Eltern, die Kinder großziehen, tragen etwas zur Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungen bei. Deshalb stehen ihnen aber keine zusätzlichen Rentenpunkte zu, findet das BSG und weist die Klage einer Mutter ab.
Müssen Eltern für die Nachteile, die ihnen in der Rentenversicherung durch Kindererziehungszeiten entstehen, besser als bisher entschädigt werden? Nein, entschied nun der 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) auf die Klage einer Mutter, die zusätzliche Entgeltpunkte für ihr Rentenkonto verlangte. Schließlich habe sie mit dem Heranziehen künftiger Beitragszahler auch einen Beitrag für die Versichertengemeinschaft geleistet. Die gegenwärtige Rechtslage reiche aber vollkommen aus, erwidert das BSG (Urt. v. 21.03.2018, Az. B 13 R 19/14 R).
Eltern (überwiegend sind es Mütter) werden für Kinder für den Zeitraum von drei Jahren sog. Kindererziehungszeiten gutgeschrieben; bei vor dem 1. 1. 1992 geborenen Kindern sind es derzeit nur zwei Jahre. Der berechtigte Elternteil wird dadurch so gestellt, als hätte er in diesen zwei bzw. drei Jahren jeweils den Durchschnittsverdienst aller Versicherten (derzeit etwa 36.000 Euro) erzielt und aus diesem Einkommen Beiträge geleistet. Wer dann regulär mit 65 bzw. 67 Jahren in Rente geht, bekommt pro Kind auf der Grundlage des aktuellen Rentenwerts gut 90 Euro Rente monatlich; für vor 1992 geborene Kinder etwa 60. Die Beiträge von derzeit knapp 12 Milliarden Euro jährlich zahlt überwiegend der Bund, allerdings nicht ganz freiwillig. Nachgeholfen hat eine 1992 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das den Gesetzgeber verpflichtete, die durch die Kindererziehung bedingten Nachteile bei der Altersversorgung in weiterem Umfang als bisher auszugleichen, auch weil die Kindererziehung bestandssichernde Bedeutung für das System der Altersversorgung habe (1 BvL 51/86 u. a.).
Dieses sog. "Trümmerfrauenurteil" des BVerfG spielte auch im Verfahren beim 13. Senat eine nicht unwesentliche Rolle. Seinerzeit hatte Rosa Rees (Jahrgang 1920) geklagt. Sie hatte in der Nachkriegszeit zehn Kindern das Leben geschenkt und wurde vom zuständigen Rentenversicherungsträger mit einer Rente von monatlich 346,10 Mark abgespeist, während ihre Kinder zur gleichen Zeit Beiträge von ca. 8.000 Mark in das System einspeisten. Die Sozialgerichte hatten daran schon seinerzeit keinen rechtlichen Anstoß genommen, erst das BVerfG hat in verfassungsrechtliche Formen gegossen, was sich in zwei Worten zusammenfassen ließ: eine Schande.
Die Rente zeigt die wahre Geschlechterungleichheit
Nach 25 Jahren Kindererziehungszeiten sind die Zahlen aber immer noch wenig erbaulich. Ausweislich der Statistiken der Rentenversicherungsträger sind die Altersrenten von Frauen derzeit nur etwa halb so hoch wie diejenigen der Männer (566 Euro für Frauen, 1020 Euro für Männer am 31.12.2014). Diese Unterschiede sind das Ergebnis einer Kumulation von Diskriminierungen, denen Frauen über den Längsschnitt ihres regelmäßig durch Kindererziehung unterbrochenen Erwerbslebens ausgesetzt sind; sie fallen wegen des Kumulationseffekts auch noch größer aus als die ohnehin schon erheblichen Entgeltunterschiede: Erst die Rente zeigt den ganzen Umfang der Geschlechterungleichheit. Wer mit Recht die nach wie vor frappierenden Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern kritisiert, muss also erst recht die Unterschiede bei den Renten in den Blick nehmen, zumal diese, anders als die Löhne, unmittelbar durch die staatliche Rechtsetzung bedingt sind.
Man kann die Klägerin im vorliegenden Verfahren also gut verstehen, denn sie hat uns einen der viele Risse vor Augen geführt, die die Gesellschaft derzeit auseinandertreiben. Aber sie hat das Rentenversicherungssystem letztlich am falschen Punkt angegriffen, nämlich im Leistungs- und nicht im Beitragsrecht. Das BVerfG hatte nämlich im Trümmerfrauenurteil auch gesagt, der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, alle Belastungen, die sich aus der Erziehung von Kindern ergeben, auszugleichen. Er habe bei der Erfüllung der aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) folgenden Leistungspflicht einen Gestaltungsspielraum – das ist auch gut so, denn schon so dürfte das Urteil eines der teuersten der Geschichte gewesen sein. Von daher ist gegen die Entscheidung des 13. Senats, isoliert betrachtet, zunächst nichts einzuwenden.
