Gesetzgeber will Börsenrückzug neu regeln: Ein­la­dung zur Aus­beu­tung von Min­der­heits­ak­tio­nären

von Prof. Dr. Tim Drygala und Robert Peres

07.09.2015

2/2: Einladung zur Ausbeutung von Minderheitsaktionären

Dazu kommt, dass institutionelle Anleger wie beispielsweise Publikums-Investmentfonds aufgrund ihrer Regulierung beim Delisting gezwungen werden, ihre Aktien zu verkaufen, was einem kalten Squeeze-Out ohne Rechtsschutz gleichkommt.

Der Ausschluss jeglicher Angebotspflicht bei vorhergehenden Übernahmeangeboten wird dazu führen, daß die Kurse dieser Gesellschaften nach dem Vollzug eines Übernahmeangebots drastisch sinken werden. Denn jeder potentielle Kaufinteressent muss mit der unmittelbar bevorstehenden Möglichkeit eines kompensationslosen Delistings rechnen.

In der Folge wird der Aktionär ein Übernahmeangebot nicht mehr mit der gebotenen Gelassenheit auf dessen Angemessenheit überprüfen können. Der Druck zur Annahme des Angebots steigt.

Der Rechtszustand für Kleinaktionäre verschlechtert sich durch den Entwurf sogar drastisch, da in solchen Situationen die derzeit geltenden Mindestfristen entfallen würden, innerhalb derer eine Notierung noch aufrechtzuerhalten ist (an der Frankfurter Wertpapierbörse beispielsweise in der Regel 6 Monate). Der Entwurf lädt internationale Großkonzerne geradezu ein, über diesen Weg die Minderheitsaktionäre inländischer Zielgesellschaften auszubeuten.

Mitentscheidungsrechte "nicht geboten"?

Mitentscheidungsrechte der Aktionäre bei der Frage der Börsennotierung hält der Gesetzgeber für "nicht geboten". Diese seien hinreichend dadurch geschützt, dass ein Erwerbsangebot in Höhe des durchschnittlichen Börsenkurses vorgelegt werden muss.

Dabei übersieht die Koalition, dass Börsenkurse durch Managemententscheidungen und gezielte Informationspolitik im Interesse des Mehrheitsgesellschafters manipuliert werden können.

Oft fehlt dem Markt auch schlicht noch die Kenntnis von wertbildenden Faktoren, und der Großaktionär kann sich einen günstigen Moment für die Maßnahme aussuchen. Sehr oft reflektiert der Börsenkurs daher in keiner Weise den wahren Unternehmenswert. Der Aktionär sollte in die Lage versetzt werden, eine unabhängige Prüfung vornehmen zu lassen.

Ein Entwurf, der nicht nur den Anlegern schaden würde

Wie sollte die Reform stattdessen aussehen? Börsennotierte und nicht börsennotierte AG sind strukturell so verschieden, dass es sinnvoll wäre, einen Börsenrückzug wie einen Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) zu behandeln.

Die Initiatoren des Änderungsvorschlags sehen aber in der Börsennotierung lediglich einen Verwaltungsvorgang, auf den die tatsächlichen Eigentümer keinen Einfluss haben sollen.

Dies ist eine falsche Sicht, da die Entscheidung, sich des Kapitalmarktes zu bedienen, systematisch eine ganz neue Art Gesellschaft erzeugt. Später von den neuen Miteigentümern ohne Mitspracherecht und ausreichende Entschädigung deren Anteile wieder einzusammeln, schadet nicht nur den Anlegern selbst, sondern in erheblichem Maße auch der deutschen Aktienkultur.

Stattdessen: Rechtsschutz wie beim Formwechsel nach dem UmwG

Zumindest sollte der Gesetzgeber in der endgültigen Beschlussfassung die angemessene Gegenleistung nicht am Börsenpreis festmachen, der volatil und beeinflussbar ist, sondern ergänzend auch am Ertragswert des Unternehmens.

Diese Gegenleistung sollte dann auch zwingend durch ein Spruchverfahren überprüfbar gemacht werden. Dessen Entscheidung müsste für alle Aktionäre wirken – auch für solche, die sich nicht aktiv an dem Spruchverfahren beteiligt haben.

Schließlich darf die Gegenleistung nicht bei vorgehenden Übernahme- oder Pflichtangeboten ausgeschlossen werden. Diese Regelung lädt geradezu zum Missbrauch ein.

Beide Seiten, also Unternehmen und Aktionäre, verdienen eine bessere Lösung als die von der Koalition nun vorgelegte.  Der Gesetzgeber sollte den Gedanken an eine kapitalmarktrechtliche Lösung insgesamt aufgeben und denselben Rechtsschutz vorsehen, der bei einem Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz gegeben ist. Das ist ein bewährter Standard, für dessen Unterschreitung kein Grund ersichtlich ist.

Prof. Dr. Tim Drygala ist Inhaber des Lehrstuhls für Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Leipzig.

Robert Peres ist Rechtsanwalt und Kanzleiberater in Wiesbaden.

Zitiervorschlag

Robert Peres, Gesetzgeber will Börsenrückzug neu regeln: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16817 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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