2/2: Der Hamburger wird zum Ampelgehorsam gezüchtigt
Angeblich soll ja das Vertrauen des Menschen in seine Herrschaft über die Natur damals gerade in Hamburg besonderen Auftrieb erfahren haben, als es sechs Jahre nach Schreiters Protest gegen die Ampel dem Innensenator der Hansestadt und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, gelang, die große Sturmflut von 1962 zu beenden, indem er vor die flutenden Wasser trat und ihnen den Rückzug befahl.
Zum Gehorsam gegenüber technischen Befehlshabern wollte der mit weniger magischen Kräften ausgestattete Hamburger aber erst noch erzogen werden. Einem Bericht des Magazins Der Spiegel zufolge geschah das beispielsweise einem Emil Miltztrey, der eine rote Fußgängerampel missachtete, daraufhin mit einem Hamburgischen Polizisten in Zivil eine "Keilerei" auszufechten und sich später eines Verfahrens wegen Widerstands gegen "die Staatsgewalt" zu stellen hatte.
Die Strafe von 120 Mark begründete Richter Dr. Plambeck: "Es geht eben nicht an, die Entscheidung darüber, ob der Ampel gehorcht wird, dem Ermessen des einzelnen zu überlassen." Gegen den ins Spiel gebrachten Schreiter-Aufsatz äußerte Plambeck, dass "jeder verständige Mensch" die Ampel als "ein begrüßenswertes Hilfsmittel zu seinem eigenen Schutz und nicht als einen seine Persönlichkeit in unerträglicher Weise einengenden Roboter" verstehe. So sah es also früher aus, wenn promovierte Juristen untereinander einmal nicht nett zueinander sein wollten.
Kammergericht entdeckt Turing-Test (beta)
Das Berliner Kammergericht beschritt, drei Jahre nachdem in Hamburg inzident der Roboter geschmäht worden war, einen etwas anderen Weg: Es entschied, dass ein Polizeibeamter, der eine der damals noch häufigen, nicht-automatisierten Verkehrsampeln bediente, mit seinen Handzeichen und den händisch ausgelösten Ampelsignalen kein "Verkehrsteilnehmer" im Sinne der StVO sei – und darum nicht gleich einem Auto- oder Radfahrer oder gemeinen Fußgänger in die Haftung zu nehmen war (Urt. v. 01.07.1965, Az. [2] 1 Ss 151/65). Vielleicht sollte man diese Rechtsfrage ins Repertoire des berühmten Turing-Tests zur Abgrenzung von Mensch und Maschine aufnehmen.
Dass das deutsche Volk ernstlich am Verstand der Verkehrsampel zu zweifeln begann und an dem der Behörden, die für dieses technische System verantwortlich sind, hat aber leider doch mit der bis dahin so vernünftigen Justiz zu tun. Mit Beschluss vom 13. Januar 1970 schuf der Bundesgerichtshof (BGH) einen der Gründe, aus denen sich heutzutage so viele Kfz-Fahrer Überwachungselektronik an die Frontscheibe kleben: Wenn ein Polizeibeamter, erklärte der BGH, sich an einen zur Anzeige gebrachten Rotlicht-Verstoß zwar nicht erinnern könne, vor Gericht aber glaubwürdig bezeuge, er hätte die Anzeige nicht gestellt, wäre der Vorgang wie vom Autofahrer behauptet geschehen, lasse sich das strafbegründend verwerten (Az. 4 StR 438/69). Statt der Beweiswürdigung nach Polizeiherrenart vertraut man heute lieber der eigenen Kamera.
Subtiler Beitrag zur Technikfeindlichkeit
Einen eher subtilen Beitrag zur Technikfeindlichkeit, die seit 1970 aufkam, leistete der BGH mit Urteil vom 15. Oktober 1970: In Nürnberg – wieder einmal war das Hightech-Land Bayern betroffen – hatte die Verwaltung, um es hier vereinfacht darzustellen, eine Seite der Verkehrsampel stillgelegt, die querende Richtung aber in Betrieb gelassen, so dass an der verkehrsreichen Kreuzung jederzeit zwei vermeintlich vorfahrtberechtigte Fahrzeuge aufeinandertreffen konnten. Was schließlich auch geschah (Az. III ZR 169/67).
Der BGH blickte allein auf den Roboter, der die beiden Fahrzeuge ineinander fahren ließ, und fand keine Augen für die Stadtverwaltung, die für diese unbeseelte, daher unschuldige Ampel hätte haften können und schloss Staatshaftungsansprüche aus: Einmal wegen fehlenden schuldhaften Handelns, zum anderen, weil das fehlerhafte Ampelmonster nicht unmittelbar ins Sacheigentum der Geschädigten eingegriffen habe.
Über dieses Urteil mokiert sich der sonst gern konservative Rupert Scholz noch heute im Grundgesetz-Kommentar Maunz-Dürig, vielleicht, weil es weniger um Freiheit als ums Eigentum geht. Zwar schützen heute Ansprüche nach dem Polizeirecht davor, entschädigungslos einer Ampel zum Opfer gebracht zu werden. Die vertrauensbildenden Rechtsmaßnahmen zugunsten des Ampelwesens waren 1970 aber erst einmal vorbei.
Juristische Alpträume bereitet dieses Ampelwesen immer wieder. Da mag es Zeit werden für eine künstlerische Katharsis. Vielleicht könnte ja der nächste "Transformers"-Film statt von Autos von Ampeln handeln.
Martin Rath, Verkehrsampel wird 100: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12847 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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