Über die politische Bedeutung Nelson Mandelas wurde in diesen Tagen viel berichtet. Es wird alsbald wohl noch mehr werden. Martin Rath erinnert an den Rivonia-Prozess mit dem Freiheitskämpfer und Juristen Mandela in der Rolle des Beschuldigten und einem Ankläger, der sich der Beweisführung mit dem Argument verweigerte: Die Angeklagten wüssten doch selbst, was sie getan haben.
Bei Gericht kannte man sich. Das wird dem Angeklagten Nelson Mandela am Ende vielleicht das Leben gerettet haben. Menschen, denen man Respekt entgegenbringt, verurteilt man wohl weniger schnell zum Tod. Das Verhältnis zwischen dem Oberrichter Quartus de Wet und dem vormaligen Anwalt und damaligen Untergrund-Diplomaten ist eines von vielen wenig bekannten bis schier unglaublichen Details, die der US-amerikanische Juraprofessor Kenneth S. Broun in seinem Buch "Saving Mandela. The Rivonia Trial and the Fate of South Africa" erzählt.
Wem die Öffentlichkeit peinlich erscheint, in der sich Krankheit und Sterben des südafrikanischen Rechtsanwalts, Freiheitskämpfers, Strafgefangenen und Staatspräsidenten abspielt, liegt sicher richtig. Dass David Beckham, der englische Fußballer, und die unter ihrem Mittelnamen bekannte Musikerin Robyn Rihanna Fenty bereits einen internationalen "Mandela-Tag" forderten, ist ein starkes Indiz. An den vor 50 Jahren beginnenden "Rivonia-Prozess" zu erinnern, ist es hoffentlich nicht.
Mandelas Tagebücher
Die Menge an Dokumenten, die eine Einheit der politischen Polizei Südafrikas am 11. Juli 1963 erbeutete bei einer Razzia in Rivonia, damals ein kärglicher Vorort von Johannesburg, erstaunte die offiziellen britischen Beobachter, nachdem sich im Herbst ein Prozess wegen Sabotage einem Komplex politischer Straftatbestände anschloss.
Hunderte von Papieren, darunter Landkarten, auf denen Anschlagsziele markiert waren, und politische Absichtserklärungen zum Guerilla-Kampf fanden die Polizisten ebenso wie die Tagebücher von Nelson Mandela, in denen der Untergrund-Diplomat des African National Congress (ANC) seine Begegnungen mit Politikern der jüngst unabhängig gewordenen Staaten Afrikas dokumentiert hatte.
Von einem Informanten war der Hinweis auf einen geheimen Versammlungsort gekommen, doch hatte der sich nur an einen "IVON" erinnert. Nachdem der ganze Name wieder präsent war, verhalf der Gedanke an mögliche Skrupel der Richterschaft der Polizei zu einem Ermittlungserfolg – statt polizeirechtlich loszuschlagen, wartete man einen Durchsuchungsbefehl ab. Auch infolge dieser Verzögerung fielen dem Ermittler Willem Petrus van Wyk und seinen Kollegen am Nachmittag des 11. Juli 1963 führende Köpfe des ANC und der gleichfalls verbotenen Kommunistischen Partei Südafrikas nebst bürgerrechtlich engagierter Anwälte in die Hand. Mandela war zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet worden.
Justizfreie Haftanordnungen
Die Inhaftierung von Oppositionellen unterschiedlichen Rangs erfolgte aufgrund von justizfreien Haftanordnungen, mit denen der südafrikanische Justizminister jeweils 90-tägige Isolationshaft anordnen konnte, "bis der Gefangene zu kooperieren bereit" war. Solche Anordnungen konnten unbegrenzt wiederholt werden. Im Rivonia-Verfahren konnten die Inhaftierten erst im Oktober, zwei Tage vor der ersten Anklageerhebung, mit ihren Anwälten sprechen.
Der Widerstand in der schwarzen Bevölkerungsmehrheit Südafrikas, von der weißen Minderheit als "Kaffern" oder amtlich als "Bantu" bezeichnet, richtete sich nicht zuletzt gegen das materielle Unrecht des südafrikanischen Staats. Verbote "gemischtrassiger" Ehen waren in den frühen 1960er-Jahren fast noch ein Standard, in den USA sollten sie erst nach der Rassentrennung an den Schulen beseitigt werden. Zur ökonomischen Verelendung trug seit 1913 die Landgesetzgebung Südafrikas bei, die der schwarzen Bevölkerungsmehrheit weniger als zehn Prozent des Staatsgebiets als Wohn- und Wirtschaftsfläche zuwies.
Seitdem 1948 die National Party die Regierung stellte, wurde die Entrechtung der Mehrheit vorangetrieben durch Pass- und Meldegesetze, rigorose Rassentrennung und -diskriminierung im öffentlichen Raum, im Bildungssystem und im Arbeitsrecht. Öffentliche Kritik wurde neben direkter Polizeigewalt mit den Mitteln eines politischen Strafrechts unterbunden, das – zunächst antikommunistisch begründet – auch antirassistische Äußerungsformen inkriminierte.
Martin Rath, Der Rivonia-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9036 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag