Brett Kavanaugh wird der Nachfolger von Richter Anthony Kennedy am amerikanischen Supreme Court. Die Liberalen in den USA fürchten nun eine konservative Dominanz am höchsten Gericht des Landes. Muss man sich Sorgen machen?
"German Angst" ist etwas, das den Deutschen – auch von Amerikanern – gerne nachgesagt wird. Nun aber sind es einmal die Amerikaner, genauer gesagt die liberale Hälfte der Vereinigten Staaten, die in Angst sind.
Grund ist die Ernennung von Brett Kavanaugh zum Richter am US-Supreme-Court, dem höchsten Gericht der USA. Diese wurde seit der Abstimmung von massiven Protesten begleitet, da mehrere Frauen ihm sexuelle Gewalt vorwerfen. Die Ernennung bedeutet zunächst einmal einen innenpolitischen Sieg für Donald Trump, dessen Präsidentschaft nicht zuletzt geprägt ist von dem Bemühen, die Justiz auf seine Seite zu ziehen.
Nun hat sich Trump, so fürchtet man, den Supreme Court untertan gemacht. Das höchste Gericht, ansässig im marmornen United States Supreme Court Building, ist geschmückt mit Schriftzügen wie "Equal Justice Under Law" und "Justice the Guardian of Liberty". Seine Richter tragen den Titel "Justice", die Gerechtigkeit selbst. Hier wird die Verfassung der Vereinigten Staaten verteidigt.
5:4 für die Konservativen
Nach der Ernennung von Neil Gorsuch als Nachfolger des verstorbenen Richters Antonin Scalia im April vergangenen* Jahres ist Kavanaugh nun der zweite Richter, den Trump in seinen nicht einmal zwei Jahren Amtszeit an den Court bringt. Aber Kavanaugh, der als brillanter Jurist gilt, ersetzt im Gegensatz zu Gorsuch keinen ebenso eindeutig Konservativen. Richter Anthony Kennedy, der in Ruhestand geht, galt als "swing vote", ein unsicherer Faktor im sonst so berechenbar politisierten Gericht. Gerade in gesellschaftlichen Fragen stellte er sich auch auf die Seite der Liberalen.
Nun aber steht es zwischen Konservativen und Liberalen offenbar klar 5:4. Und die beiden von Trump ernannten Richter sind mit 53 (Kavanaugh) und 51 (Gorsuch) vergleichsweise jung. Sie könnten unter Umständen 30 Jahre oder mehr am Gericht sitzen, schließlich werden die Richter auf Lebenszeit ernannt.
Es steht viel auf dem Spiel. Wie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht ist auch der Supreme Court regelmäßig mit gesellschaftlich bedeutsamen Fragen befasst. Jüngst waren dies Fälle wie Obergefell v. Hodges, in dem das Gericht das Verbot oder die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Ehen untersagte, oder National Federation of Independent Business v. Sebelius. Mit der Entscheidung erklärten die höchsten Richter eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht für alle Amerikaner (Obamacare) für zulässig.
Die Abtreibung steht im Fadenkreuz
Im Mittelpunkt des Interesses steht aber nun eine anderes Urteil, der viel zitierte Fall Roe v. Wade. Im Jahr 1973 untersagte der Supreme Court den Bundesstaaten, Abtreibungen zu verbieten. Das Urteil kam damals überraschend und sorgte für großen Aufruhr im christlich-konservativ geprägten Teil des Landes. "Pro Life"-Aktivisten liefen Sturm gegen die Entscheidung und versuchen seitdem durch intensives Lobbying, Politik und Justiz dazu zu bewegen, die Entscheidung wieder umzukehren. Das aber kann nur der Supreme Court selbst. Für das Anliegen der selbsternannten Lebensschützer ist daher essentiell, wer dort die Richterbank besetzt.
