Vor 90 Jahren versammelten sich die deutschen Juristen erstmals unter dem Hakenkreuz. Der Schweizer Rechtshistoriker Silvan Schenkel hat die Tagung untersucht. Sebastian Felz stellt sein Buch vor.
Seit 1860 tagten die deutschen Juristen alle zwei Jahre auf dem "Deutschen Juristentag". Über 70 Jahre begleitete dieser die Staats- und Rechtsvereinheitlichung des Deutschen Reiches. 1931 fand der letzte Juristentag in Lübeck statt. Erst 1949 sollte der wieder gegründete Verein in Köln tagen. Die für den Herbst 1933 in München geplante Tagung wurde "mit Rücksicht auf die noch völlig im Fluss befindliche grundlegende Umgestaltung des deutschen Staats- und Rechtswesens", so die Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, abgesagt.
Ernst Wolff, der stellvertretende Vorsitzende der "Ständigen Deputation", einem der Hauptorgane des Deutschen Juristentages, und sechs weitere Mitglieder des Vorstandes verloren im April 1933 aufgrund der antisemitischen Gesetzgebung die Möglichkeit der Berufsausübung.
"Mit selbstverständlicher Ausnahme von Juden"
In diese Lücke stieß Hans Frank. Frank war in der Weimarer Republik als Verteidiger von Nationalsozialisten in vielen Prozessen aufgetreten. Er gründete 1928 den "Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" (BNSDJ) und wurde im April 1933 zum "Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz und für die Erneuerung der Rechtsordnung" ernannt.
Um den "Deutschen Juristentag" als "4. Reichstagung des Bundes Nationalsozialistischer Juristen" vom 30. September bis zum 3. Oktober 1933 zur Großveranstaltung aufzuplustern, wurde von der anfänglichen Teilnahmebedingung einer NSDAP- und BNSDJ-Mitgliedschaft abgesehen. Stattdessen wurde "allen sonstigen mit dem Recht befassten oder an dem Juristentage interessierten Personen" die Teilnahme – "mit selbstverständlicher Ausnahme von Juden" – ermöglicht. Als Hauptziele wurden die Renaissance des deutschen Rechts, die Wiederherstellung der Geschlossenheit des deutschen Juristenstandes sowie die Schließung der Kluft zwischen Volk und Juristen postuliert.
Tag 1: Eröffnungsveranstaltung in der Leipziger Messehalle
Die Eröffnungsveranstaltung mit einer Rede von Hans Frank wurde aufgrund des großen Besucherandranges in die Leipziger Messehalle verlegt. Hitler hatte seine Teilnahme an diesem Tag kurzfristig abgesagt. Im Tagungsband zum Juristentag wird von 12.000 Besuchern gesprochen, die Lokalpresse zählte 30.000 und in den Akten der Stadt Leipzig stehen 16.000 Interessierte. Es handelte sich also um ein Großevent. Viele Gäste kamen aus dem Ausland.
Nach Frank sprach der Leipziger Oberbürgermeister, Carl Goerdeler. Goerdeler sollte elf Jahre später als Widerstandskämpfer von NS-Staatssekretär Roland Freisler zum Tode verurteilt werden, der zwei Tage später in Leipzig über die Studienreform sprach. Nach Goerdeler referierte Reichsjustizminister Franz Gürtner. Der erste Tag wurde mit einem exklusiven Konzert im Gewandhaus beendet, wo auch Innenminister Wilhelm Frick eine Rede hielt.
Tag 2: Treueschwur auf Adolf Hitler
Am zweiten Tag marschierten SA, SS, Stahlhelmkapellen, Referendare des Referendarlagers "Hanns Kerrl" und die Besucher des Juristentages und Teile der Richterschaft des Reichsgerichts, soweit sie denn der Aufforderung eines Senatspräsidenten Folge leisteten, zum Reichsgericht. Das Präsidium empfing aber nur Hans Frank in der großen Halle des Reichsgerichts.
Reichsgerichtspräsident Erwin Bumke war erkrankt, so dass sein Vertreter, Friedrich Oegg, die Ansprache mit den typischen Floskeln übernahm: Die innere Einheit des deutschen Volkes sei wiederhergestellt worden, die völkische Gesetzgebung müsse deutsches Recht schaffen und das Reichsgericht habe immer den demokratischen Gesetzgeber korrigiert. Es habe keine formale Rechtsprechung ausgeübt, sondern sich an den guten Sitten sowie Treu und Glauben orientiert.
Danach sprach wieder Frank. Er sicherte die "Aufwertung des Richterstandes" zu und garantierte die "richterliche Unabhängigkeit". Gleichzeitig hob er mit Blick auf den laufenden Prozess gegen die angeblichen Brandstifter und Urheber des Reichstagsbrandes hervor, dass die Lücke zwischen Volk und Juristen nur geschlossen werden würde, wenn die Angeklagten verurteilt werden würden.
Dann traten die Richter in Amtstracht mit Frank vor die aufmarschierten Juristen. Unter dem Banner "Durch Nationalsozialismus dem deutschen Volk das deutsche Recht" verkündete Frank, dass er dem Reichsgericht wünsche, dass "der Nationalsozialismus in ihm für alle Zeiten die Richtschnur der Entscheidung nach Recht und Gewissen" sein werde. Dies war im Hinblick auf den "Reichstagsbrandprozess" ein klarer Hinweis. Am Schluss der Kundgebung vor dem Reichsgericht kam es noch zum Treueschwur auf Adolf Hitler.
