Auslegungssache Neujahrsgruß: Ein semijuristischer Interpretationsversuch

von Martin Rath

31.12.2012

2/3: "Glück", das ist bloß eine Sache für Streber

Der kontinentaleuropäisch gebildete Jurist weiß, dass er kein Glück braucht. Es wird ihm von Staats wegen gestellt.

Das ist natürlich in den seltensten Fällen eine Anspielung aufs staatliche Glücksspiel. Denn mit Glücksspielen ernährt der Bürger bekanntlich den Staat, gerne in Gestalt ganz besonders parteipolitisch besetzter Lotterie-Gesellschaften, für deren Management es aber keines Staatsexamens bedarf. Lotterie, das ist hierzulande so wichtig, dass man den Kindern in der Schule möglichst wenig Statistik beibringt, damit sie nicht auf den Gedanken kommen, dass Glücksspiel dummes Zeug ist.

Das juristische Glücksverständnis, zumal das kontinentaleuropäische ist selbstverständlich subtiler: Ungeachtet aller begrifflichen und philosophischen Deutungskünste versteht man unter dem Staat eine Veranstaltung, die das Allgemeinwohl zum Ziel hat. In der guten alten Zeit, als Staatsoberhäupter noch gekrönt wurden und sich die Verfassung nicht mit evangelischen Pastoren als Ersatzmonarchen begnügte, kannte man den Begriff des "Allgemeinwohls" noch unter der Bezeichnung "Glück" – gemeint war in barock-absolutistischen Zeiten damit die allgemeine Wohlfahrt. Wohlfahrt, nicht im Sinn allseitiger Zwangsversicherungen und hochprozentiger Staatsquoten: Glücklich war ein Staat, frei nach dem französischen König Heinrich IV. (1553-1610), wenn noch der einfache Bauer sonntags sein Hühnchen im Eintopf hatte.

Hinter allen dogmatischen Wendungen des Staatsrechts erkennt der historisch denkende Jurist ein Stück von diesem Glück. Ein gut regierter Staat schafft, staatsrechtlich gesehen: Glück durch Verteilung von Huhn und Ei.

Mit Monarchen hatten insbesondere jene nordamerikanischen Juristen wenig am Hut (modisch betrachtet war es meist ein Dreispitz), die sich in den 1770er-Jahren zum Hochverrat gegen die englische Verwandtschaft des hierzulande so beliebten Ernst-August von Hannover verschworen. Die Ablehnung von Monarchen, die ihren Bauern ein Sonntagssuppenhuhn als Ziel des Staatsglücks versprachen, wurzelt bekanntlich im hochverräterischen Projekt namens USA so tief, dass man die Bürgerschaft zur Abwehr von Ernst-Augusts Verwandtschaft noch heute privat bis unter die Zähne bewaffnen darf.

Gegen die Verführung eines monarchistisch-absolutistischen Glücksversprechens in Gestalt von Suppenhühnern setzten die Gründungsväter der USA bekanntlich das "pursuit of happiness".

"Pursuit of happiness" wird meist als "Streben" übersetzt. Man kann es auch als ein "Nachjagen nach dem Glück" bezeichnen. Selbst wenn man es bei der freundlichen Übersetzungsvariante belässt, bleibt etwas Unfreundliches über: Wer einem anderen Glück wünscht, hält ihn für einen "Glücksstreber".

Nach kontinentaleuropäischem Verständnis braucht jedenfalls der Jurist im Staatsdienst nicht mehr nach dem Glück zu streben. Er verkörpert es längst selbst als Vertreter einer suppenhuhnverteilenden Staatsidee.

Ein "neues Jahr" wünschen – das geht 2012/2013 mal gar nicht

In Rechtsfragen sensiblen Zeitgenossen mag man zum Jahreswechsel 2012/13 ein "neues Jahr" eigentlich gar nicht wünschen, verweist das doch auf den bösesten rechtspolitischen Streit der zurückliegenden Monate. Gute Katholiken sind bei dieser Anspielung klar im Vorteil, weil sie wissen, was die heilige Katharina von Siena in getrockneter Form am Finger trug, alle anderen müssen sich vorstellen, was mit dem Christkind nach jüdischem Brauch am achten Tag nach seiner Geburt geschah.

Nein, man möchte sich nicht wirklich daran zurück erinnern, dass in den vergangenen Monaten liberale Strafverteidiger den Staatsanwälten viel Glück bei der Fahndung nach jüdischen und muslimischen Brauchtumsverbrechern wünschten, während den Verteidigern archaischer Religionspraktiken nichts besseres einfiel als davon zu sprechen, dass Deutschland sich mit ihrem Verbot nicht vor anderen Nationen lächerlich machen solle.

Der antike römische Kalender begann mit dem 1. März, das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Advent. In der global vernetzten Gesellschaft zunehmend präsent sind das chinesische Neujahrsfest, weil dann die "Werkbank der Welt" ziemlich stillsteht, und auch der muslimische Mondkalender mit seinen beweglichen Neujahrsdaten erfreut sich wachsender Aufmerksamkeit nicht nur, weil seine Anhänger einmal im Jahr wochenlang hungrig durchs Land schleichen.

Die Übung, den Jahresbeginn auf den 1. Januar zu legen, also auf den achten Tag nach Christi Geburt, nennen Historiker nach dem, was dem Jesusknaben widerfuhr: "Circumcisionsstil".

In diesen frischen Wunden der rechtspolitischen Diskussion will man nicht wühlen. Fraglich nur, ob der 1. Januar in den Augen aller Beteiligten einen glücklichen Schnitt repräsentiert. Glücklich zweifellos war er nur für die heilige Katharina, die den Hautring am Finger trug.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Auslegungssache Neujahrsgruß: . In: Legal Tribune Online, 31.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7875 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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