Rechtsgeschichten: Ver­räter und Natio­nal­held

von Martin Rath

02.10.2016

2/2: Auffällig im konsularischen Dienst

Einmal als amtliches Dokument der damaligen Weltmacht Nummer 1 publiziert, entfaltete der Casement-Bericht einiges Aufsehen. König Leopold übertrug sein afrikanisches Reich schließlich dem belgischen Staat. Zum Aufbau einer seriösen kolonialen Verwaltung – um die sich die anderen europäischen Mächte immerhin bemühten – kam es von Seiten des altliberalen Musterkönigreichs Belgien bis zur sogenannten Unabhängigkeit des Kongo, 1960, allerdings nicht.

Mit ihrem unbequemen Außenseiter Casement verfuhr die britische Regierung, wie es in solchen Fällen üblich ist: Ihm wurde die Beförderung auf Posten angeboten, die weniger exponiert erschienen.

Zunächst dezent aktenkundig gemacht, doch Gesprächsthema in den kleinen britischen Expat-Netzwerken seiner neuen Einsatzorte, darunter Rio de Janeiro, wurde das sexuelle Außenseitertum des Konsularmitarbeiters. In seinen Tagebüchern, die sich später, im Zusammenhang mit seinem Hochverratsprozess in der Öffentlichkeit wiederfanden, dokumentierte Casement sexuelle Kontakte zu jungen Männern, nicht zuletzt in Form von Armutsprostitution in jenen Ländern, die erst später den revolutionären Namen „Dritte Welt“ erhielten.

Hochverrat in irischen Angelegenheiten

Seit den 1900er-Jahren entdeckte Casement sein Herz für Irland. In den USA, dem Zentrum irischer Freiheitskämpfer, konspirierte er. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs reiste er auf einem neutralen norwegischen Schiff nach Deutschland, wo er sich erfolgreich darum bemühte, eine Waffenlieferung des Deutschen Reichs an die irischen Aufstandswilligen zu organisieren.

Deren Anlandung in Irland scheiterte 1916 freilich. Erfolglos blieb auch Casements Versuch, die britischen Kriegsgefangenen irischer Nationalität in den deutschen Lagern für den Freiheitskampf zu agitieren. 

Allerdings sollte dieser Versuch mit an Casements Strick drehen: Einige der irischen Kriegsgefangenen waren aus Gesundheitsgründen über neutrale Staaten in die Heimat entlassen worden, als die loyale irische Polizei Casement und seine Begleiter am 21. April 1916 in der Grafschaft Kerry festnahm, wo ihn ein deutsches U-Boot mittels Schlauchboot abgesetzt hatte.

In London wegen Hochverrats vor Gericht gestellt, verteidigte sich Casement unter anderem mit dem Argument, dass die britischen Könige erst 1802 auf den Titel des „Königs von Frankreich“ verzichtet hätten – dieses Erbstück der endlosen Kriege zwischen England und Frankreich seit der normannischen Eroberung von 1066. Trotzdem sei es keinem englischen Gericht je in den Sinn gekommen, französische Soldaten wegen Hochverrats zu belangen. Erst recht müsste das für einen irischen Patrioten gelten, schließlich sei Irland noch nicht unter englischer Krone gewesen, als 1351 das Parlament zu London das gruselige Hochverratsgesetz beschloss.

Das überzeugte das Gericht ebenso wenig wie die Versicherung, nicht gegen die britische Krone an sich konspiriert zu haben. Die irischen Soldaten, von den Deutschen freigelassen, erinnerten sich nicht an die feinen Unterschiede, die der Gastredner diesbezüglich im Kriegsgefangenenlager gemacht hatte. 

Die Hinrichtung erfolgte am 3. August 1916. Knapp 50 Jahre später sollte die Republik Irland – damals die dunkelste Ecke des politischen Katholizismus –  den nicht ganz sauber identifizierten Skelettresten des homosexuellen britischen Dienstadeligen und frühen Menschenrechtsaktivisten, exhumiert aus dem Boden eines britischen Gefängnisses, ein Staatsbegräbnis bereiten.

Tipp: Adrian Weale arbeitet in seinem Buch „Patriot Traitors. Roger Casement, John Amery and the Real Meaning of Treason“ zwei Fälle von Hochverrat im 20. Jahrhundert auf (Viking, London 2001).

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20749 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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