Trump selbst hat sich im Wahlkampf für das Präsidentenamt von einem "Pro Choice"- zu einem "Pro Life"-Kandidaten gewandelt. Nur so konnte er sich die zahlreichen Wählerstimmen aus deren Lager sichern, ohne die Republikaner kaum noch Chancen auf den Wahlsieg haben. Die Konservativen spekulieren nun darauf, die Abtreibungsfrage so schnell wie möglich wieder vor den Supreme Court zu bringen und Roe v. Wade rückgängig zu machen.
Richard Epstein, Professor an der NYU School of Law in New York City, der Kavanaugh früh als Favoriten ausmachte, glaubt indes nicht daran, dass Roe v. Wade mit dem Mann aus Washington nun kippen könnte, wie er gegenüber LTO erklärte: "Es gäbe wegen Roberts (Vorsitzender Richter John Roberts, der zum konservativen Lager gezählt wird, d. Red.) ohnehin keine Mehrheit", so Epstein. Außerdem sei es wahrscheinlich, dass Kavanaugh die Entscheidung als "settled law", gefestigtes Richterrecht, anerkennen werde. Das hatte der Jurist selbst bereits angedeutet.
Kavanaugh – Ein Richter von Trumps Gnaden?
Doch es gibt auch noch andere politische und juristische Schlachtfelder, auf denen Kavanaugh bald eine entscheidende Rolle spielen könnte. Die Demokraten befürchten, Kavanaugh sei offen für das Konzept des Racial Profiling durch die Polizei und die Diskriminierung von Homosexuellen, denen in manchen Bundesstaaten noch immer wegen ihrer sexuellen Orientierung gekündigt werden kann. Wie er dazu steht, kann aber derzeit nur gemutmaßt werden.
Für Trump selbst könnte unterdessen die Meinung des neuen Richters zur laufenden Untersuchung von Sonderermittler Robert Mueller besonders wichtig werden. Mueller untersucht eine mögliche Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf 2016 und eine Verstrickung von Trumps Wahlkampfteam darin. Sollte sich die Untersuchung irgendwann gegen Trump selbst richten, würde sich die Frage stellen, ob er in letzter Konsequenz sogar angeklagt werden könnte oder aber andererseits das Recht hätte, Mueller zu entlassen und die Untersuchung zu beenden. Kavanaugh hat in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht, dass seiner Meinung nach ein Präsident im Amt nicht Gegenstand eines Strafverfahrens sein kann. Damit steht er indes auf der Bühne hochrangiger amerikanischer Juristen nicht alleine: "Es ist weithin anerkannt, dass ein Präsident nicht angeklagt werden kann, ohne vorher seines Amtes enthoben worden zu sein" stellt Epstein klar, der oft die Autorität der Regierung betont und vielfach auch Trumps politische Manöver befürwortet hat. "Kavanaugh hat das damals in Bezug auf Clinton gesagt."
Anders sieht es dagegen bei einer möglichen Sabotage der Mueller-Untersuchung durch Trump aus: "Im Grunde kann ein Präsident praktisch jeden (aus seiner Administration, d. Red.) feuern" betont Epstein. "Es ist aber nicht klar, ob er auch das Recht hat, eine solche Untersuchung zu beenden. Da könnte auch das Motiv eine Rolle spielen." Kavanaugh habe sich zu dieser Frage noch nicht positioniert. "Es gibt nichts in seiner Vita, das auf die eine oder andere Ansicht hindeutet", so Epstein.
Kavanaugh, der bisher am Bundesberufungsgericht für den District of Columbia tätig war, hatte nicht auf den ersten beiden Vorschlagslisten gestanden, die Trump für mögliche freie Supreme-Court-Stellen hatte ausarbeiten lassen. Erst nach Beginn der Mueller-Untersuchungen rückte er auf die Liste. Trump selbst ist bekannt dafür, absolute Loyalität einzufordern. Was spräche dagegen, die Nominierung für das Richteramt an Folgsamkeit zu knüpfen? Zunächst einmal die formale Unabhängigkeit der Richter, wie Epstein meint. Die Mutmaßung, Kavanaugh werde sich Trump gegenüber uneingeschränkt loyal verhalten, hält er für "vollkommen falsch". Trump könne unbedingte Loyalität von seinen Regierungsangestellten verlangen, "aber nicht von einem Richter, den er nicht feuern kann." Außerdem ist sich Epstein sicher: "Kavanaugh würde das niemals tun."
