2/2: Der Sabotage-Vorwurf
Das Prozessrecht des Apartheidstaats sah indes noch nicht derart trist aus, zumal es von Juristen praktiziert wurde, die noch aus der etwas liberaleren "britischen" Zeit Südafrikas stammten. So attestieren jedenfalls die heute noch lebenden Verteidiger des Rivonia-Prozesses dem Richter, Quartus de Wet, persönliche Unabhängigkeit. Zwar wurden auch in seinem Gerichtssaal die "Bantu"-Angeklagten beim Vornamen angesprochen, weiße dagegen beim Nachnamen. Der Ankläger, Dr. Percy Yutar, stellte das erst ein, als er bemerkte, dass diese Anrede für Kinder die behauptete Gefährlichkeit der Angeklagten konterkarierte.
Der Sabotage Act von 1962 stellte neben eigentlich Guerilla-typischen Delikten auch allerlei Vorbereitungshandlungen unter Strafe – von fünf Jahren bis zur Todesstrafe. Sabotage wurde vor einem Einzelrichter verhandelt, statt vor einem Dreier-Gericht. Anders als bei Hochverratsanklagen, bei denen jeder Einzelvorwurf durch zweifachen Zeugenbeweis zu untermauern war, genügte bei Sabotage ein substantiiertes Glaubhaftmachen, wobei es dann der Verteidigung überlassen blieb, den Zusammenhang mit der unterstellten Umsturzabsicht zu entkräften.
Gegen die Angeklagten Nelson Mandela, Walter Sisulu, Denis Goldberg, Govan Mbeki, Ahmed Kathrada, Lionel Bernstein, Raymond Mhlaba, James Kantor, Elias Motsoaledi und Andrew Mlangeni war die Beweislage aber – überwiegend – erdrückend.
Richter verwirft erste Anklage
Der Anwalt James Kantor wurde stellvertretend für seinen Schwager und Sozius Harold Wolpe angeklagt, dem nach der Bestechung eines 18-jährigen Gefängniswärters die Flucht nach Großbritannien gelang. Kantor wurde entlassen, nachdem die Anklage insoweit unsubstantiiert vorgetragen worden war.
Trotz der erdrückenden Beweislage – neben Landkarten, auf denen Anschlagsziele markiert worden waren, hatten sich auch regelrechte Widerstandsprogramme gefunden – machte sich Dr. Percy Yutar die Anklage zunächst zu leicht: Vom Verteidiger, Bram Fischer aufgefordert, die über 200 vorgeworfenen Sabotagedelikte den einzelnen Angeklagten zuzuordnen, konterte Yutar mit einem – auch seinerzeit haarsträubenden – Argument: Ihm sei diese Darlegungslast nicht zuzumuten, da die Angeklagten selbst wüssten, was sie getan haben.
Richter de Wet verwarf daraufhin die erste Anklage. Die nunmehr eigentlich nicht mehr Angeklagten wurden indes sofort per justizfreiem Hoheitsakt wieder in Haft genommen.
Politische Verteidigung und politische Juristen
Im zweiten Anlauf wurde nachgebessert. Einen Anklageverbrauch musste die Staatsanwaltschaft nicht befürchten, schloss das Gesetz zu Sabotage-Prozessen mehrfache Anklagen wegen des gleichen Delikts nicht aus.
In seiner Prozess-Geschichte weiß Broun von kuriosen Zügen zu berichten. Verteidiger Fischer, der aus einer bekannten burischen Politikerfamilie stammte und den nicht wahllos vergebenen Titel eines Queen’s Counsel trug, war selbst in der Kommunistischen Partei aktiv – weshalb er sich während der Vernehmung einfacher Augenzeugen aus Rivonia entschuldigte, um nicht erkannt zu werden. Das Leben dieses Anwalts, der vielleicht zu den mutigsten im 20. Jahrhundert zählte, verlief nach dem Prozess, bei aller Sparsamkeit, die das Wort verdient, tragisch.
Nelson Mandela hielt eine rund fünfstündige Verteidigungsrede, die wegen ihrer prozessrechtlichen Einordnung zwar nicht als Beweismittel zu berücksichtigen war, dem Ankläger aber auch kein Kreuzverhör erlaubte. Die Rede enthielt eine politische Rechtfertigung des Widerstands gegen ein Regime, dass dem ANC nach Jahrzehnten friedlicher Protestformen jede öffentliche und legale Ausdrucksform entzogen hatte. Seine Verteidigung enthielt Aspekte, die jeden guten Akt illegalen Widerstands auszeichnen – unter anderem eine Schonung des Gegners und eine Formulierung dessen, was eine positive neue (Rechts-) Ordnung ausmachen solle. So grenzte sich Mandela etwa von kommunistischen Herrschaftsplänen ab.
Gefängnisinsel für die Schwarzen, Haft mit Fortbildung für die Weißen
Immerhin konzedierte Richter de Wet, dass Sabotageakte mit tödlichem Ausgang den Angeklagten nicht zuzurechnen seien. Ankläger Yutar bestand nicht auf einer sich gleichsam von selbst beweisenden Identität von ANC und Kommunismus, was für spätere politische Angeklagte von Gewicht sein sollte.
Die Todesstrafe stand gleichwohl bis zur Verkündung des Strafmaßes im Raum. Broun berichtet, dass zwar die Verteidiger anderslautende Andeutungen des Richters erhielten, diese für die Angeklagten aber zu leise waren. Vom bereits entlassenen Angeklagten Kantor abgesehen erging nur für den kommunistischen Aktivisten Lionel Bernstein ein Freispruch – er sollte nach erneuter Inhaftierung ins Exil gehen.
Alle weiteren Angeklagten wurden zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die an den Schwarzen auf der Gefängnisinsel Robben Island vollzogen wurde, während man den Weißen Denis Goldberg in ein "weißes" Gefängnis in Pretoria verbrachte – wo er schließlich ein Jura-Fernstudium betrieb.
Martin Rath, Der Rivonia-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9036 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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