten Verbot der Doppelbestrafung: Wer bereits einmal freigesprochen worden ist, soll nicht noch einmal wegen der gleichen Tat bestraft werden können.
Vor allem die Eile, mit der das Vorhaben nun noch "durchgezogen werden soll", mache ihm Sorgen. Unterstützung bekam Martens auch von Straetmanns, der den Plan in die Nähe eines "Tabubruchs" rückte. Er verwies darauf, dass die Änderung ohnehin nur einzelne wenige Fälle betreffe, die mit der verbesserten Kriminaltechnik über die kommenden Jahre dazu auch noch weniger werden dürften. Das alles rechtfertige entsprechend keine derart grundlegende Änderung im System des Strafrechts. Dem schloss sich auch Keul an, sie kritisierte vor allem als "befremdlich", dass ein Verfassungsthema wie die Rechtskraft des Freispruchs erst in der vorletzten Woche der Legislaturperiode den Bundestag erreicht.
Luczak verteidigte das Vorhaben. Seit den 1990er Jahre werde über dieses Thema diskutiert, es sei nichts völlig Neues. Er sieht die "nur eine moderate Fortführung" der bestehenden Systematik des § 362 StPO von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gedeckt.
Die Moderatorin Melanie Amann vom Spiegel stellte zielsicher die Frage an Fechner, wer denn bei der SPD eigentlich die treibende Kraft hinter dem Vorhaben sei. Immerhin hatte sich das SPD-geführte Bundesjustizministerium wegen verfassungsrechtlicher Bedenken aus einer solchen StPO-Änderung ausgeklinkt. Die diplomatische Antwort von Fechner: Es sei ein Vorhaben der Koalitionsfraktionen auf Basis des Koalitionsvertrags. Unterstützendes Nicken dazu kam von Luczak. Für den 21. Juni ist die Sachverständigenanhörung geplant, am 24. oder 25. Juni soll dann der Bundestag die Gesetzesänderung beschließen. Entscheiden könnte dann letztendlich das BVerfG, sollte später gegen das Gesetz geklagt werden.
Warum die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz scheiterte
Während die Lagerbildung zunächst bei der Bilanz der Legislaturperiode wenig überraschend sehr klar verlief - Linke-Grüne-FDP gegen die Regierungskoalition CDU/CSU und SPD – wurde die Bruchlinie innerhalb der GroKo beim Thema Kinderrechte ins Grundgesetz schon deutlicher.
Die Podiumsteilnehmer gaben noch einmal einen genaueren Einblick, warum die Verhandlungen zu einer Grundgesetzänderung schließlich am Montagabend endgültig gescheitert waren. Am Ende war es wohl der Versuch der Regierungsfraktionen, im Grundgesetz zu Gunsten von Kindern etwas zu ändern, ohne gleichzeitig aber verfassungsrechtlich damit irgendwelche Wirkungen zu verbinden. Alles sollte am besten so bleiben, wie es ist - eine Grundgesetzänderung unter schwierigen Vorzeichen.
Was sind die rechtspolitischen Themen für nach der Bundestagswahl?
Auch beim Thema Berufsgeheimnisschutz habe die Koalition "über Kreuz gelegen", wie Luczak sagte. So habe sich die Union auch deshalb gegen das Verbandssanktionengesetz ausgesprochen, weil sie die Trennung von Internal Investigations und Strafverteidigung als Zeichen des Misstrauens gegenüber der Anwaltschaft empfand.
Zu den wichtigen Themen für die nächste Legislatur zählte Fechner insbesondere den zweiten Pakt für den Rechtsstaat. Linke, Grüne und FDP beschäftigt unter anderem eine grundsätzliche Reform des Jurastudiums und der Prüfungen für angehenden Juristinnen und Juristen, etwa auch die Einführung eines Jura-Bachelor-Abschlusses.
Die rechtspolitische Runde auf dem nächsten Anwaltstag nach der Bundestagswahl wird in einer veränderten Ausgangslage stattfinden – dann wird sich zeigen, welche neue Vorhaben auch auf Justiz, Studierende und Anwaltschaft zukommen.
Rechtspolitiker diskutieren beim DAT 2021: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45164 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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