2/2: Ku Klux Klan und Henry Ford – Freunde der Abstinenz
Im Klima des Ersten Weltkriegs konnten daher US-Politiker nicht allein mit der hübschen Forderung Karriere machen, deutsche Wörter aus dem Sprachschatz zu eliminieren – aus "sauerkraut" wurde "liberty cabbage" – oder den deutschsprachigen Schulunterricht zu unterbinden, auch die Bierbrauer deutscher Herkunft galten als feindliche Kräfte, die trinkenden Arbeiter als revolutionäre Gefahr, ähnlich den alkoholisierten Sklaven oder Indianern, vor denen sich das weiße Amerika eine Generation zuvor fürchtete.
Hatte das puritanische Abstinenzmodell, das den Alkoholismus als Krankheit noch nicht kannte, im Alkohol eine teuflische Kraft gesehen, die sich des Trinkers bemächtigte wie der Satan der Seele, wandelte sich unter dem Einfluss politischer Gruppen wie der "Anti Saloon League" der Blick auf den Trinker: Galt er im puritanischen Modell als passives Opfer der teuflischen Substanz, wurde er nun selbst als die aktive Gefahr gesehen, in der handfesten Rhetorik der Zeit als Pest und Seuche der Gesellschaft.
Der Kampf gegen die Trunksucht verlor darüber, wie Rathod zeigt, über mehrere Jahrzehnte seine philanthropische Seite. Der Kampf galt den irischen, italienischen oder deutschen Zuwanderern, die das Lebensmodell des "White Anglo-Saxon Protestant" zu bedrohen schienen – mit anarchistischen oder gewerkschaftlichen Ideen und ihrer fremdländischen Trinkkultur. Dem Automobil-Industriellen Henry Ford (1863-1947) beispielsweise war darum nicht aus purer Menschenfreude oder aus Arbeitsschutznotwendigkeiten allein an der Abstinenz seiner Arbeiter gelegen, er förderte die Sache der "Anti Saloon League" auch als gesellschaftspolitische Ideologie. Die "League" war mit dem in den 1910er-Jahren wiedergegründeten Ku Klux Klan personell eng verstrickt, dessen Hauptanliegen es seinerzeit weniger war, die ohnehin inferioren Afroamerikaner zu kujonieren, als die heimische Kultur gegen die jüdische und katholische bzw. osteuropäische und irische, jedenfalls im Alkohol vereinte Gefahr zu schützen.
Wandel der US-Drogenkultur und das Migrationsrecht
Unter dem Einfluss von Gruppen wie den "Alcoholics Anonymous" veränderte sich seit den 1940er-Jahren das Verständnis der Trunksucht, die als Verhalten von moralisch oder rassisch minderwertigen Gruppen gegolten hatte und deren gefährlichsten Gestalten das Zuwanderungsverbot im Detail gewidmet war, soweit es nicht die Gruppe als Ganzes betraf, in ein eher medizinisches Konzept von körperlicher, psychischer oder sogenannter seelischer Abhängigkeit.
Der nun medizinisch verstandene Begriff "chronischer Alkoholiker" im US-Einwanderungsrecht wurde daher 1952 durch den des "habitual drunkards" ersetzt, der zwar aus den Rechtsordnungen der US-Bundesstaaten bekannt, dort aber ebenso inhaltlich unbestimmt war, wie er es nun auf der Ebene des US-Bundesrechts wurde. Beispielsweise verstand das Eherecht einiger Bundesstaaten unter einem "habitual drunkard", dass ein alkoholabhängiger Ehepartner beim Erwirtschaften des Familienunterhalts komplett ausfiel, andere Bundesstaaten ließen als Scheidungsgrund die bloße Abhängigkeit ohne Verlust der Arbeitsfähigkeit genügen.
Die Unbestimmtheit des Begriffs könnte den Grenz- und Einwanderungsbehörden der USA bis heute die Arbeit schwermachen – würden sie es in diesem Punkt denn genau nehmen. Das einschlägige Handbuch gibt den Bundesbeamten beispielsweise einerseits auf, Einbürgerungswillige danach zu befragen, ob Lücken im Lebenslauf oder Unterlagen über ihre medizinische Versorgung im Herkunftsland den Status eines "habitual drunkards" belegten. Andererseits dringt die von der US-amerikanischen Selbsthilfe-Kultur geprägte Vorstellung vor, dass durch langjährige Abstinenz der Status des "Good Moral Characters" und damit die Einbürgerungsfähigkeit wiedergewonnen werden könne.
Re-Aktivierung des "Gewohnheitstrinkers"
Die US-Einwanderungsbehörden würden sich wohl gern weiter der üblichen bürokratischen Methode bedienen: Nicht so genau auf die Tatsachenseite schauen, wenn die Subsumtion zu schwer fällt.
Doch wäre es zu optimistisch auf die Beseitigung von Rechtsgeltung durch behördliches Vergessen zu hoffen, meint Jayesh M. Rathod. Er zeigt aktuelle Fälle auf, in denen der zugleich als Mangel an "Good Moral Character" legaldefinierte, inhaltlich aber weitgehend unbestimmte Status des "habitual drunkards" den Behörden einen Ermessensjoker in die Hand spielt, in Beispielsfällen wie diesem: Der seit Jahrzehnten legal ansässige Zuwanderer aus Mittelamerika, zeitweilig psychiatrisch auffällig, aber medizinisch unterversorgt, kann bei Bedarf abgeschoben werden, wenn er zufällig ins Behördengetriebe gerät.
Dieser unsachgemäße Ermessensjoker wird derweil nicht nur unkritisch gesehen, sondern soll noch häufiger ausgespielt werden können. Eine Gruppe mit dem schönen Apronym "MADD" ("Mothers Against Drunk Driving") leistete beim US-Kongress wirksame Kampagnenarbeit mit dem Ziel, fremdländische Trunkenheitsfahrer aus dem US-Staatsgebiet beseitigen zu lassen.
Ob damit ein Beitrag zur Verkehrssicherheit geleistet wird, darf bezweifelt werden. "MADD" pflegt immerhin die Tradition, das Migrationsrecht als Veranstaltung zur Abwehr des Bösen zu begreifen. Nur, dass sie heute eher arme Mexikaner als gut integrierte Nachkommen von Liberty-Gabbage-Essern trifft.
Martin Rath, US-amerikanisches Migrationsrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11129 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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