Indianerrecht: Kopf­geld­jagd auf Staats­kosten

von Martin Rath

13.10.2013

2/2: Leichenschändung an Thaóyate Dúta – "poetic justice"

Am 3. Juli 1863 war der gegen Kriegsende geflohene Häuptling Thaóyate Dúta mit seinem Sohn Wowinapa beim Beerensammeln in einen Schusswechsel mit zwei Jägern geraten, Natham Lamson und seinem Sohn Chauncey. Dass die Leiche, die bald darauf in einer nahegelegenen Ortschaft skalpiert, bei Gelegenheit des Nationalfeiertags in Nase und Ohren mit Feuerwerkskörpern versehen und schließlich in die Abdeckgrube einer Metzgerei verbracht wurde, jene des gefürchteten Feindes war, blieb zunächst unbekannt. Nach Gefangennahme von Wowinapa wurde die Identität offenbar.

Die Lamsons erhielten – so die heutige Erkenntnis – keine Kopfprämie nach den Malmros-Erlassen, deren erster am Tötungstag noch nicht in Kraft war. Gleichwohl fabulierte eine Zeitung in Minnesota davon, es sei ein Akt "poetischer Gerechtigkeit", dass der erste von Staats wegen geschnittene Skalp dem feindlichen Häuptling gehört habe.

Der Abgeordnete des Wahlkreises, in dem der Häuptling getötet worden war, brachte jedoch einen Gesetzentwurf ins Repräsentantenhaus von Minnesota ein, nach dem Nathan Lamson 1.000, sein Sohn 500 Dollar Tötungsprämie erhalten sollten – nach einigem hin und her mit dem Staatssenat wurden 500 Dollar an Vater Lamson angewiesen, obwohl es sein Sohn gewesen war, der Thaóyate Dúta getötet hatte.

Rechtliche Prüfung durch die Hintertür

Colette Routel merkt an, dass eine aus dem Recht geschöpfte Kritik an den Kopfjagd-Verordnungen ausblieb. Einen Maßstab hätte beispielsweise der sogenannte "Lieber Code" geben können. Der preußisch-amerikanische Jurist Francis Lieber (1800-1872) hatte einen Katalog kriegsrechtlicher Normen formuliert, der von Lincoln am 24. April 1863 in Kraft gesetzt wurde. Dieser Code schrieb beispielsweise die Schonung von Kriegsgefangenen vor.

Statt durch eine Prüfung an positiven, allgemeinen Normen kam das Kopfgeld-Recht, das auch in anderen US-Bundesstaaten und teilweise auf County-Ebene verbreitet war, durch einen Fall in juristischen Verruf, der wie die blutige Variante eines grotesken Monty-Python-Sketches wirkt:

Am 25. Dezember 1866 gerieten zwei Trapper, Alexander Campbell und George Liscom, im Städtchen New Ulm, Minnesota, in eine Messerstecherei, nachdem sie sich in einer Kneipe unter anderem durch ihre Kleidung – Campbell trug Moccasins – und ihre Unterhaltung in einer Mixtur aus Englisch, Französisch und Dakota den wohl überwiegend deutschen Trinkern verdächtig gemacht hatten. Einer der Zecher verstarb, nachdem einer der beiden vermeintlichen "Halbblutindianer" sich gegen einen Angriff zur Wehr gesetzt haben soll.

Die Aussage muss unklar bleiben, denn Campbell und Liscom fielen, vom Sheriff zunächst inhaftiert, dann in Fesseln ausgeliefert, dem New Ulmer Lynchmob zum Opfer. Der Lynchmord führte zu einer Anklage – und dies nur zäh, weil der Prozess in der Zuwanderer-Gesellschaft Minnesotas politisch kaum populär zu werden versprach. Die Verteidigung eines Mannes aus dem Mob bemühte das Argument, der Staat von Minnesota und einige seiner Counties stellten das Leben von Indianern nicht unter Schutz und es habe zum Tatzeitpunkt überdies Kriegszustand geherrscht.

Das fand als Argument der Verteidigung beim Minnesota Supreme Court und beim U.S. Supreme Court kein Gehör, die verhängte Todesstrafe wurde jedoch vom Governor auf lebenslängliche, dann auf zehn Jahre Haft reduziert.

Heute ist Indianerrecht erstrebenswert

Noch heute lebt die indigene Bevölkerung der USA zu guten Teilen in eigenen Rechtsordnungen. Inzwischen wurden die Vorteile entdeckt, die zum Beispiel im Glücksspielbetrieb mancher Reservate liegen – illegal in den meisten anderen US-Rechtsordnungen. Nichts macht den Ansehenswandel deutlicher als der jüngste Versuch der Nachfahren dunkelhäutiger Sklaven, die von ihren Cherokee-Eigentümern bei der Vertreibung aus den Stammesgebieten mitgenommen worden waren, sich in die Cherokee-Nation hineinzuklagen.

Die Kopfjagd-Verordnungen, die vor 150 Jahren in Kraft traten, dürfen als Versuch gelten, Menschen wegen der bloßen Zugehörigkeit zu einer "rassischen" Gruppe für völlig rechtlos zu erklären. Die Rechtsordnungen der USA haben viel rassistisches Recht exekutiert. Dieses Extrembeispiel blieb jedoch eine kurze, weitgehend vergessene Episode.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Indianerrecht: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9790 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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