Bereits 2010 hatte das VG Berlin Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen für rechtswidrig erklärte hatte, weil es an einer Ermächtigung der Polizei fehlte. Nun hat der Senat dem Abgeordnetenhaus eine entsprechende Regelung vorgelegt, über die am Montag der federführende Innenausschuss diskutiert. Der Gesetzentwurf greift ohne Not zu weit in die Versammlungsfreiheit der Demonstranten ein, meint Klaus Weber.
Am 5. September 2009 fand in Berlin eine Anti-Atomkraft-Demonstration statt. Die Versammlung bewegte sich vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor und verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Dennoch filmte die Polizei die Demonstranten mit Videokameras von einem Kleinbus aus, der einige Meter vor der Spitze des Aufzugs herfuhr.
Die Bilder wurden ohne Zeitverzögerung an die Einsatzleitstelle übertragen, ohne jedoch gespeichert zu werden. Am Zielort der Kundgebung stellte die Polizei einen Übertragungswagen so auf, dass der überwiegende Teil der Versammlung mit den Kameras beobachtet werden konnte.
Übersichtsaufnahme ohne Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin erklärte dies später für rechtswidrig, weil es an einer Rechtsgrundlage gefehlt habe (Urt. v. 05.07.2010, Az. 1 K 905.09). Eine solche sei aber erforderlich, weil die Beobachtung von Demonstranten in die nach Art. 8 Grundgesetz (GG) geschützte Versammlungsfreiheit eingreife.
§ 12a des Versammlungsgesetzes des Bundes (VersG), wonach Filmaufnahmen zur Gefahrenabwehr unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind, könne nicht als Ermächtigungsgrundlage herhalten, weil die Übersichtsaufnahmen nicht zur Abwehr von Gefahren, sondern der Koordinierung des Einsatzes gedient hätten. Anfang 2012 bestätigte das VG seine Rechtsprechung in einem ähnlich gelagerten Fall (Urt. v. 26.04.2012, Az. 1 K 818.09).
Darauf will der Landesgesetzgeber nun reagieren. Da Berlin anders als Bayern oder Sachsen noch kein eigenes Versammlungsgesetz hat und daher das Versammlungsgesetz des Bundes auch nach der Föderalismusreform dort noch weiter gilt, muss eigens ein Landes-Versammlungsgesetz geschaffen werden, das die bundesrechtlichen Regelungen entsprechend ergänzt.
Der Gesetzesentwurf betont lediglich "die Bedeutung dieses Instruments für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung" und belässt es im Übrigen bei den Regelungen des VersG.
Beschränkung der Versammlungsfreiheit ohne konkrete Gefahr
Nach § 12a VersG kann die Polizei bereits jetzt bei erheblichen Gefahrenlagen Bild- und Tonaufnahmen anfertigen. Zusätzlich sollen nun in Berlin Übersichtsaufnahmen ermöglicht werden, wenn dies wegen der "Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung oder des Aufzuges im Einzelfall zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes" erforderlich ist. Eine Aufzeichnung soll dabei nicht stattfinden. Da durchaus die Möglichkeit besteht, dass potentielle Demonstranten angesichts geplanter Filmaufnahmen der Polizei von einer Teilnahme an der Versammlung Abstand nehmen, greifen auch Übersichtsaufnahmen in Art. 8 GG ein.
Die Versammlungsfreiheit wird damit für eine bloße "Arbeitserleichterung" für die Polizei eingeschränkt. Eine Beschränkung der Grundrechtsausübung ohne konkrete Gefahrenlage ist aber kaum verhältnismäßig. Die Begriffe "Größe und Unübersichtlichkeit einer Versammlung" sind außerdem so weit gefasst, dass sie mit Blick auf die Versammlungsfreiheit bedenklich sind.
Sofern der Gesetzesentwurf "Übersichtsaufnahmen zur Verhinderung von Gefahren für gewichtige Rechtsgüter wie Leib oder Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizisten oder Dritte" erlaubt, steht dagegen schon § 12a Abs. 1 VersG als Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung.
Berlin sollte statt möglichst schnell auf die Rechtsprechung des VG zu reagieren, besser über den Erlass eines Landes-Versammlungsgesetzes nachdenken, das alle versammlungsrechtlichen Fragen behandelt, ohne Art. 8 GG über Gebühr einzuschränken.
Der Autor Klaus Weber hat zahlreiche Beiträge zum Versammlungsrecht in Fachzeitschriften veröffentlicht und 2010 das Werk "Sächsisches Versammlungsrecht" verfasst.
Klaus Weber, Übersichtsaufnahmen bei Demos in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8258 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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