Warum nach dem BVerfG-Urteil zur BND-Auslandsüberwachung der Gesetzgeber die Vorgaben nicht beachtet haben soll, ob eine neue Verfassungsbeschwerde kommt und wann eine Grundsatzreform des Geheimdienstrechts, dazu Ulf Buermeyer im Interview.
LTO: Im Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Regeln zur Auslandsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) für verfassungswidrig erklärt, angestoßen von einer Verfassungsbeschwerde, die Ihre Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) initiiert hat. Nun hat der Gesetzgeber mit einer Novelle des BND-Gesetzes auf das Urteil reagiert. Setzt die nun beschlossene Reform die Vorgaben aus Karlsruhe um?
Dr. Ulf Buermeyer: Die Novelle setzt die Vorgaben nur teilweise um. Es fehlte offensichtlich der politische Wille, einen wirklich rechtsstaatlichen Geheimdienst zu schaffen. Was mir am meisten Sorgen bereitet: Die Mehrheit im Deutschen Bundestag hat den Sinn und Zweck des Urteils nicht verstanden. Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass der BND eine Behörde ist, die sich wie jede andere Behörde auch an Recht und Gesetz halten muss. Es darf also auch für einen Geheimdienst keine rechtsfreien Räume geben. Und der BND muss auf die Einhaltung dieser Regeln unabhängig kontrolliert werden. Natürlich wird die Kontrolle eines Geheimdienstes anders aussehen als die Kontrolle einer Behörde, die offen arbeitet. Was in dieser Reform an Kontrolle vorgesehen ist, genügt den Vorgaben jedoch nicht.
Das heißt, auch die neue Reform leidet an verfassungsrechtlichen Mängeln?
Ich finde es völlig offensichtlich, dass den Vorgaben aus Karlsruhe zumindest teilweise nicht Rechnung getragen wurde. Ich habe keine Zweifel, dass man diese Novelle auch in Karlsruhe mit Stirnrunzeln lesen wird. Nach wie vor soll der BND beispielsweise nach Gutdünken Leitungswege im Internet abhören können, ohne dass die dafür verwendeten Suchbegriffe im Voraus begründet werden müssten oder ihre Anordnung inhaltlich kontrolliert werden könnte. Das lässt vom Telekommunikationsgeheimnis nicht viel übrig – im Gegenteil: Solche verdachtsunabhängigen Überwachungen berühren das Grundrecht in seinem Kern.
Also werden Sie noch einmal klagen?
Die GFF prüft das nun beschlossene Gesetz noch einmal im Detail, aber ich gehe davon aus, dass wir wieder eine Verfassungsbeschwerde auf den Weg bringen werden, eventuell auch wieder mit Partnerorganisationen.
"Es geht nicht darum, den BND abzuschaffen"
Das BVerfG hat auch betont, dass die Auslandsüberwachung für den BND und die Bundesregierung sehr wichtig ist. Wird mit der Reform das legalisiert, was nach den Snowden-Enthüllungen öffentlich so kritisiert wurde?
Der GFF und ihren Partnern geht es nicht darum, den BND abzuschaffen oder jede Form der Auslandsspionage zu verhindern. Es geht darum, einen auf rechtstaatlichen Grundsätzen basierenden Geheimdienst herbeizuführen. Allerdings glauben wir, dass in einzelnen Bereichen – etwa beim Schutz der Pressefreiheit – die Arbeit des Geheimdienstes rechtsstaatliche Grundsätze strukturell verletzt. Wenn Geheimdienste die Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Quellen mitschneiden können, dann ist keine vertrauliche Kommunikation möglich. Auch in der neuen Fassung des BND-Gesetzes wird das nicht sicher verhindert.
Die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten durch den BND soll grundsätzlich nur noch möglich sein, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass sie an schweren Straftaten beteiligt sind. Der bloße Verdacht soll nicht genügen. Reicht das nicht?
Die effektive Kontrolle einer jeden Behörde und auch die eines Geheimdienstes hat Voraussetzungen auf drei Ebenen: Erstens braucht es klare gesetzliche Vorgaben, was die Behörde tun darf. Das ist der Maßstab einer späteren Kontrolle. Zweitens braucht es umfassende Dokumentationspflichten, d.h. die getroffenen Entscheidungen müssen in Akten oder elektronisch niedergelegt und begründet werden. Und drittens eine unabhängige Kontrolle. Bei der Dokumentation und der unabhängigen Kontrolle gibt es bei der Überwachung von Journalisten nach wie vor Lücken. Es bleibt möglich, dass ein BND-Mitarbeiter Journalisten aus dem Schutzbereich herausdefiniert. So könnten beispielsweise E-Mail-Adressen, mit denen nicht nur journalistisch gearbeitet wird, sondern auch Privates erledigt wird, in die Überwachung geraten.
Das von Karlsruhe geforderte und nun geplante Kontrollgremium soll in Zukunft die strategische Auslandsaufklärung, also das Durchsuchen von Internetkommunikation mittels Suchbegriffen, überprüfen und genehmigen. Anders als zunächst geplant, sollen dem Gremium nur noch erfahrene Bundesrichter angehören und keine Vertreter der Bundesanwaltschaft mehr.
