Buchrezension: "Was weiß der Richter von der Liebe": Die Würde der Ganoven

von Christopher Hauss

24.07.2012

Strafprozesse sind beliebt, wenigstens bei Journalisten und Lesern. Aus schöner Distanz dürfen sie in menschliche Abgründe blicken. Klaus Ungerer schreibt seit Jahren aus deutschen Gerichten über Ganoven und Gescheiterte. In "Was weiß der Richter von der Liebe" sind 24 seiner FAZ-Kolumnen gesammelt. Für alle, die das Absurde lieben – und die allzu Belangloses nicht stört. Eine Rezension von Christopher Hauss.

Die großen Kriminalfälle behandelt Klaus Ungerer nicht. Es geht selten um Mord oder um Millionenbetrug. Die Realität vor deutschen Gerichten ist banaler. Wenige Tragödien, viele Trauerspiele. Wenige Verbrecher, viele Hineingeratene. Da hat die Leiterin der Straßenverkehrsbehörde jahrelang falsche Gebührenbescheide zugestellt. Ein anderer muss erklären, warum er seinen jetzt traumatisierten Mitbewohner an den Füßen aus dem WG-Fenster gehalten hat. Und schließlich die Geschichte davon, wie ein Küchenmesser ein Eifersuchtsdrama versehentlich für immer beendete.

Die Erzählungen schwanken dabei zwischen Fiktion und Reportage. Die wörtlichen Zitate sind so authentisch, dass sie unmöglich ausgedacht sein können. Die Geschichten manchmal so grotesk, dass sie ausgedacht sein müssen. Die Protagonisten versuchen, sich ungelenk herauszuwinden und ihrer Strafe zu entgehen. Oder sie können nicht verstehen, warum sie sich überhaupt für etwas verantworten müssen, was doch eigentlich ganz anders gewesen ist.

Schnelle Pointen – wenig Mitgefühl

Ungerer beschreibt seine Helden mit einer Mischung aus Mitgefühl und Amüsement. Dabei versucht er, sich nicht über die armen Seelen lustig zu machen, sondern ihnen ihre Würde zu belassen. Das gelingt ihm nur ab und zu. Meist überwiegt der Zynismus. So macht der Autor es dem Leser nicht leicht, sich mit den Figuren zu identifizieren. Der abschätzige Blick auf die Angeklagten liegt näher. Geschuldet ist das allerdings auch der Form.

Eine einzelne Geschichte lässt sich bequem in zehn Minuten lesen. Kolumnen dieser Art verlangen aber nach der schnellen Pointe. Und das beißt sich mit dem Anspruch des Autors, seinen Figuren eine gewisse Sympathie entgegenzubringen. Die Kurzgeschichten reichen Ungerer nicht, um wirklich starke Charaktere zu entwickeln. Dabei trifft es bei weitem nicht immer nur die Angeklagten. Auch die Richter bekommen ihr Fett weg, wenn sie umhüllt von der Wolke der Autorität den Durchblick längst verloren haben und eigentlich nur noch den Aktendeckel schließen wollen.

Das einzig wirklich Ärgerliche an "Was weiß der Richter von der Liebe" sind die Illustrationen von Kai Pfeiffer. Sie zeigen scheel grinsende Schlitzohren oder Szenen ohne Ausdruck. Die Zeichnungen sind keine Karikaturen, sie sind Klischees. Das ist schade, denn Spaß zu Lesen macht die Kolumnensammlung insgesamt schon. Am Ende würde man gern noch mehr über die Figuren und ihrer Geschichten erfahren. Und das ist ja eigentlich ein gutes Zeichen.

Sachbuch, 1. Aufl. 2012, 140 Seiten, Klappenbroschur, ISBN: 978-3-608-50316-6.

Der Autor Christopher Hauss ist Jurist und Berater für strategische und politische Kommunikation bei der Berliner Agentur mfm - menschen für medien. Er ist Dozent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV).

Zitiervorschlag

Christopher Hauss, Buchrezension: "Was weiß der Richter von der Liebe": . In: Legal Tribune Online, 24.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6691 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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