50. Verkehrsgerichtstag: Fahrverbote für Alte und Kranke?

Immer wieder sorgen tödliche Unfälle, an denen alte oder kranke Autofahrer beteiligt sind, für traurige Schlagzeilen. Oft wurde der Führerschein nicht vorher entzogen, weil keiner etwas gemerkt hat. Dieter Müller fordert eine bessere Ausbildung von Entscheidern und regelmäßige verkehrsmedizinische Untersuchungen für Senioren.

Anfang März 2011 kamen bei einem Unfall in Hamburg vier Menschen ums Leben. Der Unglücksfahrer war an Epilepsie erkrankt und hatte schon mehrere Autounfälle verursacht, die auf die Krankheit zurückzuführen waren. Und immer wieder stellt sich anhand solch dramatischer Beispiele die Frage, warum Behörden, Polizei und Ärzte nicht früher eingreifen, um die Allgemeinheit vor unsicheren Fahrern zu schützen.

Nicht jeder Verkehrsteilnehmer verursacht im Alltag auf der Straße gleich hohe Risiken. Die Gefahr für andere Menschen ist unterschiedlich hoch, je nachdem, welches Verkehrsmittel er nutzt und wie leistungsfähig er ist. Von Autofahrern gehen naturgemäß viel höhere Risiken für andere aus als von Radfahrern und Fußgängern.

Leben und körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer vor dem Gefahrenpotenzial ungeeigneter Kraftfahrer zu schützen, ist Aufgabe des Staates. Dieser Schutzauftrag soll durch verschiedene Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) praktisch umgesetzt werden. Ein Rechtsstaat lebt dabei von einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der Bürger einerseits und ihrem Wunsch nach Freiheit andererseits. Die Möglichkeit , eigenständig und auch als Autofahrer am Verkehr teilzunehmen, soll so lange wie möglich erhalten werden.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag mit der Thematik "Verkehrsgefährdung durch krankheitsbedingte Mängel an Fahreignung und Fahrsicherheit".

Eine vollständige Eignungsprüfung bleibt aus

Die Fahreignung bezieht sich dabei auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für eine möglichst gefahrlose Teilnahme am Straßenverkehr notwendig sind. Diese verändern sich im Laufe eines Lebens deutlich. Im Alter führen Bewegungseinschränkungen und Wahrnehmungsdefizite zu nachlassenden Fahrfertigkeiten, die nicht immer durch umsichtige Fahrweise kompensiert werden können. Aber was macht einen geeigneten Fahrer eigentlich aus?

Einen Führerschein darf nach dem Gesetz nur erwerben, wer zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Dazu muss man die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen. Diese Eignung muss die Fahrerlaubnisbehörde schon bei Führerscheinneulingen ermitteln. In der Realität gibt es jedoch keine vollständige Eignungsüberprüfung der Bewerber. Die Behörden geben sich mit einem bestandenen Sehtest zufrieden und unterstellen die geistige und charakterliche Reife.

Auch im Laufe eines Autofahrerlebens ist die Fahrerlaubnis ausnahmslos zu entziehen, sollte ein Verkehrsteilnehmer sich als nicht mehr geeignet oder nicht mehr befähigt erweisen, ein Kraftfahrzeug zu führen. Grundgedanke dieser resoluten Regel ist der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Fahrern.

Aber der Staat greift nicht ein, solange Autofahrer keine Verkehrsgefahren verursachen. Er kann nicht eingreifen, wo er nicht weiß, dass die Fähigkeiten eines Verkehrsteilnehmers nachlassen. Selbst wenn die Behörden aufmerksam werden, müssen sie alle Ursachen für die Nichteignung in einem Verfahren überprüft und nachgewiesen werden. Bis der Führerschein also tatsächlich eingezogen wird, kann viel Zeit vergehen.

Auch das Bundesverfassungsgericht fordert, dass "nicht bereits jeder Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, ein hinreichender Grund für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (ist). Vielmehr müssen der Entscheidung über die Anforderung tatsächliche Feststellungen zugrundegelegt werden, die einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen" (Beschl. v. 24.6.1993, Az. 1 BvR 689/92).

