In den 90ern forderte ein Student vom Getränkehersteller Pepsi einen Kampfjet. Der Konzern hatte damit in einem TV-Spot geworben. Den Streit rollt Netflix jetzt neu auf – und damit auch die alles entscheidende Frage: "Pepsi, wo ist mein Jet?"
Jeder Jurastudent und jede Jurastudentin kennt sie. Die grundlegenden Fragen im Vertragsrecht: Wann liegt ein Angebot vor? Wie grenzt man ein Angebot von einem bloßen Scherz ab? Für Scherzerklärungen gibt es im deutschen Recht einen eigenen Paragrafen. § 118 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: "Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, ist nichtig." So viel zum Thema, Juristinnen und Juristen verstünden keinen Humor Die Grenzen zwischen Ernst und Scherz können in der Praxis allerdings fließend sein. Das zeigt sich unter anderem im Marketing: Ob so mancher Werbespot immer ernst gemeint ist ("Mit einem Wisch ist alles weg") und ob die Zuschauenden immer alles für voll nehmen – zweifelhaft.
Für John Leonard war die Sache jedenfalls todernst. In der Netflix-Doku "Pepsi, wo ist mein Jet?" wird in vier Episoden die Geschichte des damals 20-jährigen US-Studenten aus Seattle erzählt. Er brachte Pepsi 1996 vor ein US-Gericht, um einen Kampfjet einzuklagen. Damals, als der Underdog Pepsi Millionen in die Hand nahm, um den Markführer Coca-Cola durch Werbespots und Marketingkampagnen zu übertrumpfen. In einer Zeit, in der Marketingabteilungen ihre Werbesports noch nicht mit ellenlangen Disclaimern und Haftungsausschlüssen versahen.
Doch von vorne. 1996 starte Pepsi sein Bonusprogramm "Pepsi Stuff". Kundinnen und Kunden konnten durch den Kauf von Pepsi-Produkten Punkte sammeln und diese gegen Preise wie T-Shirts und Sonnenbrillen eintauschen. Die Aktion bewarb Pepsi in einem Werbespot, in dem ein Schüler zu sehen ist, der zunächst Pepsi-Punkte gegen kleinere Preise wie eine Lederjacke eintauscht. Am Ende des Werbesports landet der Protagonist überraschend in einem US-Kampfflugzeug, dem Harrier-Jet, vor seiner Schule. Über dem Bild wird der Schriftzug eingeblendet: "Harrier-Jet: 7.000.000 Punkte." Ein reiner Marketing-Gag?
John Leonard macht ernst
Für John Leonard nicht. Der Harrier-Jet lässt ihn nicht mehr los. Auf einer Pinnwand, die in der Doku mit einem Foto des damaligen Pepsi-Girls Cindy Crawford geziert ist, stellt Leonard Berechnungen an. Das Ergebnis ist zunächst ernüchternd: Um ausreichend Pepsi-Punkte zu sammeln, müsste er mehrere Millionen Getränkedosen kaufen, die jeweils 1-5 Pepsi-Punkte wert waren. Diese Dosen müsste er außerdem transportieren und lagern – Kosten in Höhe von rund 4,5 Millionen US-Dollar.
Doch es kommt zu einer überraschenden Kehrtwende. Leonard entdeckt in einem Getränkemarkt den Hinweis, dass man "fehlende" Pepsi-Punkte für jeweils 10 Cent kaufen kann. Für "nur" 700.000 US-Dollar könnte Leonard also 7.000.000 Pepsi-Punkte bekommen – und damit den Harrier-Jet bei Pepsi einlösen. Eigentlicher Wert: rund 37 Millionen US-Dollar. Die einzige Einschränkung: um Punkte zu kaufen, benötigt Leonard 15 "echte" Punkte, die er von Pepsi dafür bekommt, dass er das Getränk auch wirklich kauft.
"Just kidding!"
