Die Stadt München hat vor Jahren beschlossen, keine städtischen Räume für Diskussionen mit oder zu Themen der BDS-Kampagne zu vergeben. Am Donnerstag entscheidet das BVerwG, ob das rechtmäßig war.
Wo hört Meinung auf und fängt Antisemitismus an? Für die Stadt München jedenfalls da, wo es um die sogenannte BDS geht. Schon im Jahr 2017 hatte die Stadt über einen Stadtratsbeschluss festgelegt, dass "keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung (boykott, divestment and sanctions)" stattfinden solle. Die Kampagne will den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren.
Ein Münchner Bürger wollte genau über diesen Stadtratsbeschluss eine Diskussion in einem städtischen Raum durchführen - und klagte. Der Mann unterlag vor dem Verwaltungsgericht, obsiegte aber vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH, Urt. v 17.11.2020, Az. 4 B 19.1358). Nach der Revision der Stadt entscheidet am Donnerstag nun das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Az. 8 C 35.20).
Kläger in dem Verfahren ist ein pensionierter Münchner Physiker. Laut seinem Gerichtsvortrag hatte er im Jahr 2018 eine Podiumsdiskussion zum Thema "Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? – Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 und seine Folgen " in den Räumlichkeiten des Stadtmuseums abhalten wollen. Die Stadt versagte den Zugang unter Hinweis auf eben diesen Stadtratsbeschluss.
Stand jetzt ist: Die Räume des Stadtmuseums bekommt Ried für die Veranstaltung nicht – aber den hilfsweise beantragten Zugang zum Bürgersaal Fürstenried. Der VGH hatte die Stadt München - vertreten durch den Oberbürgermeister - verurteilt, dem Mann im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten durch Einwirkung auf den Trägerverein Zugang zu dem Bürgersaal zu verschaffen. Die Stadt war mit der Entscheidung nicht einverstanden und zog weiter vor das BVerwG.
Israelische Lebensmittel und ein Bundestagsbeschluss
Die BDS sagt über sich selbst, sie stehe für die palästinensische Zivilgesellschaft. Sie richtet sich gegen den Staat und die Politik Israels. International ruft die Bewegung etwa dazu auf, keine israelischen Waren zu kaufen. Dafür stellen sich ihre Anhänger vor Geschäfte, um Menschen vom Kauf israelischer Waren abzuhalten. Dies wird selbst von Personen, die durchaus Kritik an israelischer Politik äußern- etwa der israelischen Siedlungspolitik - als problematisch betrachtet.
Dass aber etwa diese Siedlungspolitik gegen das Völkerrecht verstößt, hat der Europäische Gerichtshof bereits auf die Klage einer jüdischen Organisation und eines Weinbauern in Frankreich festgestellt. Das Gericht urteilte, dass Verbraucher:innen beim Kauf von Waren auch über ethische Erwägungen informiert werden müssen. Exportierte Lebensmittel aus israelischen Siedlungen im Westjordanland und anderen 1967 besetzten Gebieten müssen in der Europäischen Union daher besonders gekennzeichnet werden (EuGH, Urt. v. 12.11.2019, Az. C-363/18).
Die BDS-Bewegung insgesamt aber hat auch der Deutsche Bundestag im Jahr 2019 in einem Beschluss scharf verurteilt, die Förderung ihrer Projekte abgelehnt und Länder, Städte und Gemeinden aufgefordert, sich dieser Haltung anzuschließen. Die Münchner waren diesem Beschluss mit ihrem eigenen zwei Jahre voraus.
Stadtratsbeschluss verstößt gegen Grundrechte
Dass auch der Bundestag und auch einige Bundesländer sich inzwischen gegen die BDS positioniert haben, spielte für die Entscheidung der ersten und zweiten Instanzen keine Rolle, zumal dieser Beschluss später erging als der in München. Die Richter und Richterinnen am VGH sahen aber vor allem die Einschränkung des Nutzungsrechts durch den Stadtrat München als nicht mit höherrangigem Recht vereinbar an und hielten ihn daher für unwirksam.
Der generelle Ausschluss von Veranstaltungen der BDS-Kampagne verstoße gleich gegen zwei Grundrechte: die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz (GG) und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 GG.
Rechtfertigungen sah der VGH für diese Eingriffe nicht. Alleiniger Grund für den Ausschluss der BDS sei die Stoßrichtung der Kampagne, die den israelischen Staat und dessen Praktiken in Frage stellt. Zwar verstießen auf antisemitischen Vorstellungen beruhende politische Konzepte wegen ihrer zweifelsfrei bestehenden Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und seien daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungswidrig (Urt. v. 17.01.2017, Az. 2 BvB 1/13).
Das könne aber nur für Partei- oder Vereinsverbote relevant sein. Um Verbote von Meinungsäußerungen auch im Rahmen politischer Informations- oder Diskussionsveranstaltungen von vornherein zu untersagen oder darauf einen Nutzungsausschluss zu stützen, reiche das aber nicht, meinten die Münchner Richterinnen und Richter - die allerdings auf die offenbar andere Ansicht des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Niedersachsen hinwiesen (OVG, Beschl. v. 27.03.2019, Az. 10 ME 48/19).
VGH: Meinung muss erst zur drohenden Gefahr werden
Eine andere Bewertung ist laut dem VGH unter Verweis auf das BVerfG erst dann möglich, wenn die Meinungsäußerungen in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen (BVerfG, Beschl. v. 22.06.2018, Az. 1 BvR 673/18). Wörtlich heißt es in dem Urteil des VGH: "Von einer solchen sich abzeichnenden konkreten Rechtsgutgefährdung, die eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde, kann aber im Zusammenhang mit der BDS-Kampagne nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen nicht gesprochen werden." Und selbst wenn die BDS insgesamt oder in einzelnen Elementen als antisemitisch zu qualifizieren wäre, rechtfertigt dies nach Auffassung des VGH keine Beschränkung der Meinungsfreiheit.
Ins Münchener Stadtmuseum darf der Physiker mit seiner Veranstaltung trotzdem nicht. Dort finden nur Ausstellungen und Diskussion rund um diese statt. Nach dem VGH muss die Stadt aber den Zugang zum Bürgersaal Fürstenried ermöglichen. Sollte das BVerwG dies am Donnerstag genau so sehen, gäbe es dort auf jeden Fall einiges zu diskutieren.
Untersagte BDS-Diskussionen in München: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47254 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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