Grundsatzurteil zum Kartellrecht: Karls­ruhe erleich­tert Klagen von End­ver­brau­chern

von Dr. Jan Imgrund

18.07.2011

Ende Juni entschied der BGH, dass nicht nur direkte Kunden von in Kartellabsprachen verwickelte Unternehmen auf Schadensersatz klagen können, sondern auch Zwischen- und Endabnehmer. Dabei gibt das Gericht den bisherigen nationalen Sonderweg auf - zugleich droht Deutschland seine Vorreiterrolle in Sachen Kartellschadensersatzklagen in Europa zu verlieren. Von Jan Imgrund.

Unternehmen, die sich bei Kartellabsprachen erwischen lassen, werden von den Kartellbehörden oft mit Geldbußen in Millionenhöhe belegt. Darüber hinaus droht ihnen neuerdings finanzielles Ungemach von den Kunden, die ihr oft über Jahre hinweg zuviel gezahltes Geld per Zivilklage zurückverlangen. In den USA gang und gäbe, sind solche Klagen in Europa noch relativ selten und die Rechtsunsicherheit daher groß. In seiner Entscheidung vom 28. Juni 2011 hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun für mehr Klarheit gesorgt (Az. KZR 75/10).

Zur Vorgeschichte: In den neunziger Jahren taten sich einige Hersteller von Selbstdurchschreibepapieren zu einem Kartell zusammen und trafen dabei Preisabsprachen. Das Kartell flog auf, und die Europäische Kommission verhängte im Jahr 2001 empfindliche Geldbußen gegen die Teilnehmer.

Eine Druckerei, die Kunde eines deutschen Kartellmitglieds gewesen war, klagte daraufhin auf Schadensersatz in Höhe des Betrags, den sie aufgrund der Kartellabsprache einem der Kartellanten zuviel gezahlt hatte. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe gab der Klage in zweiter Instanz weitestgehend statt und sprach dem Kläger Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro zu (Urt. v. 11.06.2010, Az. 6 U 118/05).

Mehr Kläger, mehr Hindernisse

Der BGH hat nun in letzter Instanz zwei wichtige Fragen genau entgegengesetzt zur Vorinstanz entschieden und den Rechtsstreit zur Klärung tatsächlicher Fragen zurückverwiesen.

Zum einen ging es um die Frage, ob nur unmittelbare Kunden der Kartellteilnehmer Schadensersatz verlangen können oder ob auch Abnehmer klageberechtigt sind, die diesen in der Absatzkette folgen. Das OLG Karlsruhe hatte in der Vorinstanz die Klage teilweise abgewiesen, da der Kläger das Papier zum Teil nicht direkt, sondern über Großhändler bezogen hatte. Nach dem BGH sollen jedoch auch indirekte Abnehmer, also zum Beispiel auch Endkunden, grundsätzlich Schadensersatz beanspruchen können.

Zum anderen ging es um die Zulässigkeit der so genannten passing on defence, einer Art der Vorteilsausgleichung: Der BGH entschied, dass der Einwand der Beklagten gegen den Schadensersatzanspruch grundsätzlich zulässig war. Demnach hätte der Kläger die kartellbedingte Preiserhöhung auf seine eigenen Abnehmer weiterwälzen können, indem er selbst die Preise erhöht. Soweit der Beklagte in der Lage ist, dies nachzuweisen, kann dies zu einer Minderung oder gar einem gänzlichen Entfallen des Schadensersatzanspruchs führen.

Deutscher Pragmatismus gegen europäischen Idealismus

Beide Fragen hängen eng miteinander zusammen: Beschränkt man den Kreis der Schadensersatzberechtigten von vornherein auf direkte Abnehmer und unterstellt, dass diese den gesamten Kartellschaden tragen mussten, gibt man ihnen – allerdings auf Kosten weiterer denkbarer Geschädigter – einen maximalen Anreiz für eine Klage.

Entscheidet man beide Fragen anders, sorgt dies theoretisch für eine gerechtere Verteilung der Schadensersatzzahlungen. Es macht die  Rechtsverfolgung aber auch weit komplizierter, da sich Kläger unterschiedlicher Marktstufen die Schadenssumme eventuell teilen müssten. Gerade bei Endverbrauchern wird es sich auch häufig um so geringe Beträge handeln, dass sich eine Klage nicht lohnt.

Die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof sind trotz dieser Schwierigkeiten seit jeher Verfechter der zuletzt genannten, "idealistischen" Lösung, während man in Deutschland gerade dabei war, der eher "pragmatischen" Variante den Vorzug zu geben. Der BGH hat diesem Sonderweg nun ein Ende bereitet und sich eindeutig zur europäischen Sichtweise bekannt.

Es wird nun befürchtet, dass Deutschland seine Attraktivität als "Klage-Standort" wieder einbüßen könnte, nachdem es gerade dabei war, sich zu einem der Vorreiter in Sachen Kartellschadensersatzklagen in Europa zu entwickeln. Ob dies der Fall ist, wird sich zeigen. Das Urteil des BGH ist immerhin eine der ganz wenigen höchstrichterlichen Entscheidungen auf Ebene der Mitgliedstaaten und sorgt somit in Deutschland für Rechtssicherheit.

Fraglich scheint auch, ob es auf lange Sicht wirklich erfolgversprechend gewesen wäre, in diesem Bereich gegen den europäischen Strom zu schwimmen. Gerade die Europäische Kommission tut viel, um derartige Klagen auch für Verbraucher zu erleichtern. Langfristig sollen etwa Kartellopfer in die Lage versetzt werden, Sammelklagen gegen Kartellanten zu erheben.

Dr. Jan Imgrund ist Rechtsanwalt im Brüsseler Büro der Sozietät Redeker Sellner Dahs und beschäftigt sich dort vor allem mit Kartell- und Europarecht.

 

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Zitiervorschlag

Grundsatzurteil zum Kartellrecht: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3784 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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