Hexenverfolgung – Ignoranz rechtshistorischer Forschung
Überraschend lieblos handelt Deschner einen Dauerbrenner rechts- und sozialhistorischer Diskussionen ab, die Geschichte der Hexenverfolgungen, die er in Band 8 und 9 seiner "Kriminalgeschichte" aufgreift. Deren aktuelle Dimension bleibt bei ihm gleich ganz ausgeblendet, vermutlich, weil es keine Abgesandten Roms sind, die heutzutage in Kinshasa (Kongo) sogenannte "Kinderhexen" umbringen (hierzu die Magisterarbeit von Katharina Puvogel PDF). .
Aber auch die seriöse historische Forschung zu den Hexenverfolgungen hat bei Deschner keinen guten Stand. In diesem rechtshistorisch höchst spannenden Feld ging es rund 200 Jahre höchst grobschlächtig zu: Protestantische Gelehrte wollten etwa ab dem 19. Jahrhundert wissen, dass es vor allem die Katholiken gewesen seien, die Hexen verbrannt hätten. Abergläubisches Volk, diese Papisten. Katholische Gelehrte schauten auf die mörderischen Verhältnisse in lutherischen Landen. Im 20. Jahrhundert 'entdeckten' feministisch inspirierte Gelehrte wie die Bremer Professoren Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, dass der frühmoderne Staat insbesondere die Hebammen verfolgt habe, um deren Wissen um Geburtenkontrolle auszurotten. Zahlen von neun Millionen als Hexen getöteter Frauen kursierten.
Der heute in Jena lehrende Strafrechtshistoriker Günter Jerouschek griff solche Theorien, die Hexenverfolgungen seien als "staatsterroristische Bevölkerungspolitik" bereits 1986 durchgreifend an: Ein solcher 'Vorsatz' sei den Hexenanklägern des 15. bis 18. Jahrhunderts nicht nachzuweisen (Kritische Justiz 1986, 443 [PDF]). Seriöse Schätzungen gehen heute auch von rund 100.000 Opfern des Hexenwahns aus, was dem jeweiligen Einzelfall freilich kaum das Grauen nimmt.
Aus Deschners Sicht wird die Kritik an der feministischen Heinsohn/Steiger-Hebammenphantasie bloß von "manchem Neider, Mißgünstigen, Besserwisser niedergenörgelt", was sich wohl nur als Abschied von jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung lesen lässt.
Immerhin: Spannender als der andere "Mord zum Sonntag"
Als wissenschaftliche Literatur möchte man derlei also vielleicht doch lieber nicht lesen. Ob man die "Kriminalgeschichte des Christentums" wirklich als "Anklageschrift" verstehen will, lässt sich auch in Zweifel ziehen. Nimmt Deschner Anstoß an einem Gelehrten oder einem historischen (Politik-) Kriminellen, hat er Attribute wie "katholisch", "Pfaffe" oder "Jesuitenzögling" schnell zur Hand. Wahrhaft kritische Christen wie der spanische Verteidiger der amerikanischen Ureinwohner, Bartolomé de Las Casas (1484-1566) oder Michel de Montaigne, entgehen solchen selektiven Zuschreibungen. Deschners Rhetorik hat hier etwas vom modernen Islamfeind, der hinter jeder Kopftuch tragenden Falschparkerin die moralische Verworfenheit der Weltreligion wittert.
Immerhin, spannend ist es mitunter schon, wenn Deschner beispielsweise auf den Spuren preußischer Exzentriker wandelt, wie dem jesuitisch-preußisch-evangelikalen Juristen und Katholikenfresser Paul Graf von Hoensbroech. Gut, als Kronzeugen ist der vielleicht nicht besonders geeignet. Schön ist der Fund dennoch, schließlich pflegen wir hierzulande sonst kaum die Erinnerung an unsere schrägen Intellektuellen aus Kaisers Zeiten.
Betulich moralisierende Beschreibungen außergewöhnlicher Rechtsgeschichten finden sich in Deschners "Kriminalgeschichte" manchmal auch – als eigene literarische Gattung ist der "Pitaval" ja etwas aus der Mode geraten. Wie in einer kleinen, aber üblen evangelischen Theokratie, in Genf unter Johannes Calvin, der Gelehrte Michael Servet von Rechts wegen zu Tode gebracht wurde, ist solch ein Stück "Pitaval".
Spannender als der "Tatort" aus Stuttgart sind solch gruselige alte Rechtsgeschichten alle Male.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, "Kriminalgeschichte des Christentums": . In: Legal Tribune Online, 26.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8799 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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