Auch wenn viele Entscheidungen zur Rettung des Euro Unbehagen auslösen – die Abgeordneten des Bundestages müssen sie selbst treffen, das stellte das BVerfG am Dienstag klar. Zu Recht hält Karlsruhe das Parlament an seiner Verantwortung fest, kommentiert Joachim Wieland.
Kaum ein Abgeordneter kann darauf hoffen, dass die Zustimmung zu weiteren Rettungsmaßnahmen für den Euro ihn bei seinen Wählern beliebter macht. Selbst der Innenminister hatte offenbar so große Zweifel am Erfolg der Rettungsanstrengungen, dass er sich zwischenzeitlich über die Kabinettsdisziplin hinwegsetzte und Griechenland den Austritt aus der Währungsunion nahe legte.
Unter diesen Umständen kann es verlockend erscheinen, die parlamentarische Zustimmung vom Plenum in ein kleines Gremium zu verlagern, das geheim tagt und damit der Kontrolle durch Medien und kritische Öffentlichkeit weithin entzogen ist. Diesen Weg hatte der Bundestag mit der Regelung in § 3 Abs. 3 Stabilisierungsmechanismusgesetz beschritten.
Bei besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit sollten danach die Rettungsmaßnahmen von einem aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses gewählten Gremium aus neun Abgeordneten beschlossen werden. Das Geheimgremium hätte auf der Grundlage dieser Regelung einen großen Teil der Zustimmungsentscheidungen getroffen, da die besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit bei Notmaßnahmen zur Verhinderung eines Übergreifens der Krise auf weitere Staaten regelmäßig vorliegen sollten.
Nur der Bundestag repräsentiert das Volk
Dem hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Dienstag einen Riegel vorgeschoben. Auf eine Klage von zwei SPD-Abgeordneten hin hat es daran erinnert, dass alle Mitglieder des Parlaments den gleichen Status haben und dass der Deutsche Bundestag seine Repräsentationsfunktion grundsätzlich in seiner Gesamtheit erfüllt. Die Übertragung von Beteiligungsrechten des Bundestages auf das Geheimgremium war weitgehend verfassungswidrig, so die Karlsruher Richter (Urt. v. 28.02.2012, Az. 2 BvE 8/11). Dem Plenum, nicht einem Teil des Bundestages kommt das Budgetrecht zu.
Um davon eine Ausnahme zu machen, bedarf es eines gewichtigen Grundes. Zwar erlaubt das Selbstorganisationsrecht des Parlaments es, Untergremien einzurichten, die selbständig an Stelle des Plenums Aufgaben des Bundestages wahrnehmen. Nur so kann die Funktionsfähigkeit der Volksvertretung gewährleistet werden. Zwischen ihr und den Statusrechten der Abgeordneten fordert die Verfassung aber einen angemessenen Ausgleich.
Nicht eilig, nur manchmal besonders vertraulich
Der Gesetzgeber hat den Zweiten Senat des BVerfG nicht davon zu überzeugen vermocht, dass ein kleines Gremium die Befugnisse des Plenums wahrnehmen müsse, wenn Entscheidungen besonders eilbedürftig seien.
Überzeugend legen die Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung dar, dass für sämtliche Rettungsmaßnahmen umfangreiche Vorbereitungen erforderlich sind, deren zeitlicher Ablauf es durchaus erlaubt, das gesamte Parlament einzubinden. Nur die Zustimmung zum Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt bedürfe besonderer Vertraulichkeit, weil nur so der bezweckte Stabilisierungserfolg erreicht werden könne.
Bei Notmaßnahmen hingegen, die ein Übergreifen der Krise auf andere Staaten verhindern sollen, liegt der Gesetzgeber falsch damit, dass regelmäßig Vertraulichkeit erforderlich sei. Er schränkt damit die Gleichheit des Abgeordnetenstatus ohne zureichenden Grund ein. Außerdem muss das Gremium spiegelbildlich zum Plenum besetzt werden, damit es dessen verkleinertes Abbild darstellt.
Karlsruhe hat die Mitglieder des Bundestages wieder einmal an ihre Verantwortung erinnert. Sie können das Volk nur repräsentieren, wenn sie in ihrer Gesamtheit Entscheidungen treffen. Die Gleichheit aller Abgeordneten steht einer Verlagerung der Entscheidungsverantwortung auf ein kleines Geheimgremium entgegen. Das Parlament muss sich seiner Verantwortung auch bei unbequemen Entscheidungen stellen.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, BVerfG zu Entscheidungen zur Eurokrise: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5656 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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