Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht stehen im ständigen Konkurrenzkampf. Die Grenze zwischen erlaubter Meinung und verbotener Ehrverletzung endet auch nicht vor der Kirchentür, wie das BVerwG nun entschied und damit den Streit zwischen einem Bischof und einem Wissenschaftler beendete. Warum bei der Geschichte Berggorillas eine Rolle spielten, erklärt David Ziegelmayer.
Es klingt zunächst wie eine banale Erkenntnis: Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum. Auch ein Bischof muss daher in seiner Predigt seiner Pflicht zur Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit genügen und die Persönlichkeitsrechte derer achten, über die er sich äußert. Was vielleicht einleuchtend anmutet, beschäftigte aktuell immerhin das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das angerufen wurde, um einen mehr als drei Jahre schwelenden Streit zwischen einem Bischof und einem Philosophen in letzter Instanz zu beenden.
Im Mai 2008 hatte der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller in einer Predigt über eine "neue aggressive Gottlosigkeit, die sich nur zum Schein auf die Wissenschaft beruft" den Sozialwissenschaftler Michael Schmidt-Salomon und dessen kirchenkritische Thesen angegriffen. Dieser legitimiere Kindstötungen, Abtreibung und therapeutisches Klonen, indem er durch einen Verweis auf den Naturtrieb von Berggorillas diese Verhaltensweisen als nicht verwerflich darstelle. Im Anschluss an den Gottesdienst veröffentlichte die Diözese die Predigt auf ihrer Homepage. Tatsächlich jedoch hatte Schmidt-Salomon das Verhalten der Berggorillas als "für unsere Vorstellungen zutiefst unethisch" bezeichnet.
Es folgte ein Streit in drei Akten und Instanzen: Das Bistum wurde im ersten Schritt prompt von dem Sozialwissenschaftler abgemahnt, der es aufforderte, den Text von seiner Webseite zu nehmen. Die Diözese lehnte das zunächst ab, woraufhin der Schriftsteller auf Unterlassung klagte. In der Folge entfernte sie zwar die Aussagen, doch sei der Text nun sinnfrei, so der Wissenschaftler. Das Verwaltungsgericht (VG) Regensburg wies die Klage in erster Instanz ab, weil der Bischof nicht als Privatmann gehandelt habe und überdies keine Wiederholungsgefahr durch Veröffentlichung der Predigt bestehe. Der Bischof beziehungsweise die Diözese werde die Äußerung "in absehbarer zeit" wohl nicht wiederholen, so die Verwaltungsrichter.
Der Bischof unter dem äußerungsrechtlichen Damoklesschwert?
Im zweiten Akt, dem Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH Bayern), wehte ein anderer Wind: Bistum und Bischof verweigerten sich einem gerichtlichen Vorschlag zur Streitbeilegung hartnäckig. Nach Angaben von Schmidt-Salomon begründeten die Bistumsanwälte das damit, dass man es als "unerträgliche Einschränkung der Freiheit in der Religionsausübung und der Freiheit bei der Verkündung des Wort Gottes" empfunden habe, dass der Bischof sich nur noch "unter dem Damoklesschwert einer äußerungsrechtlichen Inanspruchnahme in einer Predigt über kontroverse Themen äußern könnte."
Der VGH Bayern musste also eine Entscheidung fällen, änderte das Urteil ab und sprach dem angeblich falsch Zitierten Erstattung seiner Anwaltskosten zu. Die ursprünglich veröffentlichten "Zitate" seien Tatsachenbehauptungen, die den Eindruck erweckten, der Kläger habe das Verbot der Kindstötung in Frage gestellt. Tatsächlich stehe diese Behauptung aber gerade im Widerspruch zu den Veröffentlichungen des Klägers.
Religiöse Äußerungsfreiheit überlagert nicht Ehrenschutz
Das BVerwG machte nun im letzten Akt "kurzen Prozess" und wies eine Beschwerde des Bistums gegen die Nichtzulassung der Revision zurück: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) werde zwar durch das Recht der Freiheit der Meinungsäußerung und das Grundrecht der Religionsfreiheit beschränkt. Letzteres umfasse auch die Äußerungen im Rahmen einer Predigt. Die Annahme der Kirchenvertreter aber, dass die religiöse Äußerungsfreiheit im Rahmen einer Predigt absoluten Vorrang vor den Belangen des Persönlichkeits- und Ehrenschutzes genieße, bezeichnete das BVerwG als "verfehlt".
Die religiöse Äußerungsfreiheit genießt demnach, auch soweit es um eine Predigt geht, keinen absoluten Vorrang vor den Belangen des Persönlichkeits- und Ehrenschutzes. Das Leipziger Gericht hat keine Bedenken, die durch die verfassungsrechtliche Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht auf die Religionsfreiheit zu übertragen. Die Beschwerde lasse keine Gründe erkennen, warum diese allgemeinen Maßstäbe einer Weiterentwicklung bedürften.
Ein "Sonderäußerungsrecht", das hat das BVerwG in der kurzen Entscheidung sehr klar gemacht – kann auch ein Bischof im Rahmen seiner Predigt nicht in Anspruch nehmen. Es existiert nämlich nicht. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit zu rechtfertigen, was die Bistumsanwälte offenbar als in der Rechtsprechung noch ungeklärt ansahen.
Wären die Parteien aufgrund der Besonderheit, dass die Äußerungen von Bistum und Bischof als "behördliche" Verlautbarungen gelten, nicht vom Zivilrechtsweg auf den Verwaltungsrechtsweg "geschlittert", hätten die Kirchenvertreter wohl schon in erster Instanz Gegenwind gespürt: Die mit dem Äußerungsrecht betrauten Zivilgerichte zögern nämlich nicht, wenn eine Wiederholungsgefahr für rechtswidrige Äußerungen besteht. Schon gar nicht, wenn der Verbreiter der falschen Botschaft sich weigert, eine Unterlassungserklärung abzugeben.
Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und berät Personen und Unternehmen in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen.
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David Ziegelmayer, BVerwG zu bischöflicher Predigt: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4138 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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