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bundesrichter mögen von ihrer Sozialisation unabhängiger sein als Bundesanwälte, die ihr Berufsleben in einer behördlichen Hierarchie verbracht haben. Gleichwohl muss man sich fragen, welchen Anreiz haben Bundesrichter, die typischerweise am Ende ihrer Karriere in diesem Gremium sitzen werden, da noch für "Ärger" zu sorgen? Das neue Gesetz vertraut auf den persönlichen Idealismus einzelner Richterinnen, schafft aber keine institutionellen Anreize, um eine engagierte Kontrolle zu betreiben.
Wie schafft man solche Anreize?
Man hätte bei der Kontrolle den Bundesdatenschutzbeauftragten einbeziehen sollen, der hat nämlich von Amts wegen ein großes Interesse an einem hohen Datenschutzniveau. Und vor dem richterlichen Gremium hätte dann ein richtiger Prozess mit zwei Parteien verhandelt werden können, ein sogenanntes "kontradiktorisches Verfahren", wie es in anderen Rechtsstaaten wie etwa den USA bereits eingerichtet wurde: Auf der einen Seite hätte der Bundesdatenschutzbeauftragte seine Kritik anbringen können und auf der anderen Seite hätten die BND-Vertreter ihre Auffassung vorstellen können. Diese Chance wurde verpasst.
"Der BND soll wenigstens damit rechnen müssen, kontrolliert zu werden"
Können die sechs Mitglieder im neuen Gremium und ihr Stab die Arbeit des BND mit seinen über 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kontrollieren?
Es ist gar nicht so entscheidend, dass zum Beispiel jeder Selektor, also jeder Suchbegriff, geprüft wird, sondern nur, dass er geprüft werden könnte. Es wird ja auch nicht jeder Bescheid, den ein deutsches Amt schreibt, vom Verwaltungsgericht überprüft. Aber es wäre möglich. Erforderlich wäre, dass der BND bei jeder Entscheidung wenigstens damit rechnen muss, kontrolliert zu werden.
Muss er das denn jetzt?
Nein, das ist immer noch nicht sichergestellt, insbesondere weil es weiterhin in vielen Situationen sowohl an klaren rechtlichen Vorgaben fehlt als auch an der Pflicht zur Dokumentation von Entscheidungen. Selbst wenn die Kontrolle wirklich engagiert und unabhängig sein sollte, wäre sie also weiterhin wenig effektiv.
Besteht die Gefahr, dass der BND durch die neuen Kontrollmechanismen zu langsam wird – und z.B. bei drohenden Anschlägen nicht mehr schnell genug Informationen liefern kann?
Das Argument würde ich schon im Ansatz zurückweisen: Rechtsstaatlichkeit hat nun mal ihren Preis. Und wir können nicht sagen, wir verhalten uns rechtsstaatswidrig, weil das vielleicht einen Tick effizienter ist. Aber konkret bezogen auf den BND: Wenn es wirklich zu Verzögerungen etwa durch die Dokumentation kommen sollte, dann hätte der BND seinen Laden nicht im Griff. Das neue BND-Gesetz zur Auslandsaufklärung sieht außerdem an allen wichtigen Stellen auch Eilvorschriften vor, die Entscheidung des Kontrollgremiums kann also nachgeholt werden.
Das BVerfG hat für Umsetzung eine Frist bis Ende 2021 gesetzt, davor liegt auch noch eine Bundestagswahl. Hat sich die große Koalition vor allem aus Zeitdruck für ein Reparaturgesetz entschieden und eine grundsätzliche Reform verpasst?
Ich habe nicht den Eindruck, dass die nun verabschiedete Novelle ein Ausdruck von Zeitnot ist. Denn jetzt wird erstmal aufwendig ein neues Kontrollgremium geschaffen. Man hat sich nicht aus Zeitdruck für pragmatische, sondern im Gegenteil für unnötig umständliche Lösungen entschieden. Ein grundlegender Neustart nach den Maximen strenge Befugnisse, umfassende Dokumentation, unabhängige Kontrolle hätte in der Umsetzung gar nicht länger dauern müssen.
Wird nach der Bundestagswahl im Herbst eine grundsätzliche Reform ein Thema werden, oder ist das jetzt mit dem Umsetzungsgesetz rechtspolitisch erstmal abgeschlossen?
Das Thema ist keinesfalls vom Tisch – nicht zuletzt die absehbare neuerliche Verfassungsbeschwerde wird dafür sorgen. Ich habe außerdem die Hoffnung, dass eine neue Koalition die Prioritäten anders setzen wird. Denn die Grünen, die ja sehr wahrscheinlich an einer neuen Regierung beteiligt sein werden, sind auch als Rechtsstaatspartei angetreten. Ich bin sehr gespannt, wie sie diesen Anspruch mit Blick auf die Arbeit der Geheimdienste umsetzen wollen.
Dr. Ulf Buermeyer ist Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF). Von seinem Amt als Richter des Landes Berlin ist er zur Zeit beurlaubt. Gemeinsam mit dem Journalisten Philip Banse gestaltet er den wöchentlichen Politik-Podcast “Lage der Nation”.
Landet das neue BND-Gesetz wieder vor dem BVerfG?: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44712 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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