Auch am vergangenen Sonntag hat @TatortWatch den Krimi im Ersten penibel auf juristische Fehler geprüft. Mit dem Projekt auf Twitter wollen die Grünen das Empfinden für Bürgerrechte schärfen. Tatort-Redakteurin Brigitte Dithard erklärt im LTO-Interview, wieso im Film nie ordentlich belehrt wird, dass man mit Xenon wirklich betäuben kann und was TatortWatch mit der Apothekerzeitung zu tun hat.
LTO: Frau Dithard, was halten Sie vom Twitter-Projekt der Grünen-Politiker?
Dithard: Ich finde, dass das ein interessanter Sport ist. Ich glaube aber nicht, dass der Tatort den Anspruch haben muss, auf jeder Ebene ganz und gar realitätsnah zu sein.
LTO: TatortWatch sieht das offenbar anders. Die Grünen meinen, der "Tatort" sei zwar nur ein Film, in Deutschland aber teilweise realitätsbildend. Haben Sie keine Sorge, dass die Polizeibeamten unter den Zuschauern sich die Kommissare zum Vorbild nehmen könnten?
Dithard: Wenn wir einen Tatort entwickeln, reden wir viel mit Polizisten und die haben ein vergleichsweise entspanntes Verhältnis zu diesen Fragen. Die wissen einfach, dass wir manches dramaturgisch anders gestalten müssen, als es tatsächlich vorgeschrieben wäre. Ich glaube nicht, dass wir die juristische Realität in Deutschland so weit verfälschen, dass wir Unsicherheit in der Bevölkerung schaffen.
"Wenn wir jedes Mal belehren würden, würden die Zuschauer abschalten"
LTO: Der Stuttgarter Tatort von Sonntag ist bei TatortWatch insgesamt ganz gut weg gekommen.
Dithard (erfreut): Ja, ich habe es gesehen.
LTO: Die Grünen-Politiker bemäkeln aber auch einige Gesetzesübertretungen, beispielsweise hätte Kommissar Bootz den Neuen seiner Frau nicht in der Polizeidatenbank checken dürfen. Wie ernst nehmen Sie solche Kritik?
Dithard: Das war ein ganz bewusster Rechtsbruch, den wir im Tatort selbst thematisiert haben. Bootz weiß ja, dass er das nicht darf, und eine andere Figur spricht ihn darauf auch an: "Ich wette, Sie haben die Befugnisse ihres Amtes übertreten".
LTO: Ein Vorwurf kehrt immer wieder – die fehlenden Belehrungen. Zum Tatort vor zwei Wochen twitterte die Juristin Paula Riester etwa: "Keine Überraschung – das Seminar zur Belehrung über Zeugen- und Beschuldigtenrechte haben die Kommissar_innen wohl geschwänzt".
Dithard: Es stimmt, man müsste die Täter vor einer Festnahme eigentlich belehren, aber wenn wir das jedes Mal tun, dann sprechen uns die Zuschauer das irgendwann mit oder schalten ab.
LTO: Halten Sie es mit dem Jurastudenten, der am Sonntag seine Faustformel getwittert hat, "je rechtswidriger der Tatort, desto spannender"?
Dithard: Das würde ich so nicht unterschreiben. Aber ich bin erleichtert, dass das Publikum offensichtlich eine gewisse Toleranz dafür mitbringt, dass wir nicht alle rechtlichen Vorgaben strikt befolgen.
"Nur über Tatsachen hinweg setzen, wenn die Geschichte es unbedingt braucht"
LTO: Wollen Sie auf die Kritik von TatortWatch in Zukunft reagieren und die Tatorte vorab genauer prüfen?
Dithard: Ich nehme die Kritik auf jeden Fall wahr und schaue mir an, welche Punkte angekreidet wurden. Das waren bei uns gar nicht so viele und gar nicht so gravierende Dinge. Aber ich finde es hilfreich, wenn man darauf hingewiesen wird, weil man dadurch den nächsten Tatort besser machen kann.
LTO: Das heißt, letzten Endes freuen Sie sich über das Interesse.
Dithardt: Ja, es gibt viele Gruppen, die sich mit großer Lust damit beschäftigen, uns Fehler nachzuweisen oder auch festzustellen, dass wir gut recherchiert haben. Die Apothekerzeitung hat zum Beispiel geprüft, dass Xenon tatsächlich als Betäubungsmittel eingesetzt werden kann, wie von uns behauptet.
Ein anderer hat uns geschrieben, dass das Blaulicht eigentlich gar nicht wie im Film dargestellt auf dem Dach des Porsches halten dürfte, weil es magnetisch befestigt wird und der Porsche ein Kunststoffdach hat. Ich habe dann unseren Außenrequisiteur angerufen und der hat mir erklärt, dass er tatsächlich Metallplatten in das Kunststoffdach eingebaut hat. Soviel zur Realität und dazu, wie man im Film damit umgeht. Wir tun trotzdem unser Bestes. Wir setzen uns nicht mutwillig über die Tatsachen hinweg, sondern nur, wenn es die Geschichte unbedingt braucht.
"Lustvolle Kritik, über die man sich lustvoll hinweg setzt"
LTO: Die Idee von TatortWatch ist ja nicht neu. In der Zeit machte Sabine Rückert einst einen ähnlichen Check. Haben Sie eigentlich einen Juristen in Ihrer Redaktion, der die Sendungen auf Fehler überprüft?
Dithard: In der Redaktion an sich nicht, aber wir haben natürlich Juristen im Haus. Wenn es um ganz kniffelige Fragen geht, die über die normale Polizeiarbeit hinausgehen, dann befragen wir unsere Rechtsabteilung auch. Eigentlich ist es aber die Aufgabe des Autors, solche Fakten zu recherchieren. Das klappt regelmäßig ganz gut, deswegen haben wir wohl am Sonntag auch so gut abgeschnitten.
LTO: Sind die Juristen von Tatortwatch Spielverderber oder ist das Ganze sogar ein "Bevormundungsprojekt" wie Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, sagte?
Dithard: Das ist nur dann ein Bevormundungsprojekt, wenn man sich bevormunden lässt, das tun wir aber nicht. Man muss das als lustvolle Kritik sehen, die man gerne wahrnimmt, über die man sich aber – wenn es nötig ist – genauso lustvoll hinwegsetzt.
LTO: Frau Dithard, herzlichen Dank für das Gespräch.
Brigitte Dithard ist Redakteurin beim SWR und dort unter anderem zuständig für den Stuttgarter Tatort mit Richy Müller und Felix Klare.
Die Fragen stellten Claudia Kornmeier und Ludwig Hogrebe.
TatortWatch: SWR-Redakteurin zu Rechtsfehlern: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8819 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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