Viele Staaten können sich den Erwerb von Covid-19-Impfstoffen nicht leisten. Sollten die Patente daher freigegeben werden? Daniel Skiebe erläutert, dass es zu dieser Forderung durchaus rechtliche Alternativen gibt.
Während die Impfkampagne in Deutschland allmählich Fahrt aufnimmt, wurde ein Ruf in den letzten Wochen immer lauter: "Gebt die Impfstoffpatente frei." Um eine bessere Versorgung des globalen Südens und ein schnelleres Ende der Pandemie überhaupt zu sichern, fordern verschiedene Organisationen, Parteien und sogar der Vatikan eine Freigabe der Impfstoffpatente. Die Lizenzgebühren der Impfstoffhersteller seien für viele Staaten zu teuer, sagen sie. Der Patentschutz verzögere daher das Durchimpfen der globalen Bevölkerung.
Demgegenüber argumentieren forschende Pharmaunternehmen mit der Notwendigkeit des Patentschutzes als Forschungsanreiz: Erst durch einen Patentschutz würden die oft milliardenschweren Entwicklungskosten in Medikamente wirtschaftlich. Das Patentrecht stelle gerade die Anreizstruktur dar, die Innovationen im Kampf gegen die Pandemie ermöglicht und fördert, meinen auch das Europäische Patentamt und die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO). Statt der kompletten Freigabe von Impfstofflizenzen sei die Förderung von Kooperationen in Entwicklungsländern ein wirksameres Mittel des Technologietransfers.
Kostentreiber Patentrecht?
Von der Frage der Wirtschaftlichkeit abgesehen ist jedoch auch umstritten, ob die Freigabe von Patenten die globale Verfügbarkeit von Impfstoffen überhaupt verbessern könnte. Während das Patentrecht von Patentkritikern als Kostentreiber ausgemacht scheint, sehen Pharmaunternehmen den aktuellen Flaschenhals in der Verfügbarkeit von Produktionskapazitäten. Außerdem scheitere die Bereitstellung von Impfstoffen und Medikamenten demnach meist nicht an rechtlichen, sondern an faktischen Hürden wie Logistik und Korruption.
Konsens besteht immerhin dahingehend, dass die baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen für die ganze Welt der Weg aus der Pandemie ist, weil nur so die Wahrscheinlichkeit von Mutationen sinkt.
Auch im Deutschen Bundestag wird die Freigabe der Patente auf Covid-19 Impfstoffe kontrovers diskutiert: So lagen dem Gesundheitsausschuss im Februar Anträge mit der Forderung vor, unter Verwendung einer Benutzungsanweisung nach § 13 Patentgesetz (PatG) die Produktionskapazitäten zu erhöhen sowie eine internationale Aussetzung von Patentrechten zu unterstützen.
Nationale Benutzungsanordnung und Zwangslizenz
Was hat es damit auf sich? Seit dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz vom 27. März 2020 ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, eine Benutzungsanordnung (§ 13 PatG) bezüglich Arzneimitteln zu erteilen mit der Folge, dass der Patentinhaber keinen anderen mehr von der Benutzung des Patentes ausschließen kann. Das Patent selbst bleibt jedoch bestehen, woraus der Inhaber einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Bund erhält. Voraussetzung der Anordnung ist das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
Daneben kann das Bundespatentgericht auf Antrag eine Zwangslizenz (§ 24 PatG) für ein Patent einräumen, wenn der Inhaber die Vergabe einer Lizenz abgelehnt hat, das öffentliche Interesse jedoch die Einräumung des Nutzungsrechts gebietet. Über § 85 PatG kann eine solche Zwangslizenz auch im Wege einer einstweiligen Verfügung erlangt werden.
TRIPS als internationaler Mindeststandard für das Patentrecht
Wie das PatG eröffnet auch das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) Möglichkeiten, vorhandene Impfstoffpatente zu nutzen. Das TRIPS ist ein von der Welthandelsorganisation (WTO) administriertes internationales Abkommen, das die national umzusetzenden Mindeststandards des Immaterialgüterrechts festlegt. Als "TRIPS Waiver" wird der indisch-südafrikanische Gemeinschaftsantrag an das General Council des TRIPS bezeichnet, der auf eine Aussetzung der Regelungen zu sämtlichen Gewerblichen Schutzrechten (TRIPS II, sec. 1, 4, 5, 7) mit Bezug zu Covid-19 gerichtet ist.
Unter Bezugnahme auf den Antrag Indiens und Südafrikas wurde nunmehr auch im Bundestag gefordert, die Bundesregierung möge einen solchen Antrag bei der WTO unterstützen. Auch das Europaparlament soll sich, angestoßen von einem fraktionsübergreifenden Statement, mit dem TRIPS Waiver beschäftigen.
Ein solcher TRIPS Waiver wäre jedoch ein schwerwiegender Eingriff in das Schutzsystem und würde die bislang hohe Verlässlichkeit von Patentsystemen für forschende Unternehmen beeinträchtigen. Wenn sich forschende Unternehmen der Schutzfähigkeit ihrer Erfindungen nicht sicher sein können, haben sie in der Folge weniger Interesse daran, Erfindungen überhaupt zu generieren oder über das Patentsystem zu veröffentlichen.
Ein Waiver sollte daher nur ergriffen werden, wenn er erforderlich ist. An der Erforderlichkeit bestehen jedoch Zweifel. Denn die nähere Betrachtung zeigt, dass unabhängig von diesem Streit nationales und internationales Recht bereits Regelungen vorsehen, um mit einer Lage wie der Covid-19 Pandemie differenziert umzugehen.
