US-amerikanisches Migrationsrecht: Der Trinker als politische Gefahr

von Martin Rath

23.02.2014

Seit 1917 bzw. 1952 verweigert das US-Einwanderungsrecht "gewohnheitsmäßigen Trinkern" die Einbürgerung. Ein bloßes Relikt der Prohibitionszeit ist die "Habitual Drunkard"-Klausel dabei so wenig wie eine normale ausländerpolizeiliche Norm. Ihre Wurzeln hat sie unter anderem in der Furcht vor deutschen Trink-Sitten und den politischen Gefahren des Alkohols, erklärt Martin Rath.

In seiner erschöpfenden Ausführlichkeit wirkt der vom US-Kongress im Februar 1917 beschlossene "Immigration Act" wie ein Meisterwerk juristischer Hoch-Komik. Zuwanderungswillige Reisende in die USA sollten, so sah das Gesetz bis ins bizarre Detail vor, unter anderem Auskunft darüber geben, ob sie Anhänger der Polygamie oder des Anarchismus seien, ob sie mehr als zweimal an einer schweren Erkrankung gelitten oder die Tötung von Staatsoberhäuptern im Kopf hätten, die unrechtmäßige Zerstörung von Eigentum befürworteten oder der Prostitution nachgingen. Der Einreise, der Einbürgerung zumal, sollte damit Einhalt geboten werden.

Für viele, die später in die USA fliehen wollten, um dem politischen Terror in Europa zu entkommen, wirkten sich die weiteren Restriktionen des Gesetzes verheerend aus, nach denen Menschen aus Ost- und Mitteleuropa auch ohne die genannten moralischen Makel abgewiesen wurden. Allein blieben sie nicht vor den Toren der USA. Auch gegenüber Menschen asiatischer Herkunft bekräftigte der US-Kongress 1917 seine rassischen Vorbehalte, nachdem er Chinesen und "andere Mongolen" bereits seit den 1880er-Jahren ausgeschlossen hatte.

Der Trinker als Geisteskranker und politische Gefahr

Das Einwanderungsgesetz von 1917 schloss, neben anderen psychisch Erkrankten erstmals auch von "chronic alcoholism" betroffene Personen aus – ein Ausschluss, den das Einwanderungs- und Bürgerschaftsgesetz von 1952 dahingehend modifizierte, dass "Gewohnheitstrinker" ("habitual drunkards") in keinem Fall von "Good Moral Character" seien, womit ihnen von Gesetzes wegen bis heute die Einbürgerung in die USA vorenthalten bleibt – wenn man denn genau wüsste, was dieser Status besagen soll.

Dass hinter dem Ausschluss mehr steckt als die ausländerpolizeiliche Abweisung Straffälliger oder potenzieller Psychiatrie-Insassen, wie sie das ältere deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz mit der Voraussetzung eines "unbescholtenen Lebenswandels" formulierte, und auch mehr als die Furcht vor dem, was heute in der politischen Rhetorik als "Einwanderung in die Sozialsysteme" gehandelt wird, zeigt der Washingtoner Jura-Professor Jayesh M. Rathod in seinem erstaunlichen Aufsatz "Distilling Americans: The Legacy of Prohibition on U.S. Immigration Law" (in: Houston Law Review 2013/14, Band 51, S. 781-846).

Die USA: Kein "Wirtshaus zum Lustigen Linksradikalen"

Alkoholkonsum stand seit dem 19. Jahrhundert in den USA aus verschiedenen Gründen in keinem guten Licht. Die nüchterne Gefahr fand sich um ideologische Antriebe bereichert: Neben der religiös geprägten Abstinenzbewegung machte sich in weiten Teilen auch die US-amerikanische Frauenbewegung für die Prohibition stark. Es war kein Zufall, dass das Frauenstimmrecht und die Prohibition 1920 fast zeitgleich in Kraft traten. Die 1873/74 gegründete "Woman’s Christian Temperance Union" (WCTU) war mit über 300.000 Mitgliedern zeitweise die größte Frauenorganisation der USA. Der außerparlamentarische, also zunächst begrenzt wirksame Kampf für das Alkoholverbot politisierte die Aktivistinnen zugleich in Sachen Stimmrecht. Der alteuropäischen etatistischen Gesundheitspolitik waren solche Antriebe fremd.

Dass die "Habitual Drunkards"-Klausel, die im US-Einbürgerungsrecht unter wechselnder Bezeichnung bis heute erhalten blieb, kein bloßer migrationsrechtlicher Reflex dieser innenpolitischen Auseinandersetzung war, zeigt Jayesh M. Rathod anhand teils kurioser Vorgänge. 1919, als die Prohibitionsgesetzgebung bereits beschlossene Sache war, veranstaltete der Rechtsausschuss des Senats beispielsweise Anhörungen über "Brauerei- und Spirituosenfragen sowie deutsche und bolschewistische Propaganda" – beileibe keine willkürlich zusammengeworfenen Themen: Die damals noch mittelständisch organisierte US-Brauereiwirtschaft war zu zwei Dritteln in den Händen von Unternehmern deutscher Herkunft, ihr Dachverband hatte Anti-Suffragetten-Propaganda gesponsert – eine dreifache Sünde wider die Wähler (und bald: Wählerinnen) der Kongressmitglieder.

Die aus Sicht des Kongresses noch dringlichere Gefahr ging aber nicht von den Brauern und Brennern aus: Als Treffpunkte europäischer Einwanderer dienten die Gastwirtschaften über die Distribution alkoholischer Getränke hinaus der Organisation lebenspraktischer sozialer Netzwerke sowie den gewerkschaftlichen oder sozialistischen Umtrieben der notorisch zur Weltverbesserung neigenden deutschen, irischen oder jiddischen Migranten.

Zitiervorschlag

Martin Rath, US-amerikanisches Migrationsrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11129 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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