Recht verschnarcht: Schlafen für Juristen

von Martin Rath

31.03.2013

Die Nacht, der Schlaf, das Schlafwandeln. Scheint so, als ob die Nacht als Rechtsproblem mehr Juristen nährt als die Macht. Schlafende Richter, die Gesetzgeber des "Großdeutschen Reichs" und des österreichischen Imperiums – überall Nacht- und Machtprobleme. Sogar in der Ostergeschichte findet sich ein juristisches Nacht-Problem. Von Martin Rath.

In den ersten zehn Minuten nach dem Aufwachen erreichen Menschen nur knapp zwei Drittel ihrer Leistungsfähigkeit.  In einem Test, den der US-amerikanische Schlafforscher Adam Wertz 2006 vornahm, sollten die Probanden einfache Rechenaufgaben lösen. Eine Minute nach dem Aufwachen wurden nur 65 Prozent der Aufgaben richtig gelöst, gibt Peter Spork in seinem "Schlafbuch" die Ergebnisse wieder. Eine Vergleichsgruppe, die unter 26-stündigem Schlafentzug stand, schaffte 85 Prozent.

Erfreulich für die Geschädigten, wenn Richter es nicht ganz genau nehmen müssen. Erfreulich für den Leser ist es manchmal, dass rechtswissenschaftliche Fachzeitschriften keine Bilder enthalten: In seinem Urteil vom 2. Oktober 1985 (Az. 8 U 100/83) leitet das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein insgesamt ziemlich unappetitliches Stück juristischer Prosa ein: "Der am 17.7.1951 geborene Kläger erhielt am 12.10.1975 kurz vor 17 Uhr beim Fußballspielen einen Tritt gegen den Hodensack."

Was dann am gleichen Tag nach 21.30 Uhr im später verklagten Krankenhaus geschah sowie bei einer Anzahl von stationären Spital-Aufenthalten im späteren Verlauf, möchte man sich nicht bildlich vorstellen. Das Urteil dokumentiert unschöne Vorgänge wie "Refobacin-Injektionen" oder das  "Spalten der entzündlich ödematös stark geschwollenen Hodenhüllen und Excision eines etwa daumengroßen, dunkelbraunen, gangränösen Hodenrestes".

Wer will da noch Fußball spielen.

Beim Ausdeklinieren der Rechtsfolgen braucht es glücklicherweise nicht so vieler Worte wie bei der Beschreibung des Schadens. Das OLG stellt fest: "Auch der Nacht- und Sonntagsdienst ist im Krankenhaus grundsätzlich so zu organisieren, daß für den Patienten auch in Not- und Eilfällen der Standard eines Facharztes gewährleistet wird."

Gäbe es einen "Fachanwalt für Nachtrecht", er hätte den Sachverhalt wohl noch weiter aufspalten können: Ob der möglicherweise fehldiagnostizierende Arzt frisch aus dem Schlaf geschreckt oder vom mitbeklagten Krankenhaus durch berufstypische Übermüdung geschunden wurde. Ob sich aus solch faktischen Unterschieden nicht noch haftungsrechtliche Windungen drehen ließen? Glücklicherweise wird derlei über einen einheitlichen Prüfmaßstab gemessen.

Biblisches Nachtverhandlungsverbot

Viel vom körperlichen Martyrium, dafür wenig juristische Substanz, so muss man leider erst recht die biblische Ostergeschichte einordnen. An einem Donnerstagabend wurde, so die Überlieferung, Jesus verhaftet. Es folgte, glaubt man den Jahrzehnte später entstandenen Aufzeichnungen, noch in der Nacht eine Verhandlung vor dem "Hohen Rat" des Tempels zu Jerusalem, am Freitag dann ein kurzer Prozess vor dem römischen Präfekten samt "standrechtlicher Kreuzigung". Was dabei an materiellem Strafrecht angewendet wurde, ist strittig. Eine ausführliche Abhandlung findet sich bei Gerhard Otte, Professor für Zivilrecht und Rechtsgeschichte ("Neues zum Prozeß gegen Jesus?", NJW 1992, S. 1019 ff.).

Problematisch ist auch ein Aspekt des Prozessrechts: Nach später mehrheitsfähigem jüdischem Recht (dem Recht der "Mischna"), heißt es bei Otte, "hätte z. B. nicht nachts verhandelt werden dürfen, und die Verurteilung hätte auf den Tag nach der Verhandlung verschoben werden müssen". Aus diesem Rechtsgrund wurde der Wahrheitsgehalt der biblischen Überlieferung mitunter in Zweifel gezogen: Es gab doch das Nacht-Verhandlungsverbot. Otte ist hier vorsichtiger: "Ein Jurist wird diesen Schluss vom Sollen auf das (Nicht-) Sein jedenfalls nicht so schnell wagen, wie es Theologen offenbar tun. Und: Ist nicht gerade das Alte Testament voll von Klagen über Rechtsbrüche der Richter?"

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht verschnarcht: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8436 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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