1996 schickte Leonard dem Limonaden-Hersteller dann – mit der Hilfe von insgesamt fünf Geldgebern – einen Scheck über 700.000 US-Dollar (zusammen mit den 15 "echten" Pepsi-Punkten). Pepsi erwidert in einem kurzen Schreiben: "Just kidding!" Dass Kunden und Kundinnen den Kampfjet mittels Pepsi-Punkten erwerben könnten, sei "offensichtlich nur ein Scherz" gewesen.
Offensichtlich ein Scherz? In der Doku erinnert sich der damalige Leiter der Marketingabteilung von Pepsi, Brian Swette, daran, dass Pepsi tatsächlich kurzzeitig überlegt hatte, Leonard einfach den Kampfjet zu überlassen, der beim Dreh des Werbesports benutzt wurde. So sicher war Pepsi sich seiner Sache wohl nicht. Doch letzten Endes kam es anders. Pepsi entschied, in die Offensive zu gehen und verklagte Leonard noch im gleichen Jahr vor einem Bezirksgericht im Bundesstaat in New York.
Millionen-Vergleich ausgeschlagen
Leonard engagiert den Anwalt Larry Schantz, der, neben mehreren Pepsi-Funktionären, in der Doku zu Wort kommt. Für Schantz handelt es sich klar um "irreführende Werbung". Auch die Pepsi-Anwälte sehen die Gefahr und bieten Leonard einen Vergleich an: eine Million (!) US-Dollar – zumindest behauptet das Leonard.
Die Pepsi-Führungskräfte können sich an eine derart hohe Summe nicht erinnern, wie sie in der Kurzserie erzählen. Die genaue Summe spielt aber auch keine Rolle. Denn sicher ist: Leonard lehnte das Angebot ab – gegen den Rat seines Anwalts. Er will den Harrier-Jet und nichts anderes.
Leonard sucht sich einen neuen Beistand, mithilfe dessen er Pepsi verklagt: Michael Avenatti. Der damalige Spindoctor und heutige Promi-Anwalt also, der später das US-Pornosternchen Stormy Daniels gegen Ex-Präsident Trump vertrat. Und der Anwalt, der inzwischen wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt wurde.
Angebot oder Scherzerklärung?
In "Leonard v. Pepsico, Inc." lautete der Vorwurf dann Vertragsbuch, irreführende Werbung und unlauterer Wettbewerb. Die Klage von Leonard blieb allerdings erfolglos. Richterin Kimba Wood gab dem Getränkehersteller Recht und urteilte, "kein objektiver Dritte hätte vernünftigerweise zu dem Schluss kommen können, dass die Werbung den Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich einen Harrier Jet verspricht".
Bei der Frage, ob im Werbesport von Pepsi ein Angebot zu sehen ist, stellte das Gericht also auf den objektiven Empfängerhorizont ("objective reasonable person standard") ab. Auch im deutschen Rechtsraum wäre zu fragen gewesen, wie eine objektive vernünftige dritte Person die Werbung von Pepsi verstanden hätte.
Das US-Gericht urteilte, dass es sich bei einem vollwertigen Kampfjet zum Preis von nur 700.000 US-Dollar um einen Deal handele "zu schön, um wahr zu sein". Für eine objektive dritte Person sei es offensichtlich, dass der Werbespot als Scherz und nicht als ein rechtlich bindendes Angebot gedacht sei. Die Vorsitzende Richterin Wood wertete Leonards Auslegung des Werbespots als eine "übersteigerte Jugendfantasie". Die Frage “Pepsi, wo ist mein Jet?“ ist hier also eindeutig mit "bei der US-Armee, dort, wo er hingehört" zu beantworten.
Jannina Schäffer studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und legte ihr zweites Staatsexamen 2019 in Stuttgart ab. Seitdem promoviert sie berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei im Bereich des Strafprozessrechts. Sie ist Gründerin und Chefredakteurin des online Magazins "JURios – kuriose Rechtsnachrichten".
Netflix-Doku "Pepsi, wo ist mein Jet?": . In: Legal Tribune Online, 21.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50835 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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