Das berauschende Cannabinoid HHC gibt es aktuell in diversen Varianten legal zu kaufen – anders als das (noch) verbotene, natürliche THC-Cannabis. Experten sprechen von einer Strafbarkeitslücke. Das BMG prüft nun ein Verbot.
Wirbel um die Cannabis-Variante Hexahydrocannibinol (HHC): Produkte, die das halb-synthetische Cannabinoid HHC enthalten, sind derzeit in Deutschland ab 18 Jahren frei verfügbar. Es gibt sie legal in Spätis, online oder in speziellen Hanfshops in unterschiedlichsten Varianten zu kaufen: Etwa als Öl, Liquid oder Destillat zum Rauchen. Und sogar als Gummibärchen. "HHC Weichgummi - Der Kick zum Essen", bewirbt etwa der HHC-Shop in Berlin seine "leckeren Spacejellys" in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen. Zehn Stück gibt es derzeit für 29,95 Euro im Angebot.
Das Problem: HHC-Produkte entfalten eine ähnlich berauschende Wirkung wie natürliche Cannabisprodukte, also wie Gras oder Haschisch. Doch während natürliche Cannabis-Produkte, deren berauschende Wirkung auf der psychoaktiven Hanf-Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) beruhen, hinsichtlich möglicher Gesundheitsgefahren einigermaßen gut erforscht ist, sieht das bei HHC-Produkten anders aus.
So warnte der Toxikologe Prof. Dr. Volker Auwärter, der sich auch mit der Thematik THC-Grenzwert im Straßenverkehr gut auskennt, kürzlich gegenüber dem NDR: "Es geht hier ja nicht um ein Medikament, das in klinischen Studien gut erforscht ist, sondern es geht um einen neuen Stoff – ein Rauschmittel – das eben noch nie auf dem Markt gewesen ist." Welche Risiken, Nebenwirkungen und Langzeitfolgen von HHC zu erwarten seien, ist nach Auffassung Auwärters ungewiss: "Da wird man erst im Laufe der Zeit sehen, welche Schäden dadurch entstehen können."
Strafrechtler wirft Politik "Humanexperiment" vor
Ein gesundheitliches Risiko, das der Gesetzgeber aktuell offenbar noch billigend in Kauf nimmt. Denn weder vom strengen Betäubungsmittelgesetz (BtMG) noch vom Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) wird HHC derzeit umfasst. Eine gefährliche Strafbarkeitslücke?
Sogar juristische Experten, die den staatlichen Prohibitionskurs beim Thema Drogen grundsätzlich für falsch halten, wundern sich, dass im jüngst vorgelegten Referentenentwurf für ein Cannabisgesetz der "normale" Cannabiskonsument strengsten Regulierungen unterworfen wird, während beim v.a. bei Jugendlichen beliebten Rauschmittel HHC nichts passiert.
So etwa Rechtsanwalt Dr. Sebastian Sobota, derzeit Akademischer Rat an der Uni Mainz. Er und seine Kollegen hatten erst kürzlich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf eine als gefährlich eingestufte, legal erhältliche LSD-Variante aufmerksam gemacht und das BMG zur Korrektur veranlasst.* Zu LTO sagt der Jurist: "Die Existenz von HHC ist ein hausgemachtes Problem der Prohibition: Wie fast alle 'Legal Highs' wird es nur konsumiert, um die Strafbarkeit von echtem Cannabis zu umgehen. Sonst würde niemand so ein Humanexperiment wagen. Damit treibt das geltende Recht die Konsumenten zu gefährlicheren Substanzen."
Sobota hält es für möglich, dass HHC alsbald dem NpSG unterworfen wird und damit künftig nicht mehr erhältlich wäre. Bei NpS – wie in diesem Fall HHC – werden oft die bekannten chemischen Grundstrukturen synthetisch in einer Weise abgewandelt, dass die für Missbrauchs-/Rauschzwecke geeignete psychoaktive Wirkung erhalten bleibt oder sogar verstärkt wird, jedoch die bestehenden Regulierungen im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) oder dem NpSG umgangen werden.
