BVerfG zum blockierten Rundfunkbeitrag: Es gibt nicht sofort mehr Geld – aber wahr­schein­lich bald

von Dr. Christian Rath

23.12.2020

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wollten eine sofortige Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Doch das BVerfG hat die Eilanträge abgelehnt - und spätere Kompensation verheißen. Warum?

Dieser Beschluss im einstweiligen Rechtsschutz war mit Spannung erwartet worden. Würde das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits erste Hinweise auf die Erfolgschancen der Verfassungsbeschwerden von ARD, ZDF und Deutschlandradio geben? Würde der Erste Senat in einem Kraftakt vielleicht sogar gleich durchentscheiden?

Soviel ist klar: Die Richter und Richterinnen haben die Hauptsache nicht gleich miterledigt. Der Karlsruher Eilbeschluss enthält aber Hinweise, dass die Verfassungsbeschwerden gute Erfolgschancen haben (BVerfG, Beschl. v. 22. 12. 2020, Az.: 1 BvR 2756/20)

Die Magdeburger Blockade 

Im Frühjahr 2020 hatten die Bundesländer beschlossen, dass der Rundfunkbeitrag zum Jahreswechsel von 17,50 Euro auf 18,36 Euro pro Monat steigen soll. Dem entsprechenden Staatsvertrag haben die Landtage von 15 Ländern zugestimmt. In Sachsen-Anhalt fehlte aber die Mehrheit, weil dort CDU und AfD die Erhöhung ablehnen. Eine Abstimmung fand zwar nicht statt, weil Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) Anfang Dezember den Gesetzentwurf zurückzog. Doch auch damit war die Beitragserhöhung politisch gescheitert. 

Dagegen erhoben ARD, ZDF und Deutschlandradio sofort Verfassungsbeschwerde. Die Blockade der Beitragserhöhung durch Sachsen-Anhalt verletze die Rundfunkfreiheit. Zu dieser gehöre ein Anspruch auf "funktionsgerechte Finanzierung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, argumentierten die Sender unter Verweis auf frühere Urteile des BVerfG. Die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" (KEF) habe die Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent empfohlen. Sachsen-Anhalt weiche davon ohne (zulässige) Begründung ab, monierten die Sender. 

Die Eil-Anträge der Sender

Neben ihren Verfassungsbeschwerden haben alle drei Sender auch einstweilige Anordnungen des BVerfG beantragt. Hier ging es jeweils um die Frage, was bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache gelten soll. 

Konkret ging es um zwei Anträge: Erstens sollte der Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag ab Januar so angewandt werden, als sei er bereits geändert worden. Damit hätte der Beitragsservice der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten doch ab Januar den erhöhten Rundfunkbeitrag von 18.36 Euro pro Haushalt und Monat einziehen können.

Zweitens sollte die Verfallsklausel im Staatsvertrag außer Kraft gesetzt werden. Damit sollte verhindert werden, dass der Staatsvertrag zum 31. 12. 2020 "gegenstandslos" wird, weil nicht alle Bundesländer ratifiziert haben. Sachsen-Anhalt könnte dann später - insbesondere nach einer entsprechenden BVerfG-Entscheidung in der Hauptsache - einfach dem Staatsvertrag beitreten, ohne dass dieser neu ausverhandelt werden muss.

Binnen kurzer Frist haben 15 Bundesländer zu den Anträgen Stellung genommen. 12 Bundesländer unterstützten die öffentlich-rechtlichen Sender in einem gemeinsamen Schriftsatz. Das Saarland und Bremen reichten einen eigenen Schriftsatz ein, in dem sie besonders auf die Probleme der kleinen ARD-Anstalten Saarländischer Rundfunk und Radio Bremen eingingen. Sachsen-Anhalt hielt die Eilanträge für unzulässig, da hier bereits die Hauptsache vorweggenommen werde. Thüringen mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow verzichtete als einziges Bundesland auf eine Positionierung.

Die Entscheidung des Gerichts

Zunächst stellt der Senat fest, dass die Verfassungsbeschwerden weder "offensichtlich unzulässig" noch "offensichtlich unbegründet" sind. Damit war klargestellt, dass die Verfassungsbeschwerden gegen ein "Unterlassen" des Magdeburger Landtags in der Konstruktion nicht abwegig sind. 

Der Senat folgte aber nicht der Ansicht zum Beispiel des ZDF, dass die Verfassungsbeschwerden "offensichtlich begründet" sind. Dann wäre den Anträgen auf einstweilige Anordnung stattzugeben gewesen. Doch der Senat stellte nur fest, dass eine Verletzung der Rundfunkfreiheit "angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest möglich" sei. 

Der Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichts kann als ein erster Hinweis gelesen werden, dass die Verfassungsbeschwerden gute Erfolgsaussichten haben. Denn die Sender haben im Wesentlichen auf die bisherigen Karlsruher Urteile zur Rundfunkfinanzierung abgestellt und das (Nicht-)Verhalten des Landes Sachsen-Anhalt daran gemessen. 

