In ihrem SWR-Podcast hatten Ex-Bundesrichter Fischer und der Journalist Schmidt die Ex-Bundeskanzlerin zu Gast. Thema: Straftaten im "Ring der Nibelungen". Lorenz Leitmeier hat vorab reingehört und feine Gedankensplitter ausfindig gemacht.
Kurz vor Weihnachten, wenn wieder zwei Feiertage mit den Liebsten anstehen, noch einmal über Mord sprechen, sogar in einer Spezialsendung mit der ehemaligen Bundeskanzlerin – warum nicht? Der beliebte SWR-2-True-Crime-Podcast, in dem Thomas Fischer mit ARD-Moderator Holger Schmidt, der die anerkannte Ausbildung zum "Terrorismusexperten" durchlaufen hat, über "Verbrechen im Südwesten" redet ("Alle Fälle sind real und haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.") – dieser Podcast kommt in einer Sonder-Edition, zur Geburt des Herrn, aus Berlin.
Und auch wer, wie Thomas Fischer in früheren Kolumnen, die Unsitte von Juristen ganz schlimm findet, das echte Leid von echten Opfern auszuschlachten – auch so jemand muss, muss, muss diese Folge einfach hören: Sensationsgast Angela Merkel kommt! Und das Schönste: Man bleibt moralisch integer, es geht nur um Oper.
Genauer: um Richard Wagners "Ring des Nibelungen", der für Kenner (SWR 2!) natürlich nur "der Ring" ist. Und Verbrechen gibt es ja wahrlich genug im Ring: Es wird gestohlen, geraubt, getötet, vergewaltigt, gebrandschatzt. Und zur Not wäre auch noch der Antisemitismus des Meisters selbst, aber das "Weihnachts-Special" beschränkt sich auf Mord und Totschlag, in drei Blöcken geht es um die Motive Habgier, Rache und Eitelkeit.
Merkel und die "fiese Einstiegsfrage"
Bekanntlich nimmt Frau Merkel als ehemalige Bundeskanzlerin heute nur noch Wohlfühltermine wahr. Gute Voraussetzungen also für eine entspannte Sendung. Herr Schmidt ist zunächst unsicher: Wie spricht man den hohen Gast (sie ist wirklich da!) eigentlich an, zumal in der Oper? "Gnä‘ Frau" findet Frau Merkel nicht gut, sie bevorzugt "Frau Merkel"; Herr Fischer wiederum ist in diesem Podcast nicht Herr Fischer, sondern "Mister Strafrecht". Der Hörer vernimmt es dankbar, bei abstrakten Themen wie Mord hilft so eine Personalisierung ja doch ungemein.
Wie jedes gute Paar haben auch Schmidt und Mister Strafrecht ein Ritual, die "fiese Eingangsfrage". Dieses Mal will Schmidt wissen, ob Mister Strafrecht von der überraschenden Zusage durch Frau Merkel überrascht war? Mister Strafrecht verneint, Schmidt erinnert sich aber anders. Mister Strafrecht beruft sich auf eine Erinnerungslücke, die Wahrheit ("Lügt ein ehemaliger Bundesrichter neben der ehemaligen Bundeskanzlerin?") wird man wohl nie erfahren.
Bei Merkel wiederum läuft es umgekehrt, die harmlose Einstiegsfrage ("Was hat Sie zur Zusage bewogen? Das Thema? Dass Herr Fischer dabei ist?") beantwortet sie einigermaßen fies: "Das Format. Und dass ich gefragt wurde."
Für alle, die den "Ring" inhaltlich nicht gleich parat haben(?), gibt es eine Zusammenfassung, die 16 Stunden Aufführung werden in zwei Minuten Inhaltsangabe gepresst, wir leben schließlich in Zeiten der Optimierung ("Speedwatching"): Der alte weiße Nibelung Alberich möchte Sex, Geld und Macht, wird aber von den Rheinnymphen zurückgewiesen, klaut ihnen deshalb das Rheingold und schmiedet daraus den Ring der Macht. Leitmotiv Gier, wilde Walküren, halbgöttliche Geschwister, Geburt Siegfried, der finstere Hagen, zwei Riesen, irgendwas mit Drachen, am Ende brennt Walhalla, in der Dämmerung vergehen die Götter.
Wiederkehr und Kreislauf statt Zeitenwende
Frau Merkel findet die Zusammenfassung an einigen Stellen etwas schematisiert, kann es aber zum Glück als Arbeitsgrundlage akzeptieren. Vermutlich zehrt sie von ihrer Regierungszeit, einige Minister sollen ja auch hin und wieder Details weggelassen haben. Ihre Fachkenntnisse über Wagner-Opern stehen außer Frage, der Leser der Qualitätspresse weiß natürlich, dass sie jeden Sommer auf dem Grünen Hügel in Bayreuth verbringt, und am Premierentag zusammen mit Thomas Gottschalk Wagner hört.