BMG warnt vor HHC-Konsum
Laut Sobota würde für ein baldiges Verbot von HHC allein sprechen, dass der Stoff offenbar bei Jugendlichen beliebt ist. "Da Cannabis für sie auch nach der Reform nicht legal verfügbar sein wird, könnte hier, sozusagen als 'Erbe der Prohibition', ein Markt bestehen bleiben, dem der Staat durch das NpSG entgegenwirken will." Allerdings gibt er zu bedenken, dass es illusorisch sei, dass ein Verbot von HHC das Problem löse und die Jugend wirklich schütze. "Es wird allenfalls dazu führen, dass dieser Stoff nicht mehr offen im Internet oder im Kiosk vertrieben wird. Die Erfahrung mit dem NpSG zeigt, dass findige Produzenten schon bald das nächste Cannabinoid o.ä. auf den Markt bringen werden - mit ähnlichen Wirkungen und unbekannten Nebenwirkungen." Diesen Wettlauf könne der Gesetzgeber niemals gewinnen, so Sobota.
Ob der Gesetzgeber den Wettlauf bei HHC allerdings überhaupt antreten wird, ist noch ungewiss: Im Ministerium von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist man aktuell noch nicht fest entschlossen, HHC zu verbieten: HHC sei der Bundesregierung als NpS bekannt und es werde derzeit einer Prüfung unterzogen, so eine Sprecherin. Im Übrigen warne die Bundesregierung "im Interesse eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes der Bevölkerung und des Einzelnen" vor dem Konsum von NpS, der mit unkalkulierbaren gesundheitlichen Gefahren verbunden sei. Die Bundesregierung schreibe die Anlagen des BtMG und des NpSG regelmäßig in Bezug auf NpS fort, heißt es aus dem BMG.
Hanfverband für Regulierung
Die Zurückhaltung im Hinblick auf HHC überrascht. Lauterbachs Haus fällt damit sogar ein stückweit noch hinter die Position des Hanfverbandes zurück, der die Interessen der Cannabis-Konsumenten in Deutschland vertritt und auf eine schnelle und großzügige Legalisierung beim natürlichen Cannabis drängt.
In einem früheren Eckpunktepapier des Verbandes zur Cannabis-Regulierung heißt es: "Isolate einzelner Cannabinoide sind schon heute auf dem Markt und sollten ebenfalls reguliert werden." (Halb-)Synthetische psychoaktive Substanzen, die Cannabinoide nachahmen, aber nicht natürlich in der Pflanze vorkommen, sollen nach Auffassung des Verbandes sogar vom Verkauf ausgeschlossen sein. Verbandssprecher Georg Wurth gegenüber LTO: "Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach HHC-Produkten nachlassen wird, wenn das Original einfach und legal erhältlich ist."
Ähnlich sieht es BtM-Experte Sobota: "In Bezug auf (halb-)synthetische Cannabinoide wäre es rechtspolitisch deutlich sinnvoller, eine echte Legalisierung von Cannabis zu forcieren. So bleiben Zweifel, wie ernst es der Ampel-Koalition mit dem versprochenen 'Paradigmenwechsel' in der Drogenpolitik ist."
EU-Behörde beklagt fehlende Gesetze
Auf europäischer Ebene jedenfalls ist man in puncto HHC im Übrigen längst alarmiert. Auf einer Konferenz der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen & Drogensucht (EMCDDA) wurde im Dezember 2022 in Lissabon über das Cannabinoid HHC intensiv beraten. Auf der Konferenz wurde HHC dem Vernehmen nach mit synthetischem Spice verglichen. Spice besteht ausschließlich aus synthetischen Cannabinoiden und wird oft verwendet, um natürliches Cannabis mit Hilfe flüchtiger Lösungsmittel wie Aceton oder Ethanol zu strecken.
In einer im April 2023 veröffentlichten Broschüre verweist die EMCDDA zudem auf die wenig befriedigende Situation im Umgang mit HHC in Europa. Es gebe in den Mitgliedstaaten nur wenige Informationen über HHC, in den meisten EU-Staaten werde HHC nicht reguliert, beklagt die EU-Behörde. So auch in Deutschland.
*Hinweis der Redaktion: Am 18.07.23, 7.16 Uhr, präzisiert
Wirbel um legale Cannabis-Variante HHC: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52266 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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