Tag 3: "Künder und Wahrer des Rechts"
Am dritten Tag eröffnete Frank die "Fachtagung". Er hielt während des Juristentages insgesamt zwölf Reden, die im Tagungsband mehr als zehn Prozent der Seiten einnahmen. Ebenso wie Rudolf Schraut, hoher Funktionär des BNDSJ und Franks Verbindungsmann im Reichsjustizministerium, oder Helmut Nicolai, bis 1935 Mitarbeiter im Reichsinnenministerium, vertrat Frank einen völkischen-rassischen Führerstaat. Frank propagierte den volksnahen "Rechtswahrer" als Gegenbild zum überakademisierten und paragraphenreitenden Akademiker: "Jeder, der an der Rechtsfindung irgendwie entscheidend mitwirkt, ist Jurist".
Mit Hans Kerrl und Freisler sprachen zwei NS-Funktionäre, die als preußischer Justizminister bzw. preußischer Justiz-Staatssekretär wichtige staatliche Positionen innehatten, wobei Kerrl noch nicht einmal Rechtswissenschaften studiert hatte. In seinen Ausführungen über das "Reichserbhofgesetz" kam es zu typischen Blut-und-Boden-Ausführungen. Seine Ideen zur Rechtserneuerung erschöpften sich in der Entprofessionalisierung des Juristenstandes bei gleichzeitiger Militarisierung. Die Gründung eines "Hanns-Kerl-Referendarlagers" in Jüterborg ist beredetes Beispiel dieser Programmatik.
Freisler forderte, dass der Jurist über "gediegenes Wissen" verfügen müsse, um als "Künder und Wahrer des Rechts" auftreten zu können. Daneben brauche es aber auch soldatisch-kameradschaftliche Charaktere, denn der Jurist, "der haften bleibt an der Erlernung der Regeln des Rechts", sei "überflüssig".
Der dritte Tag endete mit der Proklamation der "Akademie für Deutsches Recht". Sie war schon einige Wochen zuvor in München gegründet worden. Auch diese Zeremonie wurde von Frank pompös inszeniert. Alle Dekane rechts- und staatswissenschaftlicher Fakultäten, der Reichsjustizminister sowie weitere Minister und die Reichsgerichtsräte im Talar waren anwesend. Frank wollte sich mit dieser Institution seinen Einfluss auf die "nationalsozialistische Rechtserneuerung" sichern, da das Reichsjustizministerium weiterhin bei Franz Gürtner verblieb. Zwar wurde die Akademie 1934 sogar eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber große Projekte wie ein "Volksgesetzbuch" blieben unvollendet.
Tag 4: "Volkserhaltung, Rassenschutz und Rassenpflege"
Mit Carl Schmitt referierte am letzten Tag einer der führenden Staatsrechtslehrer. Er verabschiedete die Weimarer Reichsverfassung ("In aller Form ist das alte System gestorben") und die "subjektiven Rechte" sowie die "staatsfreien Sphären". Der bürgerliche Staat mit seiner Dichotomie Staat – Gesellschaft werde durch die nationalsozialistische Dreigliederung "Staat, Bewegung, Volk" abgelöst. Die NSDAP sei sowohl "staatstragend" als auch "volkstragend": "So erkennen wir das erste große Grundgesetz des heutigen nationalsozialistischen Staates, das Gesetz des unbedingten Vorrangs der politischen Führung, wie sie sich in der nationalsozialistischen Bewegung unter ihrem Führer Adolf Hitler darstellt".
Und dieser "Führer Adolf Hitler" kam schließlich um 19.30 Uhr mit dem Flugzeug in Leipzig an. 30.000 bis 40.000 Menschen sollen in der Messehalle 7 der Leipziger Messe auf Hitler gewartet haben. Gegen 20.45 Uhr redete dieser dann. Aber was er genau sagte, ist bis heute ein Mysterium, denn die Rede wurde nie veröffentlicht. Nach Carl Schmitt soll Hitler über den "totalen Staat" sinniert haben. Hans Frank und Helmut Nicolai berichten in ihren Erinnerungen, dass der "Führer" schlecht gelaunt gewesen sei, u. a. deshalb, weil im Publikum auch Frauen saßen. Die Rede sei geprägt gewesen von falschen Betonungen von Eigennamen und Ausdrücken. Der Tagungsband gab die Rede, die 45 Minuten gedauert haben soll, nur paraphrasiert wieder. Hitler habe die "rassische Bedingtheit" des Rechts herausgestellt sowie die Einheit von Volk und Staat und von Recht und Moral. Die Aufgaben der Staatsführung seien: "Volkserhaltung, Rassenschutz und Rassenpflege". Trotz der ausgebliebenen Veröffentlichung der Hitlerrede wurde diese stark in der zeitgenössischen Literatur rezipiert.
Das Buch von Silvan Schenkel, das reich bebildert ist, zeichnet ein facettenreiches Bild einer ins Propagandistische gedrehten Fachtagung, die für die Mobilisierung eines Teils der deutschen Juristenschaft ein wichtiger Katalysator war. Ein sehr lesenswerter Beitrag zur Geschichte der Frühphase der nationalsozialistischen Diktatur.
Silvan Schenkel: Der Deutsche Juristentag 1933. Die kumulative Selbstmobilisierung der juristischen Professionselite in der Formierungsphase des NS-Regimes. Mohr Siebeck (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 122), Tübingen 2023, XX, 330 Seiten, 89,00 Euro oder open access.
Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Referent in einem Bundesministerium (Bonn) und im Vorstand des Forums Justizgeschichte.
Der Deutsche Juristentag 1933 in Leipzig: . In: Legal Tribune Online, 30.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52817 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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