Amtsenthebung oder "court packing" – die Demokraten suchen nach Möglichkeiten
Die Demokraten suchen dennoch bereits nach Möglichkeiten, die geänderte Zusammensetzung des Supreme Courts bald wieder zu ändern. So verfestigt ist sie nämlich gar nicht. Da wäre zum einen die Möglichkeit eines Impeachments, also einer Amtsenthebung von Kavanaugh. Stoff dafür könnten möglicherweise die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bieten. Nach der US-Verfassung sind die Richter zwar auf Lebenszeit ernannt, können aber, wie auch der Präsident, bei schweren Straftaten aus dem Amt entfernt werden. "Es bräuchte dafür nur eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus" erklärt Epstein das Verfahren, "aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat". Sollte es, möglicherweise nach für die Demokraten erfolgreichen Senatswahlen, dazu kommen, wäre dies aber in Epsteins Augen "hopelessly divisive", hoffnungslos spaltend. Die Fronten in den USA zwischen Konservativen und Republikanern sind bereits völlig verhärtet. Dass es wirklich zu einer Amtsenthebung kommt, scheint aber unwahrscheinlich, jedenfalls wäre es fast beispiellos. Der einzige Supreme-Court-Richter, gegen den bislang ein Amtsenthebungsverfahren angestrengt wurde*, war Samuel Chase. Das war im Jahr 1804.
Die zweite und wohl einfachere Möglichkeit wäre das sogenannte "court packing". Dies meint die Aufstockung des Gerichts um weitere Richter, um wieder eine liberale Mehrheit herzustellen. Denn die Zahl von derzeit neun Richtern ist keineswegs in Stein gemeißelt. Um sie zu ändern, bräuchte es nur eine einfache Mehrheit im Kongress, der sich aus Senat und Repräsentantenhaus zusammensetzt. Bei einer erfolgreichen Mid-Term-Wahl im November könnte den Demokraten das durchaus gelingen. In den Augen von Kritikern gilt ein solches Manöver aber als unanständig und undemokratisch: "Court packing ist das, was sie in der Türkei machen" meint Epstein. Aus diesem Grund gilt es auch vielen Liberalen als "nukleare Option". Unrealistisch scheint aber selbst das angesichts der Angst vor einer konservativen Dominanz am Gericht nicht mehr.
Dabei gab es schon 2005 die Befürchtung, nach der Ernennung des Vorsitzenden John Roberts könnte das Gericht zu einer konservativen Festung werden – und doch fielen später unter seiner Mitwirkung die Urteile zur gleichgeschlechtlichen Ehe und Obamacare. Auch weil ursprünglich als konservativ eingestufte Richter plötzlich anders urteilten, als man es von ihnen erwartete. Kavanaugh selbst versprach nach seiner Vereidigung am Montagabend (Ortszeit) in Washington Unparteilichkeit. Er sei nicht ernannt worden, um einer Seite oder einem Interesse zu dienen: "Jeder Amerikaner kann sich sicher sein, dass ich ein unabhängiger und unparteiischer Richter sein werde".
Mit Materialien von dpa
*Korrektur am Tag der Veröffentlichung: Zuvor hieß es hier irrtümlich, Neil Gorsuch sei im April diesen Jahres ernannt worden. Tatsächlich war es April 2017.
*Zudem war die Rede davon, dass Samuel Chase seines Amtes enthoben worden sei. Tatsächlich war das entsprechende Verfahren im Jahr 1804 nicht erfolgreich.
Befürchteter Wandel am Supreme Court: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31379 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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