Buch "Der Schiedsrichterstaat": Ein Memo für die Politik

von Steffen Heidt

26.02.2013

Über die Rolle des BVerfG als Staatsorgan ist schon viel geschrieben worden. Ein neues Buch des Rechtsjournalisten Christian Rath belebt nun die Debatte um die politische Bedeutung  Karlsruhes neu. Seine These: Während die Bevölkerung das Gericht vor allem wegen seiner Ferne zum Politikbetrieb schätze, übten die Verfassungsrichter tatsächlich einen weitaus größeren Einfluss aus, als viele vermuteten.

Dass ein Buch über das höchste deutsche Gericht ausgerechnet von dessen Präsidenten höchstpersönlich vor versammelter Presse rezensiert wird, ist zunächst einmal bemerkenswert. Vertieft man sich allerdings einmal in Christian Raths "Der Schiedsrichterstaat", Untertitel: "Die Macht des Bundesverfassungsgerichts", so wird verständlich, warum sich Andreas Voßkuhle von einigen Thesen des Freiburger Rechtsjournalisten herausgefordert fühlen musste.

So macht der Autor, der das schmale Bändchen durchaus als Streitschrift verstanden wissen will, schon in der Einleitung deutlich, unter welcher Prämisse die folgenden Ausführungen stehen: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das sich bei den Deutschen seit Jahrzehnten größter Beliebtheit erfreue, und als Bürgergericht ohne Zweifel große Verdienste bei der Lösung von Konflikten und dem Schutz von Minderheiten vorzuweisen habe, sei ebenso zweifellos ein politisches Organ – auch wenn Karlsruhe dies stets von sich weise.

Tatsächlich ist die Kritik des Verfassungsgerichtspräsidenten zu diesem zentralen Punkt dann weniger vehement, als man annehmen könnte. Eher zurückhaltend gibt Voßkuhle zu bedenken, dass der Begriff des "Politischen" sehr vage sei; in einem weiten Sinne verstanden, müssten die Handlungen der Richter ebenso als "politisch" angesehen werden, wie diejenigen normaler Verwaltungsbeamter, was für die Diskussion aber ohne Gewinn sei. Gleichwohl könne man auf ein weiter gefasstes Begriffsverständnis nicht verzichten, weil ansonsten der Umstand vernachlässigt würde, dass die Tätigkeit eines Richters nicht ohne Wertungen auskommt, die immer auch im Kontext ihrer Zeit stünden, sei er gesellschaftlicher oder politischer Art. Dass Richter insofern auch politisch seien, sei also ein Normalzustand, so Voßkuhle: "Dies gilt für den Fachrichter und damit erst recht für den Verfassungsrichter."

Voßkuhle: "Richter sind keine Subsumtionsautomaten"

Der Schiedsrichterstaat von Christian RathDie entscheidende Rolle von Wertungen gerade bei der Arbeit des BVerfG konstatiert auch Rath. Weil das Grundgesetz recht vage formuliert sei, komme den Karlsruher Richtern oftmals die Aufgabe zu, die Maßstäbe der Verfassung selbst zu entwickeln; soweit es um Grundrechte gehe, könne das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach freiem politischen Ermessen abwägen und entscheiden. Raths Schlussfolgerung hieraus geht dann aber deutlich über die Einschätzung des Verfassungsgerichtspräsidenten hinaus: Durch diese Konkretisierung der Verfassung verschiebe sich die Macht automatisch von der Politik auf die Richter.

Voßkuhle hingegen betont auch in der anschließenden Diskussion, dass Handlungsspielräume bei Entscheidungen völlig normal seien, und zwar unabhängig davon, um was für eine Art von Gericht es sich handelt: "Richter sind eben keine Subsumtionsautomaten, so wie das in früheren Jahrhunderten noch vertreten wurde." Trotz dieser politischen Dimension der Rechtsprechung sei aber die Feststellung wichtig, dass der Prozess auf andere Art und Weise ablaufe als in der Politik – gerade weil der oft verwendete Begriff des "politischen Gerichts" eine Nähe zu den politischen Akteuren suggeriere.

Von einem "Plausch der Mächtigen" – hier nimmt der Gerichtspräsident Bezug auf die Anspielung des Journalisten auf die regelmäßigen Treffen der Richter mit Politikern – will er denn auch nichts wissen: Derartige Termine fänden nur sporadisch statt, und wenn, dann gehe es in erster Linie darum, im Austausch mit politischen Organen gegenseitiges Verständnis für die Perspektiven und Arbeitsweisen beider Seiten zu schaffen.

Prozesse am BVerfG langsamer als der Politikbetrieb

Diese unterschieden sich eben grundsätzlich voneinander: Anders als Politiker seien die Karlsruher Richter etwa bei ihrer Entscheidungsfindung völlig frei vom Zwang einer Wiederwahl. Im Gegensatz zum Politikbetrieb verliefen die Prozesse mit ihren unterschiedlichen Phasen wie mündlicher Verhandlung und weiteren Beratungen zudem deutlich langsamer, da ja auch immer der Bezug zur bisherigen Rechtsprechung hergestellt werden müsse. Dies sei bei mittlerweile 130 Bänden regelmäßig ein sehr komplizierter Vorgang.

Für den Journalist indes ist die Art und Weise, wie Karlsruhe bei Klagen verfährt, auch wieder Ausdruck der Einflussmöglichkeit der Richter auf die politische Atmosphäre. Nehme sich das BVerfG einer Sache schnell an und beraume es eine – in der Regel nicht zwingend vorgeschriebene – mündliche Verhandlung an, so habe dies eine ganz andere Signalwirkung, als wenn ein Verfahren jahrelang liegen gelassen werde. Ähnliches gelte für die Entscheidungen selbst: Obwohl Karlsruhe eine verfassungswidrige Norm eigentlich für nichtig erklären muss, nähmen sich die Richter oft die Freiheit, eine Vorschrift für eine gewisse Zeit weitergelten zu lassen und den Gesetzgeber zur Änderung aufzufordern. Oder aber sie erklärten das Gesetz weiterhin für gültig, aber nur in der verfassungskonformen Auslegung, die sie zuvor vorgegeben haben.

Zu einem Ersatzgesetzgeber werde das BVerfG dadurch allerdings trotzdem nicht, und in diesem Punkt stimmte Voßkuhle dem Autor ausdrücklich zu: Der Gesetzgeber sei keinesfalls gezwungen, Übergangsregelungen eins zu eins als neues Gesetz zu übernehmen. Vielmehr betone das Gericht regelmäßig den weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum der Politik, die diesen aber wohl oft aus Bequemlichkeit oder aus Angst vor einer Neuauflage in Karlsruhe nicht ausschöpften. "An dieser Stelle im Buch empfehle ich für die Politiker, denen sie dieses Buch überreichen, einen kleinen Merkzettel, damit sie die entsprechende Passage schnell finden", schlägt Voßkuhle augenzwinkernd an Rath gewandt vor.

Christian Rath, "Der Schiedsrichterstaat: Die Macht des Bundesverfassungsgerichts", Verlag Klaus Wagenbach Berlin, 94 Seiten, 14,90 Euro.

Zitiervorschlag

Steffen Heidt, Buch "Der Schiedsrichterstaat": Ein Memo für die Politik . In: Legal Tribune Online, 26.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8221/ (abgerufen am: 07.07.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen