Of all the things I’ve lost, I miss my mind the most: Der ganz normale Prüfungswahnsinn

von Ahmet Kabakyer

16.03.2013

2/2: Die Horrorvision, während der Klausur einzuschlafen

Im Saal geht es ganz in diesem Stil weiter. Der wissenschaftliche Assistent geht die (zum x-ten mal gehörte) Belehrung am Anfang der Prüfung peinlichst genau durch (und hat sie womöglich sogar auswendig gelernt, um souveräner zu wirken). Nach Beginn weist er seine Handlanger an, die Prrrrüflinge orrrrdnungsgemäß zu kontrrrollierrrennnn! Schon ist es passiert. Ein armer russischer Student, der sein Gesetz kyrillisch kommentiert hat, wird abgeführt (Daz izd Missverstiendnizz. Das nijeben Pjaragraf 211 bedeutet Pjaragraff 28 Abzatz zwei! dud das nieeeechhhht…неeeeeeт! просьаaaaa… für Mütterchen Russlaaaa…“ *Türzuhau*).

Meine Güte, ich hatte ständig derartige Visionen während der Klausur. Ich dachte mir immer, irgendwann springt eine noch aus dem Fenster oder packt eine Maschinenpistole aus und schießt wild um sich, wenn der Dozent ins Mikrofon grölt: "Die Bearbeitungszeit beträgt … *hustkotzschleim* … noch 15 Minuten. Danach legen Sie bitte unverzüglich den Stift weg. Leisten Sie dem nicht Folge, muss ihre Arbeit als nicht bestanden bewertet werden." Und ihre Hand wird Scharia-Style abgehackt. Alle möglichen Horrorszenarien geht man durch: Die geschriebene Klausur geht verloren, man sitzt im falschen Raum, man schläft während seines Relax- und Konzentrationsversuchs ein und wacht erst am Ende der Klausur wieder auf, jemand schiebt einem einen Spicker unter, man studiert eigentlich gar kein Jura usw.

"Tut mir leid, heute dürfen Sie leider nicht aufs Klo gehen"

Jetzt im Nachhinein kann man darüber lachen, zumal ich selbst auch schon oft Aufsicht habe halten müssen. Prüflinge haben ein erfrischendes Obrigkeitsgefühl. Einmal kam eine vollkommen zerzauste und sichtlich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehende Zweitsemestlerin auf mich zu und fragte, ob sie aufs Klo gehen dürfe! Und ich sagte: "Tut mir leid, heute nicht." Sie wandte sich von mir ab und wollte sich wieder zurück auf ihren Platz setzen. Ich tippte sie kurz an und machte sie darauf aufmerksam, dass das nicht ernst gemeint war.

Kurz überlegte ich, ob ich ihr noch ein Tütchen Koks in die Hand drücken sollte (aber diese Erfahrung soll ihr bis zum ersten Praktikum in einer Großkanzlei erspart bleiben). Meine kurze Unterhaltung mit der Dame nutzten drei verpeilte Typen aus der vorletzten Reihe für eine kurze Lagebesprechung: "Ey David, wendest du § 28 II an?" Das Geflüstere hörte der ganze Saal und ich intervenierte nur, weil es schlicht zu laut wurde. Ansonsten hat es mich nicht gestört, dass die Jungs spickten, da ich wusste, dass alle drei gleich blöd sind und Dummheit in Potenz eine Klausur wahrscheinlich nicht gehaltvoller macht.

Dann kam der beste Teil. Die letzten 15 Minuten. Ich schaltete das Mikro an und flüsterte hinein: "Die Bearbeitungszeit ist um …" Schockierte, bleiche Gesichter, ein Mädchen greift zu ihrem Kreuz, ein Typ zuckt zusammen und seine 45 nicht durchnummerierten Klausurblätter fallen auf den Boden, dann Totenstille.

"Die Bearbeitungszeit ist um … und zwar in 15 Minuten!" Wie gemein. Nach Ablauf der Zeit bin ich versucht, in das Mikrofon zu singen: "Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Soll das heißen, ja ihr Leut? Mit Klausur ist Schluss für heut?" Ich sammle die Klausuren ein, spüre förmlich den Spannungsabfall und erinnere mich an dieses wundervolle Gefühl, das man jedes Mal aufs Neue genießen darf und muss, wenn eine Klausurphase vorüber ist: "Jetzt nur noch raus hier und den Rest des Tages relaxen." In diesem Sinne, allen Examenskandidaten für den Märztermin eine erholsame Ruhephase (sie haben es sich verdient) und allen cand. iurs. und stud. iurs. da draußen schöne Semesterferien … trotz Hausarbeiten!

Zitiervorschlag

Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost, I miss my mind the most: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8340 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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