Liebe zum Hund wird leicht wahnhaft
Spätestens in den 1970er-Jahren wurde die Haltung von Tieren ohne Nutzwert so populär, dass berühmte Versandhausunternehmen sie per Paketpost verschickten. Untrügliches Zeichen für Dekadenz: Schon die vage Idee eines Hamburgischen Provinzbeamten, man müsse die Hundehaltung in der Stadt womöglich aus hygienischen Gründen verbieten, wird vom Spiegel zu einem dramatischen Artikel hochgekocht (Nr. 23/1977, S. 110). Im Jahr zuvor hatte das Nachrichtenmagazin der Liebe des Deutschen zum "faulen, schweifwedelnden Schmarotzer" (Nietzsche), dem "von Flöhen bewohnten Organismus, der bellt" (Leibniz) sogar eine Titelgeschichte gewidmet (5/1976, S. 38-60).
Der Spiegel-Artikel ist nicht nur ein schönes Beweisstück für die Geschichtsvergessenheit heutiger Onlinemedien-Apostel, die sich über die "Boulevardisierung" des "Qualitätsjournalismus" mokieren – ist ja mal echt neu, das Phänomen –, man hätte ihn wohl seinerzeit als Quelle für Notorietät, also für nicht dem Beweis unterworfenes gerichtskundiges Wissen, manchem Urteil in Hundehaltungsfragen beiheften können.
Richter im Kulturkreis des Kläffers
Ein Urteil des Amtsgerichts Köln (v. 13.07.1995, Az. 222 C 15/95), das den Rechtsprechungswandel der 1970er- und 1980er-Jahre dokumentiert, kassierte nicht nur eine Formularklausel - "Das Mitglied [der Wohnungsgenossenschaft] verpflichtet sich, keine Katzen und Hunde zu halten." - als Verstoß gegen das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG).
Bemerkenswert ist an dem Kölner Urteil vor allem, was es so alles heranzieht, um das auf den Formularvertrag gestützte Begehren auf Abschaffung der Haustiere – in diesem Fall: vier (!) Katzen in einer Genossenschaftswohnung – zu unterminieren. Unter Bezugnahme auf das Bayerische Oberste Landesgericht stellt das Urteil in bestem Soziologenjargon fest: "Der Inhalt des Wohnbegriffs ist von seiner Sozialtypik her zu bestimmen und dynamischer Natur. Veränderungen oder Neuerungen können zu einer Ausweitung des vertragsgemäßen Gebrauchs zu Wohnzwecken führen, insb. dann, wenn sie für weite Schichten der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit geworden sind und zum allgemeinen Lebensstandard gehören."
In einer Großstadt fangen Katzen keine Mäuse und Hunde hegen keine Schafe, man könnte auf den Gedanken kommen, dass ihre Haltung schierer Luxus ist. Doch hält das Kölner Urteil 1995 fest, dass Tiere zum "Wohnen" einfach dazugehörten: "Bei der Ausfüllung des Wohnbegriffs dürfen die in der Bevölkerung gewachsenen Vorstellungen über gedeihliches Zusammenleben und Zusammenwohnen nicht vernachlässigt werden. Vielmehr sind die insoweit in dem jeweiligen Kulturkreis überlieferten, von der Allgemeinheit gebilligten Übungen, Gewohnheiten und Regeln – jedenfalls in ihrem Kernbereich – zu berücksichtigen. Für den Bereich von Eigentumswohnungen auch in städtischen Ballungsgebieten ist anerkannt, daß das Halten eines Hundes oder einer Katze als Inhalt normalen Wohnens anzusehen ist."
Reykjavik, mon amour
Ob die Republik Island nicht auch zu unserem "Kulturkreis" zählt? In der isländischen Hauptstadt ist das Halten von Hunden weitgehend verboten. Das aktuelle Verbot geht – soweit erkennbar – auf das Jahr 1971 zurück, also ganz gegenläufig zur deutschen Hundeliebekonjunktur. Auch die Haltung von Katzen ist beschränkt, hier spielt der Schutz der Umwelt vor streunenden Tieren eine Rolle.
Gut, es ist öffentliches Recht, das die isländischen Kleinraubtiere aus der Hauptstadt fernhält oder ihren Bewegungsraum beschränkt. Wem Hund und Katz zu Herzen gehen, wird das vermutlich nicht so gut finden. Aber die Wertungsfrage ist doch interessant: Wenn eine große skandinavische Stadt Hundehaltung verbietet, haben dann nicht vielleicht die deutschen Gerichte in den vergangenen 40 Jahren Tierhalter-Bedürfnisse etwas zu forsch zu Selbstverständlichkeiten eines "Kulturkreises" erklärt?
Nun hat also der BGH eine weitere Hürde für die Hundehaltung genommen. Man muss es den Richtern nachsehen. Auch sie sind ja im Kulturkreis gefangen.
Warum der Verfasser trotz seiner angedeuteten Abneigung insbesondere gegen Hundehaltung in der Großstadt doch dafür ist, den Dackel ins Wappen der Justizbehörden aufzunehmen?
Am 17. Juni 1953 urteilte das Landgericht Berlin (West) in einer dieser Rechtsstreitigkeiten zum Hund in der Mietwohnung (Az. 63 S 145/53). Wie oben angedeutet, natürlich zum Nachteil des Halters. Aber das ist unwichtig. Wichtig ist das Datum: Am 17. Juni 1953, dem Tag des Volksaufstands in der DDR. Die Rote Armee war nur ein paar Kilometer entfernt, in der DDR herrschte Aufruhr, die Weltkriegsgefahr leuchtete atomar überm Richterbarett – und das Landgericht Berlin (West) setzt in aller Gemütsruhe einem Mieter den Hund vor die Tür.
So viel Stoizismus verdient doch eigentlich ein Justizdenkmal.
Martin Rath, Wohnen mit Hund und Katz: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8394 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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