Zwangslizenzen zur Bekämpfung von Notlagen
Art. 31 des TRIPS-Abkommens ermöglicht Mitgliedsstaaten bereits, die Produktion von Impfstoffen innerhalb des Mitgliedsstaates mithilfe von Zwangslizenzen zu erlauben. Bedeutendste Bedingung für die Erteilung einer solchen Lizenz ist die vorige, erfolglose Abgabe eines Lizenzangebots zu angemessenen, geschäftsüblichen Bedingungen.
Sofern in einem Entwicklungsland also die technischen Möglichkeiten der Produktion bestehen, kann dieser Mitgliedsstaat daher eine Zwangslizenz zugunsten des inländischen Produzenten erteilen. Eine solche Zwangslizenz nach Art. 31 TRIPS räumt dem Patentinhaber ein Recht auf eine den Umständen des Falles angemessene Vergütung ein. Umstritten ist, ob Grundlage dieser Wertermittlung die Sicht des Lizenzgebers oder des Lizenznehmers sei, realistisch wird der Preis aus einer Gesamtschau der Umstände bestimmt werden müssen.
Nach der Erklärung von Doha der WTO von 2001 ist diese Regelung um einen mühsam ausgehandelten Kompromiss ergänzt worden, der erst 2017 in Kraft getreten ist. Die neu eingefügte Regelung des Art. 31 bis TRIPS ist bereits von den meisten Mitgliedern ratifiziert worden. Danach können Zwangslizenzen auch für die Ausfuhr in Mitgliedsländer einer Zollunion, von denen es beispielsweise in Afrika mehrere gibt, erteilt werden. Hintergrund dieser Regelung ist das Bedürfnis von Staaten ohne eigene Möglichkeiten der Herstellung von Medikamenten, einfacher unter Zwangslizenzen hergestellte Generika aus dem Ausland importieren zu können. Gleichzeitig sollen aber Reimporte verhindert werden.
Die EU ging 2006 mit einer Verordnung ((EG) Nr. 816/2006) als Reaktion auf die Doha Erklärung von 2001 sogar noch weiter und räumt jeder Person das Recht ein, in einem Mitgliedsstaat der Union eine Zwangslizenz zur Herstellung und Ausfuhr eines Medikamentes zu erhalten, sofern dieses zur Bekämpfung von Notlagen in Entwicklungsländern genutzt wird. Neben Kennzeichnungspflichten von unter dieser Lizenz hergestellten Produkten muss dabei zwar erst eine Lösung im Verhandlungsweg angestrebt werden. Das ist jedoch entbehrlich, wenn eine Situation nationalen Notstands vorliegt. Die Definition eines solchen nationalen Notstandes ist dabei – gemäß der Doha Erklärung – wieder den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen.
Aussetzung des TRIPS durch den Waiver?
Mit einem kompletten Waiver, also einem Verzicht auf die Standards zu gewerblichen Schutzrechten im TRIPS, wie er durch die indisch-südafrikanische Initiative geplant ist, könnten nationale Patentrechte dagegen noch weitergehend durch nationale Regierungen komplett ausgesetzt werden. Folglich wäre es allen Produzenten möglich, Patente der forschenden Pharmaunternehmen zu verwerten ohne diese in irgendeiner Form an den Erlösen zu beteiligen oder zumindest Lizenzverträge anzubieten.
Zu Ende gedacht würde eine vollständige Aussetzung wie sie von Indien und Südafrika gefordert wird, Folgendes bedeuten: Produzenten könnten einerseits in den Schwellenländern, die den Schutz ausgesetzt haben, lizenzfrei produzieren, die Impfstoffe aber andererseits zu Weltmarktpreisen global in alle Länder deren Patentrecht ausgesetzt wird, verkaufen. Ob eine solche Deregulierung mehr hilft als Kooperationen von Lizenznehmern mit den Patentinhabern ist zumindest fraglich. In der Sache wäre ein neues Geschäftsmodell eröffnet, das nicht notwendig der Bevölkerung zu Gute kommt.
"Kooperationen sind vielversprechender"
Vielversprechender erscheinen auf Basis des geltenden Patentschutzes Kooperationen zwischen Patentinhabern und Herstellern. Durch eine vereinfachte Qualitätskontrolle und Prozessüberwachung durch die Lizenzgeber könnte dies auch ein höheres Sicherheitslevel und mithin eine generell höhere Akzeptanz der Impfstoffe zur Folge haben.
Mit anderen Worten: Sowohl auf nationaler (§§ 13, 24 PatG) als auch internationaler Ebene (Art. 31, 31 bis TRIPS) finden sich Regelungen, die konkrete Lösungsmöglichkeiten für den Umgang mit der aktuellen Situation vorsehen. Die TRIPS-Regeln sind erst in einem jahrelangen Verhandlungsprozess zu dem heute gültigen Stand gelangt. Ihre Funktionsfähigkeit sollte zunächst erprobt werden, bevor nach neuen Reformen gerufen wird. Eine geforderte generelle Aussetzung des Patentschutzes hätte ohnedies allenfalls dann einen positiven Effekt, wenn die entsprechenden Produktionskapazitäten auch tatsächlich vor Ort verfügbar wären. Die Verunsicherung über die Werthaltigkeit von medizinischen Innovationen für forschende Pharmaunternehmen wäre jedoch dauerhaft.
Der Autor Daniel Skiebe arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Recht des Geistigen Eigentums an der Universität Osnabrück. Im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt er sich unter anderem mit dem Thema Verfügbarkeit und Patentierbarkeit von Medikamenten.
Freigabe von Impfstoffpatenten: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44594 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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