Allerdings hat man es in Karlsruhe in einem weiteren Urteil 2001 als Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz angesehen, dass Versicherte mit Kindern in der Pflegeversicherung den gleichen Beitragssatz zahlen wie Versicherte ohne Kinder (1 BvR 1629/94). Die Klägerin hatte sich offenbar auch auf dieses Urteil berufen, aber es passt hier nicht. Der Ausgleich für die Leistungen der Kindererziehung muss nämlich, so lautet die Kernaussage der Entscheidung, auf der Beitragsseite unter den Versicherten erfolgen und nicht in Form von Kinderfreibeträgen durch den Steuerzahler. Das BVerfG argumentiert hier also anders als die Kläger nicht leistungs-, sondern gleichheitsrechtlich. Seither zahlen Versicherte ohne Kinder in der Pflegeversicherung einen (geringfügig höheren) Beitragssatz als diejenigen mit Kindern. Den Steuerzahler kostet dies keinen Cent.
Das BSG argumentiert zynisch
Das BVerfG hat die Entscheidung von 2001 auch mit dem Auftrag an den Gesetzgeber versehen, dass die Übertragbarkeit des Urteils auf andere Sozialversicherungen, namentlich die Rentenversicherung zu überprüfen ist. Diesen Auftrag hat der Gesetzgeber allerdings eher dilatorisch behandelt. Seitdem laufen unzählige Klagen vor den Sozialgerichten, der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat allein dreimal entschieden – und jeweils unterschiedliche Begründungen dafür gefunden, warum für die Rentenversicherung nicht gelten soll, was von Verfassung wegen für die Pflegeversicherung gilt. In zwei Entscheidungen aus den Jahren 2006 und 2015 hatte der Senat zunächst versucht, das Urteil des BVerfG entgegen § 31 Abs. 2 S. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) für falsch und damit als für sich irrelevant erklären; ergänzend wurde noch die Einsicht beigesteuert, dass Kinder für die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung ohnehin keine Relevanz hätten, weil mit diesem sog. generativen Beitrag keine Renten bezahlt werden könnten (BSG, Urt. v. 5. 7. 2006, B 12 KR 20/04 R, Rn. 56 und Urt. v. 30. 9. 2015, B 12 KR 15/12 R, Rn. 40).
So etwas kann man natürlich nur behaupten, wenn man die real existierende Umlagefinanzierung in der Rentenversicherung ausblendet. In der jüngsten Entscheidung (Urt. v. 20. 7. 2017, B 12 KR 14/15 R) mit neuem Senatsvorsitzenden taucht diese Behauptung zum Glück nicht mehr auf. Vielmehr konzentrierte sich der Senat nunmehr allein auf das Argument, dass Versicherte mit Kindern in der Rentenversicherung doch auf der Leistungsseite entlastet würden; das sei der wesentliche Unterschied zur Pflegeversicherung, wo kein solcher Ausgleich stattfinde.
Das ist dann allerdings schon zynisch: In der Pflegeversicherung bekommen ja immerhin alle Versicherten unabhängig von der Kinderzahl die gleichen Leistungen (es muss also nichts ausgeglichen werden), in der Rentenversicherung führt die Erziehung von Kindern aber ja gerade zu den oben benannten Unterschieden bei den Renten. Außerdem hat das BVerfG ausdrücklich einen Ausgleich auf der Beitragsseite gefordert: "Die […] Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf; sie ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen".
Sozialpolitische Debatte ist zum Streit der Weltanschauungen geworden
Das wirft dann allerdings auch ein anderes Licht auf die Entscheidung des BSG. Der Senat verweist die Klägerin zwar zu Recht darauf, dass sie sich nicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2001 berufen können, weil dieses das Beitragsrecht betrifft. Aber die Kläger, die beim 12. Senat beitragsrechtlich argumentiert hatten, wurden von dort wieder ins Leistungsrecht verwiesen. Dieses Ping-Pong zwischen den Senaten zeigt deutlich, dass von der Sozialgerichtsbarkeit in diesem Bereich wohl nichts mehr zu erwarten ist. Daher wäre die Entscheidung des BVerfG zur Pflegeversicherung geradezu eine Blaupause für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG gewesen. Stattdessen sind nun mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig.
Das Thema ist schwierig, denn die Befürworter einer stärkeren Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen in der Rentenversicherung müssen sich ihrerseits der Kritik stellen, sie spalteten die Gesellschaft in Menschen mit und ohne Kinder. Diese weltanschaulich aufgeladene Hypothek hat die Debatte auch konservativen Rechtswissenschaftlern zu verdanken, die es geschafft haben, die niedrige Geburtenrate in einen unmittelbaren Kausalzusammenhang mit der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften zu stellen und Menschen ohne Kinder selbstbezogenen und pflichtvergessenen Egoismus zu attestieren.
Dadurch ist aus einer sozialpolitischen Debatte eine weltanschauliche Auseinandersetzung geworden, bei der jedes Gespräch über das Thema irgendwann landet. Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern: Es geht einzig und allein um Sozialpolitik, um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schützt, wie sie leben, und die die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst werden, gleichmäßig verteilt. Ob Menschen Kinder haben möchten oder nicht, dürfen sie in einem freiheitlichen Staat hingegen zum Glück noch selbst entscheiden, und nicht jede/r ist freiwillig kinderlos. Das Verfassungsrecht akzeptiert und fordert bisweilen gar die helfende Hand des Staates, aber es missbilligt den erhobenen, in Moralin getränkten Zeigefinger.
Der Autor Prof. Dr. Thorsten Kingreen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht an der Universität Regensburg und u. a. Mitautor des Lehrbuchs Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II.
BSG zum Nachteilsausgleich für Kindererziehungszeiten: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27693 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag