Buchdebüt "Lebenskunst Anwalt": Empfehlungen für Jurawelpen

von Martin Rath

17.11.2013

"Ein Anti-Idyll" verspricht der Hamburger Fachanwalt für Medizinrecht Sebastian Vorberg vorzulegen. In der Tat: Sein biografisches Büchlein erzählt nicht allein von einer alles anderen als reibungslosen Anwaltskarriere. Es fallen viele Haupt- und Seitenhiebe auf den gemeinen Jurastudenten und anwaltliches Standesdenken. Lesenswert, vor allem für Studenten und Referendare, meint Martin Rath.

Nicht wenige Verlage und Lektoren erhielten seit dem literarischen Schreckensjahr 2011 Anfragen von Damen, die sich von Nachahmungstaten wirtschaftliche Solvenz versprachen. Der unfassbare Verkaufserfolg von "50 Shades of Grey", dem Vernehmen nach halbpornografischer Müll, verfasst von einer bis dahin unbekannten britischen Hobbyautorin, ließ Beschäftigte im Rotlichtmilieu hoffen, mit Erzählungen aus ihrem Berufsleben reüssieren zu können.

Solche Erzählungen sind auch in Professionen, die weniger Tristheit und Depression versprechen, mitunter nur unter starken Vorbehalten zu lesen, doch hatte die berufsfeldbezogene Schlüssellochliteratur in den vergangenen Jahren Konjunktur: Aus ihrem bitter-bösen Alltag als Kassiererin in einem französischen Supermarkt erzählt seit dem Jahr 2007 die Bloggerin und Buchautorin Anna Sam. Von den ziemlich ungewaschenen Zuständen "Unter deutschen Betten" behauptete 2011 im gleichnamigen Buch eine "polnische Putzfrau" auszupacken, die sich glücklicherweise als deutscher Mann mit Pseudonym und humoristischem Anspruch entpuppte.

Realitätssinn einer französischen Kassiererin

Ob sich Sebastian Vorberg, Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg, mit seinem schmalen Buch "Lebenskunst Anwalt" eher an der realen französischen Kassiererin oder der virtuellen polnischen Putzfrau bewegt, lässt seine Mischung aus autobiografischem Bericht und bärbeißige humoristischen Einsprengseln zwar nicht erkennen.

Dafür, dass Vorberg von realen Begebenheiten berichtet und sein literarisches Ich nicht zu sehr strapaziert, spricht aber der dramatische Ausgangspunkt seiner Erzählung. Vorberg wird wegen Parteiverrats angeklagt: Als Rechtsanwalt habe er pflichtwidrig zwei Mandanten in der gleichen Sache betreut, strafbar nach § 356 Strafgesetzbuch (StGB). Eine solche Verurteilung ist natürlich nicht nur unrühmlich. Für den geschäftlichen und privaten Ruf, für die Zulassung als Rechtsanwalt kann sie fatale Konsequenzen haben.

Das Ermittlungs- bzw. Strafverfahren wegen Parteiverrats bildet die etwas knapp gehaltene Rahmenerzählung, die Vorberg zurückdenken lässt an traumatische Erlebnisse während des Jurastudiums, besser gesagt: an das traumatische Erleben von Studium und Examensvorbereitung.

Jurastudium, das krank macht

Zunächst als BWL-Student im Universitätscomputer verbucht, sattelte Vorberg irgendwann auf Jura um. In der Summe wechselte er um der flexibleren Karrierewege und seines mitunter arg betonten Freiheitswunsches willen – ein freisinniger und nonkonformistischer Rechtsanwalt in spe.

Über die humanoiden Lebensformen deutscher juristischer Fakultäten bringt Vorberg in Erfahrung, dass sich dort neben Strebern, die Vorlesungen nur besuchten, um mit ihren Fragen und Anmerkungen die Dozenten dumm dastehen zu lassen, auch eine Anzahl von Studentinnen fänden, die – Perlenohrringe am vorgeschriebenen Ort – mit ihrem Begehren nach lebensunfähigen Juraüberfliegern dafür sorgten, dass das Juristengeschlecht am Ende auch biologisch nicht aussterbe.

Ob man dieser humoristischen Darstellung angehender Juristinnen und Juristen viel abgewinnen kann, ist Geschmacksfrage. Gewinn können aber womöglich Juristen und Menschen, die es werden wollen, aus den prekären Erfahrungen des später durchaus erfolgreichen Unternehmensjuristen und Anwalts Vorberg ziehen: Offen stellt er dar, wie er durch eine falsche Strategie in der Examensvorbereitung in einen ausgewachsenen Burnout gerät. Ehrlich ordnet Vorberg diese Mode-Diagnose dem Krankheitskomplex der Depressionen zu, ein Stigma, nicht nur unter Juristen. Ein Studienjahr in den USA, die dort optimierte Lerntechnik, medikamentöse Behandlung und eine weniger masochistische Lern- und Lebenseinstellung boten schließlich den Ausweg aus der akuten Störung.

Mangelhafte Didaktik wird dem Jurastudium oft, trotz Besserungsbemühungen vermutlich bis heute meist zu Recht nachgetragen. Mit seinem Bericht aus der Geschädigtenperspektive leistet Vorberg manch künftigem Betroffenen einen guten Dienst – mehr vielleicht als manch therapeutisches Gesäusel.

Prekäre Existenz als reale Bedrohung

Weniger aus eigener Betroffenheit, mehr aus der Perspektive des jungen Volljuristen, dem es zwar an Berufspraxis gebricht, der aber – die vorgeschalteten BWL-Semester lassen grüßen – betriebswirtschaftlich zu denken und zu rechnen gelernt hat, lässt sich Vorberg über die ökonomischen Träumereien mancher Anwälte aus.

Dabei nimmt er keine Rücksicht auf vermeintliche oder echte Vorzüge der Profession. So bedenkt Vorberg die ökonomischen Hackordnungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die er für Berufsanfänger auch in Großkanzleien mit ansehnlichen Jahresgehältern entdeckt, mit dem gleichen sardonischen Humor wie die wirtschaftlich zutiefst prekären Verhältnisse von jungen und bald schon gar nicht mehr jungen Anwälten, die ihr Kanzleischild im Wohnzimmer aufhängen. Möglicherweise sogar im Wohnzimmer von Papa und Mama. Die Versuche solcher Anwälte, Mandantenakquise zu betreiben, wirkten "eher wie Betteln oder Prostitution".

Angehörigen des anwaltlichen "Bodensatzes" schenkt Vorberg beispielsweise solch warme Worte: "Die arme Kreatur, die sich von einem selbstständigen Jurawelpen in einen langfristigen Wohnzimmerjuristen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze entwickelt und keinen Absprung schafft, rutscht anschließend durch das soziale Netz der deutschen Gesellschaft. Antidepressiva, Zigaretten und Alkohol sind die einzige Hoffnung, die Lücke zwischen Selbstbetrug und Realität zu schließen."

Vorbergs Rat: falsche Hoffnungen früh fahren lassen

Anhänger marxistischer oder sonstiger Weltuntergangsökonomien werden vielleicht monieren, dass prekäre Lebensverhältnisse auch für Absolventen anderer Studiengänge eine letzthin unvermeidbare Zukunft darstellten. Das will man nicht hoffen, trotz Akademikerproletariats in den südlichen EU-Staaten.

Vom Stil her stören Vorbergs Einschätzungen mitunter ein wenig. Ein allzu mokantes Urteil fällt auf, solange man es nicht selbst formuliert. In Vorbergs "Anti-Idyll" wird es dadurch abgemildert, dass er die beruflichen Folgen seiner Verurteilung in Sachen "Parteiverrat" nicht auserzählt. Am Ende spielt auch er mit beruflichen Hoffnungen außerhalb der engeren anwaltlichen Profession. Den von Vorberg als "Welpen" des Anwaltsstandes apostrophierten Studenten und Referendaren lässt sich die "Lebenskunst Anwalt" zur Lektüre empfehlen: Wenn sie die Fakultät betreten, sollten sie alle falschen Hoffnungen fahren lassen.

Sebastian Vorberg: "Lebenskunst Anwalt. Ein Anti-Idyll". Verlag Lehmanns Media, Berlin 2013, Print: 129 Seiten, 12,95 Euro, E-Book: 9,99 Euro.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Buchdebüt "Lebenskunst Anwalt": . In: Legal Tribune Online, 17.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10067 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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