Im Untersuchungsausschuss zur Wirecard-Affäre müssen Wirtschaftsprüfer von EY aussagen. Der BGH klärte grundsätzlich, wer sie von ihrer Verschwiegenheitspflicht befreien muss. Aufklären dürfte in Zukunft leichter fallen.
Wirtschaftsprüfer von EY können nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Untersuchungsausschuss (UA) zum Wirecard-Bilanzskandal befragt werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden, wie am Donnerstag bekannt wurde (Beschluss vom 27.01.2021, Az. StB 44/20). Damit hat er auch eine Grundsatzentscheidung zur Aufklärung von Wirtschaftsskandalen getroffen.
In dem 14-seitigen Beschluss, der LTO vorliegt, hat der BGH damit eine bislang in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage geklärt: Wer muss bei einer insolventen Gesellschaft einen Berufsgeheimnisträger, wie z.B. einen Wirtschaftsprüfer oder einen Rechtsanwalt, von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden?
Um den Bilanzfälschungsskandal um den deutschen Zahlungsabwickler Wirecard aufzuklären, hatte der UA im Bundestag auch Wirtschaftsprüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young vorgeladen. EY hatte die Wirecard-Bilanzen von 2009 bis 2018 geprüft und abgesegnet, lediglich für den Abschluss 2019 verweigerte die Gesellschaft das Testat. Laut Münchner Staatsanwaltschaft waren die Bilanzen des Zahlungsdienstleisters aber spätestens seit 2015 manipuliert. EY ist nun mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht genau genug geprüft zu haben und dem Schwindel aufgesessen zu sein.
Wirtschaftsprüfer berief sich auf unklare Rechtslage
Ein vom UA als Zeuge geladener Wirtschaftsprüfer befürchtete, dass er mit einer Aussage seine berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht verletzen würden. Er berief sich deshalb auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber dem UA. Daraufhin verhängte der Ausschuss ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro gegen den Wirtschaftsprüfer, weil "der das Zeugnis ohne Grund verweigert" habe. Der Zeuge hatte sich hingegen auf eine umstrittene Rechtslage berufen, es sei nicht klar, ob er unter den vorliegenden Voraussetzungen aussagen dürfe.
Bei Verletzung der Verschwiegenheitspflicht droht eine Strafverfolgung nach § 203 Strafgesetzbuch wegen Verletzung von Privatgeheimnissen und deshalb Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Der Tatbestand nennt im gleichen Atemzug wie die Wirtschaftsprüfer auch Rechtsanwälte und Steuerberater. Daneben könnte auch noch eine Verfolgung wegen § 333 Handelsgesetzbuch drohen, wenn Geheimnisse eines Unternehmens verraten werden.
Insbesondere war nicht klar, ob es neben dem gegenwärtigen Insolvenzverwalter und neben den aktuell für die Wirecard handelnden Organen auch noch auf die Entbindung durch ehemalige Organe der Wirecard ankommt. Das hätte konkret bedeutet, dass es dann möglicherweise ausgerechnet von der Entscheidung durch Jan Marsalek und Markus Braun als alte Unternehmensspitze abgehangen hätte, ob die Prüfer im Untersuchungsausschuss an der Aufklärung mitwirken dürfen. Braun sitzt in Untersuchungshaft, nach Marsalek wird weltweit gefahndet.
Auf den Zeitpunkt der Aussage kommt es an
Der BGH stellte nun klar, dass wer als Wirtschaftsprüfer ein Berufsgeheimnis zu tragen hat, grundsätzlich nur von seinem Auftraggeber von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden kann. Beauftragt ein Unternehmen einen Prüfer oder eine andere Vertrauensperson, dann kommt es für die Entbindungsbefugnis allerdings darauf an, wer zum Zeitpunkt der Zeugenaussage zur Vertretung des Unternehmens berechtigt ist. Auch wenn für das Unternehmen letztlich eine natürliche Person handelt und den Wirtschaftsprüfer beauftragt, kommt mit dieser Person kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zustande. Später muss von dieser Person also keine Entbindung eingeholt werden.
