3/3: Sondervotum Eichberger
Im ersten von zwei Sondervoten distanziert sich Verfassungsrichter Michael Eichberger von dem Urteil, das er "nicht mittragen" könne. Das BVerfG mache für die Abwägung zwischen Privatsphäre und Sicherheit zu genaue Vorgaben und schränke die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in unzulässiger Weise ein. Die Herleitung konkreter Sanktionsmechanismen , Kontroll- und Berichtspflichten einzig aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gehe zu weit und führe zu "einer problematischen Verfestigung der überzogenen verfassungsrechtlichen Anforderungen in diesem Bereich".
Die betroffenen Normen berechtigten nicht zu flächendeckender, sondern nur zu punktueller Überwachung. Sofern davon im Einzelfall auch bloße Bekannte oder Freunde des Verdächtigen betroffen wären, sei dies ein Sonderopfer, welches der Staat ihnen abverlangen könne. Diejenigen Normen, die wegen mangelnder Bestimmtheit für verfassungswidrig erklärt wurden, hätte man stattdessen verfassungskonform auslegen können. Dass der Richtervorbehalt derzeit erst für die Verlängerung, nicht für die Erstvornahme der meisten Überwachungsmaßnahmen gelte, sei ebenso wenig verfassungswidrig wie das Fehlen besonderer Schutzbestimmungen für den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Schließlich sei auch die Sonderregel zur weiteren Verwendung von Daten aus dem Bereich der Wohnraum- und IT-Überwachung misslungen, da diese Weiterverwendung nicht mehr dieselbe Eingriffsintensität erreiche wie die ursprüngliche Erfassung der Daten, und daher keines besonders strengen Maßstabs bedürfe.
Sondervotum Schluckebier
Nicht minder deutlich fällt die Kritik von Wilhelm Schluckebier aus. Den oftmals seitens der Politik formulierten Vorwurf, das Verfassungsgericht mische sich zu sehr in ihren Zuständigkeitsbereich ein, teilt er mit Blick auf diese Entscheidung ebenso deutlich wie Eichberger: "Der Senat setzt mit zahlreichen gesetzgebungstechnischen Detailanforderungen letztlich seine konkretisierenden eigenen Vorstellungen von dem Regelwerk in meines Erachtens zu weit gehender Weise an die Stelle derjenigen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers."
Einer besonderen Bestimmung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei Maßnahmen der Überwachung außerhalb des Wohnraums hätte es nicht bedurft, da sich der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung regelmäßig gerade innerhalb von Wohnraum entfalte – etwaige Ausnahmen hiervon hätte man durch verfassungskonforme Auslegung korrigieren können. Die Schaffung einer "unabhängigen Stelle", der die Sichtung von Daten aus der Wohnraum- und IT-Überwachung zufalle, verlangsame und verkompliziere den Prozess in unzumutbarer Weise und dürfte in der Praxis meist durch die Annahme von "Gefahr im Verzug" unterlaufen werden.
Die Anforderung, dass rechtmäßig erhobene Daten zu anderem als dem ursprünglichen Zweck nur dann verwendet werden dürfen, wenn auch der neue Zweck dem Schutz von Rechtsgütern dient, die eine Ersterhebung prinzipiell ermöglichen würden, sei allenfalls dann angemessen, wenn die Daten ursprünglich auf hochinvasivem Wege, also zum Beispiel durch eine Wohnraumüberwachung erlangt wurden, nicht aber, wenn sie sich bei weniger intensiven Eingriffen als "Zufallsfund" ergäben. Der Ansatz der Senatsmehrheit führe zu "kaum erträglichen Ergebnissen […], weil dies von der rechtsstaatlichen Ordnung verlangt, die Realisierung von Straftaten und die Beschädigung von Rechtsgütern hinzunehmen." Sofern die Daten rechtmäßig erhoben worden seien, sei nicht einzusehen, dass das Interesse des Betroffenen am Schutz seiner Daten Vorrang vor dem Schutz der durch ihn verletzten Rechtsgüter haben sollte.
Die Forderung des Senats nach einer klareren Ausgestaltung der Vorschriften zur Datenübertragung ins Ausland schließlich hält Schluckebier für den verunglückten Versuch, eindeutige Maßstäbe zu formulieren, wo am Ende doch Ermessen und Einzelfall den Ausschlag geben müssen: "Die vom Gesetzgeber nun zu schaffenden Konkretisierungen im Regelwerk werden auch in diesem Zusammenhang nur zu einer das Gegenteil von Normenklarheit bewirkenden textlichen Aufblähung des ohnehin schon überbordenden, nur schwer lesbaren und verständlichen Regelwerks führen."
Constantin Baron van Lijnden, BVerfG erklärt BKA-Gesetz großenteils für verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19142 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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