Ob die von der Ampel geplante Cannabis-Legalisierung den Segen der EU bekommt, ist unklar. Sollte daher zumindest die Strafverfolgung der Konsumenten vorab beendet werden? Die Grünen können sich das vorstellen, SPD und FDP sind skeptisch.
Ob es jemals eine legale Abgabe von Cannabis an Erwachsene in Deutschland geben wird – zumindest so, wie es sich die Ampelpartner vorstellen –, steht in den Sternen bzw. liegt in den Händen der Europäischen Union (EU). Dort sollen eines Tages die konkreten Vorstellungen der Bundesregierungen verhandelt und europarechtlich geprüft werden. Ob das gegenwärtig bereits geschieht, ist unklar. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jedenfalls will die EU-Kommission davon überzeugen, dass das umstrittene Vorhaben mit EU-Recht vereinbar ist. Juristen bezweifeln das und fordern zuvor eine Änderung von EU-Recht.
Weil also noch unsicher ist, ob die Ampel das Vorhaben in Brüssel durchsetzen kann, mehren sich die Forderungen, doch zumindest vorab auf die Strafverfolgung und Kriminalisierung der Millionen Cannabis-Konsument:innen in Deutschland zu verzichten. Dazu bräuchte es nicht die EU, wie auch eine Sprecherin der EU-Kommission kürzlich LTO gegenüber bestätigte: "Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, wie sie den persönlichen Gebrauch von Drogen, einschließlich Cannabis, behandeln." Also könnten sie auch entscheiden, ob sie dies kriminalisieren oder nicht.
"Entkriminalisierung sofort"
Dass sich Deutschland diese Aussagen der EU zu Herzen nehmen sollte und, unabhängig vom Ausgang der europarechtlichen Prüfung in Brüssel, die Entkriminalisierung per einfachem Gesetz möglichst "sofort" einleiten sollte, betonen Legalisierungs-Befürworter schon länger – darunter u.a. auch der Deutsche Anwaltverein, die Fraktion Die Linke sowie die Organisation LEAP (Law Enforcement Against Prohibition), in der auch einige Kriminalbeamt:innen und verschiedene Jurist:innen organisiert sind.
Zum Jahrestag der Veröffentlichung des Ampel-Koalitionsvertrages, der auch die Cannabis-Leglaisierung regelt, veröffentlichte LEAP nunmehr am Mittwoch eine Erklärung ("Paderborner Erklärung"), in der SPD, Grüne und FDP zum Handeln aufgefordert werden:
"Wir fordern die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien im Deutschen Bundestag auf, neben der Weiterarbeit an der Umsetzung des Koalitionsvertrages einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung sofort auf den Weg zu bringen. Zentraler Regelungsinhalt unseres Vorschlages ist die Einfügung eines neuen § 29b in das Betäubungsmittelgesetz, mit dem der Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf komplett straffrei und der eigene und gemeinschaftliche Eigenanbau von bis zu drei blühenden Pflanzen für Erwachsene erlaubt wird. Daneben bedarf es der sofortigen Einführung eines gesetzlichen Grenzwertes von 5 Nanogramm THC/ml Blutserum im Fahrerlaubnisrecht sowie einer Regelung zum legalen Umgang mit Nutzhanf."
Konfrontiert mit der Forderung nach einer sofortigen Entkriminalisierung, reagieren die Koalitionspartner unterschiedlich. Am meisten Gehör findet die Forderung bei den Grünen. Kein Wunder, ist doch die derzeitige Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, die gelernte Polizistin Irene Mihalic, eine der Sprecher:innen von LEAP.
Grüne: Verurteilte auch "strafrechtlich rehabilitieren"
Ihre Fraktionskollegin, Rechtsanwältin und MdB Canan Bayram, sagte gegenüber LTO, dass die alleinige Entkriminalisierung zwar nicht die Lösung sei, die es brauche. Schließlich käme der Verzicht auf die Einführung legaler Vertriebswege lediglich der Organisierten Kriminalität zugute. Gleichwohl sei die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten "bis zum Abschluss eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens" falsch und müsse "schnellstmöglich" beendet werden. "Deswegen sind wir dafür offen, die Strafverfolgung von Konsument:innen bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auszusetzen sowie im Zuge der Legalisierung alle Personen mit Vorstrafen in Bezug auf Handlungen, die in Zukunft nicht mehr strafbar sein sollen, strafrechtlich zu rehabilitieren", so Bayram gegenüber LTO.
Zurückhaltender als die Grünen reagierten unterdessen SPD und FDP.
Kristine Lütke, die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, meint: "Die Entkriminalisierung von Cannabis darf zeitlich nicht komplett von der Legalisierung entkoppelt werden." Die alleinige Entkriminalisierung von Cannabis würde dazu führen, dass der Schwarzmarkt und damit die organisierte Kriminalität gestärkt werde. "Konsumentinnen und Konsumenten haben keine Chance, qualitätsgesichertes Cannabis aus kontrolliertem Anbau und aus legaler Quelle zu beziehen. Stattdessen greifen sie auf möglicherweise verunreinigtes, teilweise hochtoxisches, in jedem Fall unkontrolliertes Cannabis vom Schwarzmarkt zurück - für den Gesundheitsschutz eine Katastrophe! Damit würde die Ampel das Hauptziel der Legalisierung klar verfehlen: Wir wollen mit der Legalisierung für mehr Jugend-, Gesundheits- und Verbraucherschutz sorgen!"
Zu welchen Problemen es führe, wenn entkriminalisiert, aber nicht ebenfalls legalisiert werde, sei, so Lütke, in den Niederlanden zu beobachten: "Höhere Kriminalität und steigende Konsumzahlen unter Jugendlichen - das will niemand. Wichtig ist es zudem, einen Flickenteppich zu vermeiden und Länderunterschiede auszugleichen. Eine sinnvolle Anhebung des Grenzwertes im Fahrerlaubnisrecht streben wir an - hier bietet Kanada eine gute Orientierung."
SPD: "Einzelgesetz dann, wenn sich Zeitplan verzögert"
Auch die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge, im Rechts- und Innenausschuss für ihre Fraktion zuständig für das Thema, sagt: "Wir als SPD verstehen die Legalisierung als ein großes Gesamtprojekt. Daher denken wir Entkriminalisierung und Legalisierung zusammen." Sie habe zwar Verständnis für die Forderungen von LEAP nach einem vorgezogenen Entkriminalisierungsgesetz, warnt aber vor überzogenen Erwartungen: "Gesetzgebungsprozesse dauern nicht zwei Tage, sondern mehrere Monate. Wenn wir den aktuellen Zeitplan zur Legalisierung einhalten können, dann wäre der Vorschlag von LEAP nicht schneller zu realisieren als die Legalisierung. Auch im Hinblick darauf, dass Teile des Legalisierungsgesetzes nach unserer Vorstellung unmittelbar nach seinem Beschluss in Kraft treten sollen - so auch eine Entkriminalisierung."
Offen ist die SPD für eine reine Entkriminalisierung erst dann, wenn die eigentlich geplante, umfassende Legalisierung in Brüssel scheitert bzw. die Prüfung dort zu viel Zeit in Anspruch nimmt. "Sollte sich der Zeitplan aufgrund der Kommission verzögern, werden wir aber sicherlich auch vorgezogene Einzelgesetze diskutieren. So sieht es aktuell aber nicht aus.“
Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten: . In: Legal Tribune Online, 24.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50271 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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