Keine Folgenabwägung ohne "schwere Nachteile"

Üblicherweise folgt bei Eilanträgen mit einem offenen Ausgang der Hauptsache die klassische Folgenabwägung mit der Doppel-Hypothese: Wiegen die Folgen schwerer, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte? Oder wiegen die Nachteile schwerer, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch am Ende der Erfolg versagt bliebe?

Dazu kam das Gericht diesmal aber nicht. Es verwies vielmehr auf den eigentlichen Grund, warum es einstweilige Anordnungen gibt: Dadurch sollen irreversible "schwere Nachteile" verhindert werden, die bis zur Entscheidung in der Hauptsache entstehen könnten. Die drei Antragsteller hätten nun aber schon gar nicht belegen können, dass ihnen solche "schweren Nachteile" drohen. 

Änderung der Rechtsprechung

Die Sender hatten geltend gemacht, dass die KEF eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags empfohlen hatte, damit die Sender ihren Programmauftrag ausreichend verwirklichen können. Ohne Erhöhung des Beitrags seien die Programme also "unterfinanziert." 

Diese Unterfinanzierung sei auch irreversibel, so die Sender, die dabei vor allem auf das Rundfunkurteil von 2007 verwiesen (BVerfG, Urt. v. 11.09.2007, Az.: 1 BvR 2270/05). Denn damals hatte der Senat erklärt: "eine möglicherweise durch das Fehlen hinreichender Mittel ausgelöste Verschlechterung des Programmangebots ließe sich angesichts der Zeitgebundenheit der Wirkungen des Rundfunks nicht schlicht durch eine entsprechende finanzielle Mehrausstattung in späteren Zeiträumen kompensieren." 

Weder lasse sich der Rundfunkbeitrag (damals: Rundfunkgebühr) nachträglich erhöhen noch gebe es einen Anspruch auf Ersatz der bisher entgangenen Gebühren. Ein Anspruch auf zusätzliche Mittel bestehe nur, wenn wegen der fehlenden Beitragserhöhung Investitionen unterblieben sind, die auch für das künftige Programm wichtig sind. 

An dieser harten Linie hält der Erste Senat nun aber nicht fest. 

Mehrbedarf, "Vorleistung" und Kompensation

Jetzt heißt es, dass im Fall des Obsiegens im Verfassungsbeschwerdeverfahren "eine kompensierende Mehrausstattung in späteren Zeiträumen in Betracht kommt". In der "Aussicht auf spätere finanzielle Mehrausstattung" könnten die Sender ab Januar in "Vorleistung" gehen, um das erforderliche Programm trotz Unterfinanzierung realisieren zu können. Die Richter räumen ein, dass diese Vorleistung "nicht auf unbegrenzte Zeit" möglich sein wird, aber eben doch "für eine bestimmte Zeit".

Auf den ersten Blick ist diese Änderung der Rechtsprechung ungünstig für die öffentlich-rechtlichen Sender. Denn sie verhindert, dass den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz stattgegeben wird. Zugleich kann ihr aber auch die frohe Botschaft für die Sender entnommen werden, dass die Verfassungsbeschwerden voraussichtlich erfolgreich sein werden. Denn nur dann kommt ja überhaupt eine kompensierende spätere finanzielle Mehrausstattung in Betracht. Den Sendern wird also signalisiert: Ihr könnt in Vorleistungen gehen, weil Euch das Geld später voraussichtlich erstattet wird. 

Möglicherweise ist darin auch die Ankündigung zu sehen, recht bald über die Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Die Sender sollen ja nicht "auf unbegrenzte Zeit" in Vorleistung gehen. 

Verfall und Auferstehung

Allerdings führt die in Aussicht gestellte Kompensation dazu, dass die bisherige Kalkulation des Staatsvertrags hinfällig wird. Anders gesagt: Je länger die Sender auf die Entscheidung des BVerfG warten müssen, umso höher muss der neue Rundfunkbeitrag steigen. Der bisher von der KEF berechnete Beitrag von 18,32 Euro, der ja keine derartige Kompensation vorsieht, dürfte nicht genügen. 

Insofern ist es nur konsequent, dass die Verfassungsrichter auch den zweiten Antrag auf einstweilige Anordnung ablehnen. Die Verfallsklausel muss nicht außer Kraft gesetzt werden, wenn ohnehin ein neuer Bedarf von den Sendern angemeldet und von der KEF geprüft werden muss.

Doch so argumentieren die Richter nicht. Sie stellen vielmehr darauf ab, dass das Verfassungsgericht dem Land Sachsen-Anhalt auch per Vollstreckungsanordnung gem. § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) "ein Inkraftsetzen der Änderung des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags auch nach Ablauf des Jahres 2020 ermöglichen" könne. Auch das ist interessant: Wenn die Verfassungsrichter es anordnen, ist der "gegenstandslose" Vertrag also doch noch da und Sachsen-Anhalt könnte ihm einfach zustimmen. 

Bei den Sendern ist die frohe Botschaft der Kompensationsmöglichkeit allerdings noch nicht angekommen. Deutschlandradio kündigte am Dienstagabend bereits ein "Sparprogramm" an, um mit dem Wegfall der erwarteten Mehreinnahmen zurechtzukommen.

Zitiervorschlag

BVerfG zum blockierten Rundfunkbeitrag: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43822 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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