Ungeschulte Behörden sind oft blind für die Gefahren

Nach dem gesetzgeberischen Leitbild ist eine aktive Verkehrsteilnahme mit dem Auto ausgeschlossen, wenn Erkrankungen oder Mängel vorliegen, die eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen. Die Anlage 4 der FeV mit dem Titel "Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen" zählt solche Krankheiten und Mängel auf.

Ob jemand noch geeignet ist, Auto zu fahren, kann die Fahrerlaubnisbehörde auf verschiedene Arten ermitteln. Sie kann ein ärztliches, ein medizinisch-psychologisches oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr verlangen. Welche Maßnahme sie anordnet, richtet sich danach, welche konkreten Eignungszweifel bestehen.

Fahrerlaubnisbehörden können ihrer Aufgabe, die Fahreignung verwaltungsrechtlich zu begutachten, allerdings nur nachkommen, wenn sie auf den Sachverstand von Ärzten und Psychologen zurückgreifen. Das setzt aber zwingend voraus, dass die Mitarbeiter der Behörden Risiken überhaupt als solche erkennen. Häufig aber sind sie mangelhaft aus- und fortgebildet, so dass es zu Begutachtungen gar nicht kommt, die am Ende Leben retten könnten – und müssten. So können sie nicht verhindern, dass ungeeignete Kraftfahrzeugführer weiterhin am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen und dadurch andere Menschen akut gefährden.

Auch Richter, die auf der Grundlage des Strafgesetzbuches Führerscheine entziehen und Sperrfristen zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis aussprechen können, müssen hinreichend ausgebildet sein, um Risiken und Probleme zu erkennen und die richtigen Maßnahme einleiten zu können. Prekär wird das Problem, wenn auch Polizeibeamte nicht ausreichend darin geschult sind, die von ungeeigneten Fahrzeugführern ausgehenden Gefahren richtig einschätzen zu können. Werden sie im Rahmen von Verkehrskontrollen oder Unfallaufnahmen nicht auf Eignungsmängel aufmerksam, können sie diese auch nicht an die Fahrerlaubnisbehörden melden. Bundesweit werden jedoch Polizisten allenfalls rudimentär im Erkennen von solchen Mängeln aus- und fortgebildet.

Verbindliche Sehtests und Untersuchungen alle zwei Jahre

Ein weiteres akutes Problem ist die Schweigepflicht von Haus- und Fachärzten. Sie sind diejenigen, die am ehesten erkennen und wissen, dass bestimmte Patienten für eine aktive Verkehrsteilnahme nicht mehr geeignet sind. Wenn die Mediziner ihre Patienten aber nicht selbst davon überzeugen können, auf das Fahren mit dem Auto vorübergehend oder dauerhaft zu verzichten, müssen sie hilflos zusehen, wie andere Menschen gefährdet werden, weil sie sich zu diesen Risiken Dritten gegenüber nicht äußern dürfen.

Das geltende rechtliche System der Überwachung der Fahreignung von Kraftfahrzeugführern ist dabei eigentlich gut durchdacht. Bei konsequenter Umsetzung könnte es auch noch besser als bisher funktionieren. Wenn alle Beteiligten verstärkt zusammenarbeiten, wird es unwahrscheinlicher, dass gefährliche Fahrer unentdeckt bleiben.

Das aber wird nicht reichen. Eine Aus- und Fortbildungsinitiative auf allen staatlichen Ebenen ist ebenso erforderlich wie ein verbessertes Meldesystem für Fahreignungsmängel. Auch eine regelmäßige gesetzliche Verpflichtung zumindest zu einem Sehtest könnte helfen. Noch besser wäre es allerdings, Fahrer jenseits des Lebensalters von 70 Jahren zu einer regelmäßigen verkehrsmedizinischen Untersuchung zu verpflichten, die etwa alle zwei Jahre erfolgreich zu absolvieren wäre. Solche Maßnahmen könnten das bestehende Sicherheitsniveau auf deutschen Straßen deutlich anheben.

Auf dieser qualitativ verbesserten Grundlage könnten potenzielle Gefahren für Leib und Leben zukünftig besser abgewehrt werden. Unfälle wie jener in Hamburg gehören dann hoffentlich bald der Vergangenheit an.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.

Zitiervorschlag

Dieter Müller, 50. Verkehrsgerichtstag: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5423 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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