Für Arbeitnehmer der Kirchen gelten besondere Regeln. Zwar folgt das kirchliche Arbeitsrecht dem gesellschaftlichen Wandel, Streiken dürfen Beschäftigte aber nicht. Das Pro und Contra des Sonderwegs beleuchten Steffen Klumpp und Hartmut Kreß.
Um den streikfreien "Dritten Weg" wird gestritten. Manche sehen in ihm Schlechtes und werfen den Kirchen Ignoranz vor: Sie missachteten die Grund- und gar Menschenrechte ihrer Arbeitnehmer. Das enthält den harschen Vorwurf der einseitigen Interessendurchsetzung auf Arbeitnehmerkosten. Die Kritik kommt prominent von den Gewerkschaften, die die Koalitionsfreiheit gefährdet sehen, weil sie gehindert sind, über einen Tarifvertrag im Sozialbereich auch für die Einrichtungen von Caritas und Diakonie mit geschätzten 1,2 Millionen Arbeitsverhältnissen zu verhandeln und notfalls für diesen zu streiken. Allerdings verbleiben die gegen den Dritten Weg erhobenen Vorwürfe recht oft im Gefühligen. Für den "weltlichen" Juristen stellt sich die schlichte Frage, ob die Kirchen einen streikfreien Dritten Weg vorgeben dürfen. Hier tut nüchterne rechtliche Betrachtung not.
Theologisch inkompetenter Staat
Die Kirchen handeln mit der Vorgabe des Dritten Weges auf der Grundlage ihres durch Art. 140 Grundgesetz (GG) iVm Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) garantierten Selbstbestimmungsrechts. Danach kann jede Religionsgesellschaft – also nicht nur die christlichen Kirchen – ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten.
Das ist so grundlegend wie weitreichend: Die eigenen Angelegenheiten umfassen auch das Wirken der Kirchen nach außen und hier die Wahl der dazu dienenden rechtlichen Mittel. Dass dazu auch die Vorgaben für die (kollektiven) Arbeitsbeziehungen zählen, ist staatskirchenrechtlich gesichertes Terrain.
Dieser weite verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsbereich ist klug gesetzt, weil der Staat theologisch inkompetent ist und sein muss – er hat religiös neutral zu sein.
Leitbild der Dienstgemeinschaft
Auch für die kollektive Regelungsfindung setzen die Kirchen an die Stelle der für das Tarifsystem prägenden partikularinteressierten Konfrontation das Leitbild der Dienstgemeinschaft all derer, die in kirchlichem Auftrag handeln, weshalb sie im Dritten Weg paritätisch besetzte Kommissionen zur Festsetzung der Arbeitsbedingungen vorsehen. Nach kirchlichem Selbstverständnis verträgt die Dienstgemeinschaft weder eine Aufteilung in Gruppeninteressen noch eine Aussetzung des Dienstes infolge von Arbeitsniederlegungen .Verfassungsrechtlich ist genau dieses Selbstverständnis verbindlich: Eine vom Staat vorgegebene Aufteilung kirchlicher Mitarbeiter in "verkündigungsnah" und "verkündigungsfern" mit einem "weltlicherem" Arbeitsrecht für die "weltlicheren" Arbeitnehmer oder eine Teilung in Kirchenmitglieder und Nichtmitglieder verletzte das Gebot der staatlichen Neutralität, weil der Staat (durch seine Gerichte) über eben diese Verkündigungsnähe entschiede. Der Richter darf nicht den Theologen geben.
Die Frage ist aber, welcher Raum der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG verbleibt. Hier geht es richtig um die praktische Konkordanz mit dem Selbstbestimmungsrecht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat vier Kriterien vorgegeben, um die Forderungen des Art. 9 Abs. 3 GG im Dritten Weg ausreichend zu berücksichtigt zu wissen (Urt. v. 20.11.2012, Az: 1 AZR 179/11): paritätisch besetzte Kommissionen, obligatorische Schlichtung, verbindliche Geltung der gefundenen Arbeitsbedingungen und organisatorische Einbindung der Gewerkschaften in den Dritten Weg. Die Kirchen haben ihre gesetzlichen Regelungen hernach vor allem um ein Entsenderecht der Gewerkschaften ergänzt und so die genannten Voraussetzungen erfüllt.
Die Kirchen dürfen das
Verfassungsrechtlich ist den Gewerkschaften der Dritte Weg damit zumutbar. Dies eingedenk dessen, dass es kein isoliertes Grundrecht auf Arbeitskampf gibt. Art. 9 Abs. 3 GG schützt den Arbeitskampf lediglich als Mittel zum Zweck des Tarifabschlusses. Darüber hinaus genießt aber nicht nur ein Tarifvertrag, sondern auch der konsensuale Regelungsweg grundrechtliche Dignität, weil auch so die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder vertreten werden können - auch das ist koalitionsrechtliches Gemeingut. Als Mittel zur Lösung von Verhandlungsblockaden ist auch die obligatorische Schlichtung möglich. Insgesamt ist die Ausübung der Koalitionsfreiheit so auch auf dem Dritten Weg möglich.
Gestalten die Kirchen den Dritten Weg also nach den Erfordernissen der praktischen Konkordanz, können sie Tarifverträge und Streik ausschließen. Die Kirchen dürfen das.
Der Autor Prof. Dr. Steffen Klumpp ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Erlangen.
Pro & Contra Dritter Weg: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15860 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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