Recht und Technik: Die Erfindung der Autofalle

von Martin Rath

11.05.2014

2/2: Steinewerferei und Drahtfallen-Anschläge

Kinder und Jugendliche – des zuvor frei begeh- und bespielbaren Straßenraums beraubt – bewarfen die Fahrer nicht selten mit Steinen. Die Landbevölkerung forderte bei Tierschäden ein Selbsthilferecht, was die materielle Kompensation betraf, nahm es sich denn gelegentlich auch ohne obrigkeitliche Hilfe, aber auch ohne erkennbare staatliche Sanktion. Automobilfahrern drohte, wenn sie einen Schaden an Leben oder Gesundheit von Menschen verursacht hatten, noch in den 1920er-Jahren der Lynch-Mob, entsprechend fuhren sie – was angesichts des föderalen Waffenrechts tendenziell unbedenklich war – gerne mit Schusswaffe, mindestens aber mit ihrer Peitsche ausgerüstet aus.

Die körperliche und publizistische Auseinandersetzung konnte dramatische Formen annehmen: Der Berliner Juwelier Rudolf Plunz nebst Gattin und zwei Töchtern traf beispielsweise am 2. März 1913, man war auf dem Rückweg von einem Ausflug zum Wandlitzsee, auf einen Draht, der zwischen zwei Alleebäume gespannt war. Bei 40 Stundenkilometern wurde aus dem Draht für drei der Fahrzeuginsassen eine tödliche Falle. Das Delikt blieb unaufgeklärt, trotz vorübergehender Festnahme der seinerzeit üblichen Verdächtigen – bekannte Wilddiebe, notorische Meineidige und polnische Wanderarbeiter. Den in Berlin und Umland für ihre Raserei bekannten kaiserlichen Prinzen wurde hernach aber immerhin, für so gefährlich hielt man die offenbar weit verbreiteten Drahtfallen, ein Voraus-Wagen beigeordnet.

Die Drahtfallen durften den clubmäßig organisierten Automobilisten, die sich weniger beschützt sahen als die Söhne des Kaisers, auch als ein juristisches Ärgernis gelten: Eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung wurde erst 1998 ins Gesetz aufgenommen, verfolgt wurden die Fallensteller – mangels anderer Strafnormen über gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr – allenfalls wegen groben Unfugs, einer mit 150 Mark Geldstrafe oder sechs Wochen Haft bedrohten "Übertretung".

Gesetzlosigkeit fördert Technikentwicklung

Bis zu einem gewissen Grad ist die Entwicklung der Automobiltechnik auf die relative Gesetzlosigkeit der frühen Automobilistik zurückzuführen. Der Gesetzgeber des Kaiserreichs erfand zwar immerhin reichsweite Geschwindigkeitsregelungen, die sich stark am Pferdefuhrwerk orientierten, sowie die Pflicht, großflächig am Automobil ein Kennzeichen anzubringen.

Erfolglos blieben die Automobilisten-Clubs jedoch mit ihrem Vorschlag, dass publizistische Auto-Feinde nach § 130 Strafgesetzbuch verfolgt werden könnten. Der Vorgänger unseres heutigen Volksverhetzungs-Paragraphen sah vor, dass mit "Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft" wird, wer "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt". Der ADAC sah sich damals als Klasse.

Statt auf staatlichen Schutz vor verbaler und körperlicher Gewalt zu warten, installierten die Automobilisten Drahtschneide-Apparaturen im Frontbereich ihrer Gefährte. Und weil in Verfahren wegen Geschwindigkeitsübertretungen die mit dem "Beamteneid" bestätigte ungefähre Messung des Gendarmen gegen die Aussage des Automobilisten schwer wog, schaffte man sich erstmals Tachometer an, die mitunter sogar über eine Protokollfunktion verfügten: technische Kontrollfortschritte im Dienst der Freiheit.

Skandalöse Fälle, wie jener des rasenden Dr. iur. Max Ritter von Marx, Motorsportfreund des Kaisers und Königs von Preußen, Oberbürgermeister und Landrat, führten immerhin zu öffentlichen Erklärungen, dass die heimliche Überwachung des Straßenverkehrs "eines preußischen Polizisten unwürdig sei". Im Gefahrenbereich habe er zu warnen, nicht abzukassieren. Was die badischen Gendarmen darüber dachten, ist nicht überliefert.

Im Übrigen dürften sich alle aufs Verkehrsrecht kaprizierten Juristen, gleich auf welcher Seite der "Autofallen" sie arbeiten, darauf verständigen, dass es heute nicht viel hülfe, an die Ehre eines preußischen Verkehrspolizisten zu appellieren.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht und Technik: . In: Legal Tribune Online, 11.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11929 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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