Den Ring muss man im Übrigen unbedingt entspannt genießen: Hat man vorher anstrengende politische Termine, döst man im zweiten Akt gerne mal ein, danach geht’s dann wieder. Worauf die Opern-Kompetenz von Mister Strafrecht beruht, erfährt man nicht so genau, er räumt selbst ein, dass er die viele ("abundante") Literatur über den Ring nicht kennt, immerhin weiß er, dass es viel Literatur gibt. Vermutlich beruht die Expertise einfach darauf, dass er Jurist ist, da kann man ja bekanntlich überall mitreden, vor allem in der Hochkultur.
Mit dem Gelehrtenstreit, ob der Ring eine Tetralogie (vier Teile) oder Trilogie ist (drei Tage Aufführung plus Vorabend), will sich Frau Merkel nicht länger aufhalten, Mister Strafrecht entscheidet sich für vier. Die Gründe bleiben eher diffus, aber er war ja auch am BGH. Der Begriff "Zeitenwende" wiederum, den Schmidt einbringt, ohne dass man wüsste, warum – dieser Begriff passt beiden nicht richtig: Der Ring ist umfassender angelegt, es gibt mehrere Wenden, Frau Merkel findet "Wiederkehr" oder "Kreislauf" passender. Schimmert hier etwa Nietzsche durch?
Als Mister Strafrecht dann zu einem Kurzreferat über die "Wilhelminisierung des Rings" in den Jahren 1870/71 ausholt, befürchtet man ja schon Schlimmes und erinnert sich an "Monaco Franze", Folge 1: "Ich muss irgendwie einen Weg finden, wie ich irgendwas sagen kann, was irgendwie interessant klingt, aber so, dass es keiner versteht."
Einigung auf die Heldin
Als das Wissen dann abgeladen ist, gewinnt das Gespräch zum Glück deutlich an Farbe, es entzünden sich kleine Blitze, Mister Strafrecht und Missis Merkel schenken dem Hörer feine Gedankensplitter. Etwa über die Grenzen des Strafrechts, das sich zunehmend an Opfern orientiert, aber weder Geschichte aufarbeiten (NSU-Prozess) noch umfassend Versöhnung leisten kann. Strafrecht ist staatliche Macht, kein Runder Tisch.
Auch kann einen der Ring lehren, dass man stets die Verstrickungen bedenken müsse, in die man immer schon hineinkomme. Was gefällt Merkel am Ring? Sie findet beeindruckend, wie Fricka Wotan eine Gardinenpredigt hält, Wotan so kraftlos agiert, dass ihm die Frauen erklären müssen, was sie glauben, was er denkt.
Laut Schmidt sind Männer an dieser Ring-Stelle immer angefasst, Mister Strafrecht allerdings nicht, er nimmt es so, wie es kommt. Den furchtlosen Siegfried stuft Fischer als tumben Naturburschen ein, Frau Merkel ist deutlich wütender auf ihn: Siegfrieds Untergang ist selbstverschuldet, zu tollkühn, keine Selbstreflexion.
Auf Brünnhilde als Heldin können sich beide einigen: Am Ende kommt sie zu Bewusstsein und versteht die Mechanismen, die zur Katastrophe geführt haben, befreit sich selbst und die Welt bei Strafe des Untergangs. Der SWR 2 bringt Merkels Lieblingsstelle aus der Walküre, gesungen von der unvergesslichen Sopranistin Birgit Nilsson, aus Zeitgründen zwar leider nur das "Hojotoho", dafür aber zwei Mal.
Merkels Lehre aus "Dem Ring": Nicht von eigenen Verletzungen treiben lassen
In einer phantastischen Passage sinniert Merkel über menschliche Grundmotive, Eigenschaften und Mechanismen, die sie im Ring immer entdeckt, als Spiegel der Wirklichkeit, in die man seine Reflexionen dann übernehmen kann. So sollte man sich zum Beispiel nicht von eigenen Verletzungen treiben lassen, sie selbst etwa wäre gerne schon 2002 Kanzlerkandidatin geworden, habe das aber akzeptiert und zum Wohle des anderen im Wahlkampf nicht jeden Tag durchblicken lassen, dass sie es gerne geworden wäre.
Man würde ja zu gerne erfahren, an welchen Naturburschen sie da denkt, aber: "Ich nenne keine Namen." Insgesamt ein kurzweiliges Gespräch, das natürlich Merkel dominiert, ganz am Ende versenkt sie denn auch launig das SWR-2-True-Crime-Hot-Shit-Pärchen: "Danke für die Einladung, es war sehr zivilisiert." – "Das sehen wir auch so." – "Das sehen wir auch so." – "Sprechen Sie immer im Duett, oder?!"
Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist Richter am Amtsgericht, derzeit hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HföD), Fachbereich Rechtspflege.
Rezension zu "Sprechen wir über Mord" mit Angela Merkel: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50504 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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