Humor und Witz unter Juristen: Weltlachtag für den Frieden

von Martin Rath

05.05.2013

2/2: Lachen bis das Gebiss rausfällt

Gegen dieses etwas plumpe "Messe deinen Sachverhalt an einem selbstgebauten Durchschnittsmenschen!" regelrecht hohe Lach-Interpretationskunst dokumentiert ein Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 6. Mai 2010 (Az. 2 Ss 220/09 – 85 u.a.). Wegen Beleidigung in einem Nachbarschaftsstreit war der Angeklagte vom Amtsgericht (AG) Recklinghausen verurteilt worden. Der Angeklagte fuhr im Auto an seinem Nachbarn vorbei, der ihn möglicherweise motivationslos beschimpfte: "Daraufhin habe er – der Angeklagte – das Beifahrerfenster aufgemacht und laut gelacht." Dem schimpfenden Nachbarn fiel darüber das Gebiss aus dem Mund, worauf der Angeklagte "noch lauter und herzhafter gelacht" habe, was zu erneutem Herausfallen des Gebisses mit der Folge führte, dass der Angeklagte lachen musste, bis ihm "der Bauch weh getan habe" und er weiterfuhr.

Das AG hatte nach Auffassung des OLG allzu forsch dieses unhöflich-anstößige Lachen als Beleidigung bewertet. Lachen, bis dem anderen die Zähne herausfallen, ist nur dann strafbar, wenn dem 'Geschädigten' ausdrücklich der "sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen" wird.

Ganz folgen mag man auch einem Urteil des AG Prüm (v. 19.01.2005, Az. 6 C 381/04) nicht, in dem es heißt, "dass Kinder Kitzeln ihrer Spielkameraden als angenehm empfinden, weshalb es in den meisten Spielsituationen weder durch Schreien noch durch Weglaufen, sondern regelmäßig durch Lachen und Zurückkitzeln beantwortet wird". Ein Kind war reflexartig zurückgezuckt, gestolpert, hatte sich verletzt. Mit der Feststellung, dass "Kitzeln keine Körperverletzung" sei, wurde das kitzelnde Kind hier aus seiner Haftpflicht herausgedeutet.

Der Unterschied zwischen Humor und Witz

Weil das "Emotionale Gesetzbuch", eine an sich interessante Sammlung von Grenzfragen zwischen Juristerei und anderen Wissenschaften, herausgegeben vom Rechtshistoriker Rainer Maria Kiesow und vom Tierphysiologen Martin Korte Begriffe wie "Humor", "Lachen" oder "Witz" keiner eigenständigen Behandlung würdigt, muss vorerst die kleine germanistische Untersuchung "Volk ohne Witz" von Otto F. Best (1929-2008) Hinweise zur Abgrenzung geben. Best unterschied zwischen Humor und Witz. Humor, das geht bei ihm in Richtung Witzeerzählen ("Wenn der Zeuge der Anklage Malermeister wäre…"). Witz zu haben, das überschneidet sich bei Best mit Verstand, Esprit – nicht notwendig mit Lachen. Dazu gehört auch etwas Distanz zum direkteren Gefühl.

Ein Beispiel: Nachdem ein Urteil des LG Hamburg vom 8. August 2005 bekannt wurde, das der Beschwer der Nachbarschaft eines Kindergartens wegen Lärmbelästigung abhalf, übte die damalige Bundesfamilienministerin öffentlich Urteilskritik mit der Frage: "Wie kann man den ganzen Tag den Lärm einer vierspurigen Straße ertragen, aber nicht für ein paar Stunden das Lachen von Kindern?"

Gewitzte Kritiker dieser Urteilskritik antworteten, dass Straßenlärm oft als "informationsfreies Rauschen" wahrgenommen werden könne, während Kinderlärm gerade deshalb störe, weil es soziale Informationen enthalte – der Gestörte wird vom unberechenbaren "Kinderlachen" zugleich angezogen wie abgestoßen. Wechselhaftigkeit irritiert, gleichförmige Störung stumpft ab. Der Vergleich von Familienministerin Schmidt war humoristisch, die Kritik an ihr gewitzt.

Gegen Humor bei Gericht

Für juristische Wertentscheidungen bringt ein humoristischer Ansatz keine neue Erkenntnis, sondern erschwert sie eher – ganz gleich, ob es um ein Werturteil zwischen Kindes- und Nachbarschaftswohl in der bald einsetzenden "Kinderlärm ist unsere Zukunft"-Legislatur ging oder um gerichtliche Sachverhaltswürdigungen.

Einem Dammbruchargument von Hans Putzo, geäußert als scharfe Kritik an Humor bei Gericht, namentlich an humoristisch abgefassten Gerichtsentscheidungen, dürften sich Liebhaber gewitzter Streitkultur anschließen: Verstünde man humoristische Beiträge im Rahmen richterlicher Textproduktion als Satire, könnte "eines Tages das BVerfG auch noch mit der Frage belästigt werden, ob ein Richter sich auf die Freiheit der Kunst auch dann berufen kann, wenn er die ihm gem. Art. 92 Grundgesetz anvertraute rechtsprechende Gewalt im Namen des Volkes ausübt" (Anm. zu AG München, Urt. v. 11.11.1986, Az. 28 C 3374/86 in NJW 1987, S. 1.426).

Juristen, die unter zu viel Humor (nach Best/Putzo) verfügen, könnten ja zum Lachen in den Keller oder vielleicht in einen Aktenraum gehen. Eingedenk der yogischen Lacherei am "Weltlachtag" sollten sie der Welt einen Gefallen tun: Einfach ein paar sinnlos Lachende mitnehmen. Länger als drei Minuten muss es ja nicht sein.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Humor und Witz unter Juristen: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8662 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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