Anderenfalls, so der BGH, würden Interessenkonflikte zu Entbindungsfragen drohen zwischen der juristischen Person und der natürlichen Person, die für sie handelt. Also insbesondere dann, wenn der Verdacht eines Fehlverhaltens durch Manager im Raum steht, wie im Fall von Wirecard. Diese Manager sollen nicht später die Aufklärung durch Verweigerung der Entbindung behindern können.
Für den Fall, dass sich das Unternehmen im Insolvenzverfahren befindet, kommt diese Aufgabe dem bestellten Insolvenzverwalter zu, soweit es um Zeugenaussagen zu Angelegenheiten geht, die die Insolvenzmasse betreffe, so der 3. BGH-Strafsenat weiter in seinem Beschluss. Nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung geht die Entscheidungsbefugnis, ob ein beauftragter Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheit entbunden wird, auf den Insolvenzverwalter über. Er entscheidet dann allein – ohne dass ehemalige oder gegenwärtige Organe der Gesellschaft dazu noch etwas zu sagen hätten.
Im Ergebnis bedeutet das für den Fall des Wirtschaftsprüfers, der sich gegen das verhängte Ordnungsgeld zur Wehr setzte: Er hatte keinen Grund, die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zu verweigern, denn es lagen Entbindungserklärungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des gegenwärtigen Vorstands und des Aufsichtsrats von Wirecard vor. Auf weitere Entbindungen von Führungspersonen aus der Vergangenheit des Unternehmens kommt es nicht an.
EY: "Jeder geladene Mitarbeiter kann jetzt aussagen"
Allerdings hat der Wirtschaftsprüfer mit seiner Verweigerung im UA nach Auffassung des BGH nicht schuldhaft gehandelt. Gegen ihn durfte das Ordnungsgeld deshalb nicht verhängt werden. Offenbar hatten die Verteidiger des Wirtschaftsprüfers gezielt auf den Weg über das verhängte Ordnungsgeld und auf die BGH-Entscheidung gesetzt, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen – eine Art strategische Prozessführung im Kleinen.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Björn Gercke von der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger, der den Wirtschaftsprüfer in dem Verfahren vertritt, sieht eine "Entscheidung von rechtshistorischer Bedeutung". Der BGH habe damit einen jahrzehntelangen Streit der Oberlandesgerichte geklärt.
Aus seiner Sicht haben sich die Prüfer vor dem Untersuchungsausschuss richtig verhalten, sie hätten nicht "gemauert", sondern sich einer "unsicheren Rechtssituation" gegenüber gesehen. "Wir freuen uns, dass die Zeugen nun frei von persönlichen Risiken aussagen können. Der BGH hat ausdrücklich festgestellt, dass sich die Prüfer angesichts der Entbindung durch den Insolvenzverwalter nicht strafbar machen", so Gercke zu LTO.
EY teilte am Donnerstag mit: "Jeder vom Untersuchungsausschuss als Zeuge geladene EY-Mitarbeiter kann nun zur Abschlussprüfung bei Wirecard vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Wir haben immer betont, dass wir zur Aufklärung der Sachverhalte im Fall Wirecard beitragen, dafür aber eine rechtssichere und wirksame Entbindung von unserer Verschwiegenheitsverpflichtung benötigen." Auch die Akten, die EY dem Untersuchungsausschuss bisher versiegelt übergeben habe, sind nun für die Abgeordneten einsehbar.
Der SPD-Obmann im Ausschuss, Jens Zimmermann, erklärte, er erwarte nun ein "Ende des Mauerns der verantwortlichen Wirtschaftsprüfer". Seine Kollegin Cansel Kiziltepe (SPD) betonte: "Jetzt können die Wirtschaftsprüfer sich nicht mehr hinter der Mauer des Schweigens verstecken".
Nachdem sie jetzt juristisch gesehen aussagen dürfen, bleibt jetzt abzuwarten, was die Wirtschaftsprüfer aussagen wollen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sollen die Wirtschaftsprüfer voraussichtlich am 19. März erneut geladen werden.
BGH-Grundsatzentscheidung zu Wirecard: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44255 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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